Wird Russland Konkurrent für deutsche Ackerbauern?

Raiffeisen-Feldtag mit Fachvortrag von Dr. Dietmar Schmidt

„Wird Russland zum Konkurrenten für deutsche Ackerbauern?“, lautete die spannende Frage von Dr. Dietmar Schmidt aus Buseck bei seinem Vortrag vor circa 200 Landwirten beim Feldtag der Raiffeisen Waren GmbH und Co. Betriebs KG Alsfeld-Kirchhain auf dem Gut Eudorf-Dotzelrod.

Dr. Dietmar Schmidt sprach beim Feldtag auf Gut Dotzelrod über Land­wirtschaft im Schwarzerdedreieck.

Foto: Ingfried Stahl

Dietmar Schmidt (51) ist Landwirt und aufgrund seiner Beratertätigkeit exzellenter Kenner der osteuropäischen Landwirtschaft. Er fasste in seinem Vortrag Erfahrungen und Eindrücke aus 14 Jah­ren Tätigkeit in Russland zusammen. Dabei veranschaulichte er auch die Lebensweise der Menschen und die Kultur und das Um­feld des Herzstücks Russlands, der Schwarzerderegion.

Projekt der Universität Gießen

Seine Tätigkeit in Russland basiert auf einem Austauschprojekt der Universität Gießen mit der Universität Kasan (östlich von Moskau). Über andere Stationen sei er dann von 2007 bis Anfang 2010 am Aufbau einer größeren Holding, der Firma Agrocultura, in der Russischen Föderation beteiligt gewesen. Diese sei inzwischen in Stockholm an der Börse gelistet und bewirtschafte aktuell insgesamt 125 000 ha. Flächenmäßig sei Russland etwa 48mal so groß wie die Bundesrepublik, unterstrich der Referent die gigantischen Dimensionen des osteuropäischen Staates.

Einfuhrzölle auf Landtechnik

Die weiteren Erläuterungen dokumentierten das sukzessive Engagement in allen relevanten Ackerbaubereichen der Schwarzerderegion, natürlich auch mit Einsatz moderner Landtechnik. Allerdings werde der Import von Technik durch Einfuhrzölle erschwert.

Schmidt sprach in seinem Vortrag von der Region um den Don, den russischsten aller Flüsse, zunächst über die zentrale Schwarzerdezone, nahm Stellung zur poli­tischen und rechtlichen Struktur und beschrieb den Ackerbau im Oblast Voronezh – einer Verwaltungseinheit vergleichbar mit der eines Bundeslandes wie Hessen. Zu Beginn wartete Schmidt mit einem die zentraleuropäischen Landwirte sicher beeindruckenden Daten- und Faktenmaterial auf. So verfügten dort in Zentralrussland etwa 50 landwirtschaftliche Unternehmen – Holdings – über mehr als 100 000 ha Landwirtschaftsfläche (LF), es gebe etwa 500 moderne Betriebe mit mehr als 20 000 ha LF.

Es gebe verschiedene Prognosen zur Strukturentwicklung der dortigen Betriebe. Im Moment setzten sich wegen der erntebedingten Liquiditätsschwäche der Betriebe die Konzentrationsprozesse im Sinne eher noch größerer Holdings fort. Mit einem Foto eines außenliegenden Berges von Weizen machte Schmidt auf die Probleme der russischen Landwirtschaft aufmerksam. In Russland sei nämlich paradoxerweise immer ein Jahr mit einer schwachen Ernte das bessere Jahr für die landwirtschaftlichen Betriebe. Mit den großen Erntemengen könne man dort nämlich logis­tisch nicht umgehen, beginnend mit dem Transport vom Feld zum Betriebsstandort und sich fortsetzend mit den unzureichenden Lagermöglichkeiten. So habe man 2008 immense Mengen Weizen einfach im Freien gelagert. Daher seien in den letzten Jahren die Betriebe, die 20 Prozent weniger Ernte eingefahren hätten, durchaus im Vorteil gewesen. Die Holdings verfügten über Einzelbetriebe von rund 5 000 ha. Oft erstrecke sich der Gesamtbetrieb über Distanzen von mehreren hundert Kilometern.

Das Zehnfache Deutschlands

Insgesamt gebe es in der Schwarzerderegion 200 Mio. ha landwirtschaftlicher Nutzfläche, davon 120 Mio. ha Ackerland. Dies bedeute das Zehnfache der Ackerfläche der Bundesrepublik. Von 1990 bis 2005 seien etwa 35 Prozent der Fläche nicht bewirtschaftet worden – Schwarzbrache in einem Dreijahresrhythmus sei ein noch übliches System – und noch bis heute seien 20 Prozent nicht kultiviert, wies Schmidt auf den immensen Nachholbedarf bei der Landwirtschaftsentwicklung Russlands hin. In den letzten drei Jahren könne die dortige Landwirtschaft aber auf ein mittleres Wachstum von 3,3 Prozent verweisen. 2008 seien 104,17 Mio. t Getreide auf 41,8 Mio. ha geerntet worden, 27,3 Prozent mehr als 2007. Der Durchschnittsertrag bei Getreide sei in diesem Zeitraum von 21,2 dt/ha auf 25,2 dt/ha gesteigert worden. 2008 habe man einen 30-Jahres-Rekord bei Winter-Weizen mit 27,5 dt/ha (Steigerung: 15 Prozent) erzielt.

Landreform in Russland

Die Landreform in Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sei einhergegangen mit der Öffnung für ausländische Investoren, so der Referent. Die ehemaligen Kolchosen seien per Gesetz abgeschafft und das Land den Mitgliedern übertragen worden. Landverpachtung durch private Eigentümer sei seitdem möglich geworden, auch Landan- und verkauf. Der Landankauf durch juris­tische Personen sei nur dann erlaubt, wenn mindestens 51 Prozent der Fläche in russischer Hand verblieben: „Aber es gibt Möglichkeiten.“ So seien seit 2000 sogenannte Agroholdings etabliert worden, mehr als 200 Unternehmen mit insgesamt 12 Mio. ha Acker. Die Holdings arbeiteten mit außerlandwirtschaftlichem Kapital, Finanziers seien Oligarchen, Lebensmittelkonzerne, Energieunternehmen und Investmentgesellschaften. Bewirtschaftet würden die Ackerbaueinheiten von Managementgesellschaften, die für die Flächen von der ukraini­schen Grenze (Kursk) bis zur sibi­rischen Grenze (Kurgan) verantwortlich seien.

Die Hauptschwarzerdegebiete lägen unter anderem im Raum Kursk (circa 50 000 ha), Voronesh (10 000 ha) bis hin nach Volgograd (18 000 ha), dem früheren Stalingrad. Die durchschnittliche Schlaggröße betrage bei einer Spanne von 10 ha bis 530 ha etwa 75 ha, bei rund 1 400 Mitarbeitern.

Landkauf extrem schwierig

Schmidt schilderte auch die Problematik des Landankaufs, ein oft immens aufwändiger Prozess von der ersten Kontaktaufnahme mit dem Eigentümer bis zur rechts­verbindlichen Eintragung des Eigentums, sich in der Regel über zwei Jahre hinziehend. Auch könne der Landankauf nur über eine im vorab gegründete Gesellschaft getätigt werden, wobei der russische Anteil 51 Prozent betragen müsse. Zu investieren sei daher extrem schwierig und fraglich „sicher zu sein, dass man das Geld morgen noch hat.“ Es gebe einen Spruch, wenn die Ausländer kämen: „Dann haben die Ausländer das Geld und wir die Erfahrung,“ Und dann: „Nach fünf Jahren haben wir das Geld, und die Ausländer die Erfahrung“, lau­tete seine Quintessenz. Zur landwirtschaftliche Nutzung der Schwarzerdezone Russlands sagte Schmidt, die Zone beginne bereits in der Ukraine und ziehe sich durch Südrussland bis zur Wolga hin. Geprägt werde sie durch das Klima und den starken Temperaturschwankungen von minus 35 Grad bis plus 35 Grad. Einerseits verfüge die fruchtbare Schwarzerde bis in tiefe Bodenschichten über 6 bis 8 Prozent Humusgehalt. Ein großes Problem sei aber die Winderosion. Auch das Befahren der nassen Flächen bereite große Probleme. Oft seien Raupenfahrzeuge nötig. Falsche Bodenbearbeitung habe Strukturschäden hervorgerufen.

Erträge hängen von Witterung ab

Schmidt sprach auch über die Sprunghaftigkeit offizieller Berichte des russischen Landwirtschaftsministeriums. Erwartet werde jetzt in Russland eine mit circa 80 Mio. t leicht unterdurchschnittliche Ernte, diese bei einem Eigenbedarf von rund 70 bis 75 Mio. t. Großen Herausforderungen sieht sich die moderne Landwirtschaft in Russland gegenüber stehen. Zum einen seien dies die witterungsbedingt jährlich stark schwankenden Ernteerträge, wobei in guten Jahren das enorme Ertragspotenzial des Russischen Schwarzerdegebiets evident werde. In der Russischen Föderation sei allerdings mit Blick auf moderne wirtschaftliche Betriebsführungen niemand auf hohe Erträge vorbereitet. „Extremes Problem“, sei der Zentralismus und ein fehlendes Fachwissen der Investoren über die Landwirtschaft. Russland werde deshalb in den nächsten Jahren noch kein Konkurrent für deutsche Ackerbauern werden. So wer­de Russland mit Blick auf „die Qualität der Arbeitserledigung“ noch lange zu tun haben. Man werde zwar immer mal erleben, „dass die uns mit Weizen fluten“, weil einfach das Wetter mitspiele: „Das ist aber kein systematisches Ergebnis – das ist Zufall.“ Stahl