Verkehrssicherungspflicht: wie weit geht sie im Wald?

Waldeigentümer wollen Rechtssicherheit statt Risiko

Bei der Generalversammlung des Hessischen Waldbesitzerverbandes in der vergangenen Woche in Neu-Anspach befasste man sich schwerpunktmäßig mit der Verkehrssicherungspflicht von Waldeigentümern. Zwei Tage zuvor fand zu dieser Thematik eine Presseveranstaltung auf dem von Erholungsuchenden stark frequentierten Feldberg im Taunus statt. Dort erläu­terte man typische Gefahrensituationen im Wald, bei denen zugleich unklar ist, wie die Rechtsfolgen für den Waldbesitzer hinsichtlich der Gefahrenabwehr und Haftung im Falle eines Unfalles eines Walbesuchers sind.

Für Freerider ist es zu einem beliebten Freizeitvergnü­gen geworden, sich quer durch den Wald fern der Wege den Berg hi­nunter zu stürzen. Ein treffendes Beispiel zeigten (v.l.) Christian Raupach und Ralf Heitmann am Feldberg.

Foto: Moennig

Hinter der idyllisch grünen Kulisse im Wald laueren viele Gefahren für den Waldbesucher, stellte Christian Raupach, Geschäftsführer des Hessischen Waldbesitzerverbandes, den Anlass, sich mit der Fragestellung zur Rechtssicherheit für Waldbe­sitzer und Förster zu befassen, her­aus. Denn ein großes Problem sei die Verkehrssicherungspflicht: Wenn Privatwaldbesitzer, Kommunen oder der Landesbetrieb Hessen-Forst Ge­fahren­stel­len nicht binnen einer angemesse­nen Zeit beseitigten oder illegal errichtete Wege versperrten, könnten die Waldeigentümer im Falle eines Unfalls in der Haftung sein. Wieviel Verkehrssicherungspflicht könne also der Gesetzgeber den Waldbesitzern zumuten? Wo haben diese einen An­spruch, vom Gesetzgeber freigestellt zu werden? Oder seien Wald­besitzer „auf dem Holzweg“, wenn sie mehr Rechtssicher­heit für den Waldeigentümer ein­forderten? Beziehungsweise, wann habe der Gesetzgeber einen Spielraum, den Waldeigentümer aus manchem unerträglichen Haftungsrisiko zu be­reien? Den Antworten zu diesen Fragen waren die Redner der beiden Fach­vorträge bei der Generalver­sammlung auf der Spur. Dazu leg­­te Bundesminister der Justiz a.D. Professor Dr. Edzard Schmidt-Jortzig grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen zur Verkehrssicherungspflicht dar. In Ergänzung dieses rechtstheoretischen Beitrages erläuterte die bestellte Sachverständige und Voll­juristin, Dr. Helge Breloer, Fallbeispiele und Gerichtsurteile aus der Praxis.

Wann setzt die Pflicht ein?

Welche Pflicht aber treffe Wald­­eigentümer und Förster, wenn es um die Sicherheit der vielen Tausend Waldbesucher gehe? Das Betreten des Waldes ist für jeden erlaubt. Und wer in den Wald gehe, um sich zu erholen, müsse sich zugleich der Risiken bewusst sein. Er nehme sie auf eigene Gefahr in Kauf. Die Verkehrssicherungspflicht für den Waldeigentümer setze aber dann ein, sobald ein Waldbesuch gesteuert werde, das heißt, wenn Hinweis-, Weg- oder auch Warnschilder aufgestellt werden, so Raupach. Denn damit sei auch die Kontrollpflicht des Waldbestandes verbunden. Der Wald werde immer häufiger über das normale Maß hinaus als Sportstätte, Kindergarten, Freizeitort genutzt. Einrichtun­gen, wie Parkplätze, Bänke, Schutzhütten oder organisierte Veranstaltungen lockten Waldbe­sucher an. Sobald der Waldbesitzer diese Nut­zung dulde, treffe ihn in solchen Fällen eine er­höh­te Verkehrssicherungspflicht. „Für die Waldeigentümer und die Förster, die den Wald betreuen, wird die Zahl der Verkehrssicherungspflichten und der daraus erwachsenden Risiken immer größer,“ sagt Raupach.

Wer duldet, der haftet

Bei der Fahrt in den Wald wurden praktische Fälle, bei denen die Probleme für den Waldeigen­tümer besonders deutlich wurden, gezeigt. Beispielsweise: wenn Waldbesitzer einen von Mountainbikefahrern frei­ge­schnit­tenen, illegalen Pfad durch den Wald über lange Zeit dulden, könnte in dieser Situation zugleich die Verkehrssicherungspflicht auf den Waldbesitzer übergehen, warnte Raupach. Er empfehle den hessi­schen Waldbesitzern, nach Lösun­gen zur rechtlichen Absicherung zu suchen. Umsturzgefährdete Bäume oder herabfallende Äste aus den Baumkronen könnten Menschen töten oder schwere Sachschäden anrichten. Natürlich wüss­ten Waldbesitzer, dass sie für bestimmte Situationen die Pflicht haben, Sicherheit für die Menschen zu gewährleisten. Das gelte besonders bei der Holzernte und wenn mit schweren Ma­schi­nen im Wald gearbeitet werde.

Hohe Kosten entstehen

Der Leiter des Forstamtes Königstein, Ralf Heitmann, beschrieb, dass allein die Instandhal­tungs- und Kontrollarbeiten zur Einhaltung der Verkehrs­siche­rungs­pflicht in seinem Amtsbezirk jährlich mehrere Zehntausend Euro ausmachten. Das Forst­amt Königstein als Teilbetrieb des Landesbetriebes Hessen-Forst betreue rund 14 000 ha Wald. Durch die exponierte Lage im Vorder- und Hochtaunus, am Rande des Ballungsgebietes Frankfurt und Rhein-Main, würden die zum Forstamt Königstein liegenden Waldflächen mit ihren publikumswirksamen Anlaufpunkten, wie der Feldberg, Sandplacken, Fuchstanz, Altkönig sowie dem Naturpark Hochtaunus jährlich von mehr als zwanzig Millionen Waldbesuchern aufgesucht. „Eine Publikumsveranstaltung im Wald kann heute niemand mehr einfach so erlauben, ohne sich ver­trag­lich mit dem Veranstalter abzusichern und ihm die Haftung für eventuelle Schäden zu übertragen“, folgerte Heitmann. Wer sich nicht absichere, könne im Schadensfall zur Verantwortung gezogen werden.

Die Verkehrssicherungspflicht gilt auch an öffentlichen Straßen oder für Wohngebäude, die dicht an den Waldrand heran gebaut wurden, erläuterte Hans-Peter Gross, Leiter der Revierför­s­terei Neu Anspach. Damit seien re­gel­mäßi­ge Baum­kontrollen er­for­der­lich und müssten dokumentiert werden. Wer das nicht mache, habe im Schadensfall das Nachsehen. Denn unter Umstän­den müsse er nachweisen, dass er seiner Pflicht nach gekommen sei, bei der Überprüfung die Gefahr jedoch nicht erkennen konn­te. Zu dieser Pflicht zählt neben der regelmäßigen Kontrolle, dass umsturzgefährdete Bäume gefällt werden, wenn durch sie die Si­cher­­heit an öffentlichen Straßen, Gebäuden am Waldrand oder Erholungseinrichtungen im Wald bedroht sei. Dies bedeute hohe Personalkosten.

Beispiel „Downhillracing“

Radfahrer im Wald sind unproblematisch, wenn sie auf festen Wegen fahren.

Foto: Moennig

Eines der besichtigten Beispie­le täglich eintretender Situatio­nen und Verkehrs­siche­rungs­fra­gen wird als Downhillracing im Wald bezeichnet. So ist das Radfahren nach dem Hessischen Forstgesetz zwar nur auf festen We­gen erlaubt. Für extreme Moun­tainbiker, sogenannte Free­rider, ist es aber zu einem belieb­ten Freizeitvergnü­gen geworden, sich in den steilsten Hanglagen quer durch den Wald fern der Wege den Berg hi­nunter zu stürzen. Ein treffendes Beispiel zeigte Forstamtsleiter Heitmann den Reportern. Die Freerider bauen oft mitten in den Berghang Sprungschanzen und schaffen so gefährliche Strecken, das ist illegal. Duldet der Waldeigentümer wissentlich diese Pässe, ohne etwas dagegen zu unterneh­men, dann könnte ihm im Schadensfall sogar unterstellt werden, dass er diese Ein­rich­tungen hätte auf Verkehrssicherheit überprüfen oder ab­­bauen müssen. In jedem Fall habe er die Kosten und die Freerider seien nicht dingfest zu machen, beklagte der Forstamstleiter.

Naturwald im Revier

Als weiteres Beispiel sah man einen Naturwald im Forstrevier Neu Anspach. Dort trete bezüglicher der Verkehrssicherung das Problem in den Vordergrund, dass, je älter der Bestand werde, um so größer sei auch die Gefahr, dass Bäume umstürzen oder Äste aus der Baumkrone herabfallen. Im Waldbestand selbst zähle dies zu den waldtypischen Gefahren, für die der Eigentümer nicht hafte. Führe jedoch ein ausgewiesener Wanderweg an solch einem Naturwald vorbei, sehe es anders aus. Damit werde eine regelmäßige Baumkontrolle fällig.

Bauen am Waldrand

„Wo die Gefahrensituation erst später entsteht, wird im Schadensfall nicht die Frage gestellt, wer zuerst da war“, erläuterte Raupach die Rechtslage im Wald an dem Wohngebäude angrenzen. Hier sei der Waldbesitzer sei zur regelmäßigen Kontrol­le verpflichtet. Eine vergleichbar schwierige Situation entsteht beispielsweise im Falle einer Ruhebank unter einem alten Baum (siehe Foto unten). Ferner bestehe an öffentlichen Straßen eine erhöhte Verkehrssicherungs­pflicht für den Waldeigentümer. Zu Konflikten komme es oft, wenn durch umgestürzte Bäume oder herabgefallene Äste Unfälle verursacht würden, so Raupach. Neben dem Haftungsrisiko entstünden durch die Verkehrssicherung an Straßen erhebliche Kosten für den Waldbesitzer.

Waldspielplatz

Nicht zuletzt sei beispielsweise auch eine Sitzgruppe aus Baum­stämmen oder ein Kletter­baum eines Waldkindergartens rechtlich schwierig im Hinblick auf die Verkehrssicherungspflicht zu sehen. Waldeigentümer oder Förster haften dann unter Umständen im Falle eines Unfalles, wenn sie die Sitzgruppe geduldet haben und keine Baumkontrollen durchgeführt und dem Kindergarten die Einrichtung des Waldspielplatzes erlaubt hatten.

Rechtsprechung nicht einheitlich

Die Grenze zwischen der Verkehrssicherungspflicht der Waldeigentümer sowie dem allge­mei­nen Verkehrsrisiko für Wald­­nutzer müsse von der Lan­des- und Bundespolitik rechtlich klarer geregelt werden als bislang. Denn die zunehmende Nutzung des Waldes durch die Bevöl­kerung habe in den vergangenen Jahren die Risi­ken für Waldbesitzer in die Höhe schnellen lassen. Zwischen den waldtypischen Gefah­ren, für die der Wald­eigentümer keine Ver­ant­wortung trage und den Situa­tio­nen, in denen er durch Sicherheits­maßnahmen das Risiko vor Schä­den zumindest verringern müsse, entscheide die Recht­sprechung nicht mehr einheitlich. Immer häufiger würden Waldeigentümer zu Schadensersatz verpflichtet, obwohl sie objektiv die drohenden Gefahren nicht abwenden könnten. „Die Waldbesitzerverbände fordern seit langem mehr Rechtssicherheit für Waldeigentümer und Förster,“ sagte Raupach. Es könne nicht angehen, dass jeder den Wald betreten dürfe, der Naturschutz gleichzeitig immer mehr stehendes Totholz im Wald fordere und der Waldeigentümer für die daraus entstehenden, zunehmenden Risiken die Verantwortung tragen müsse. Eine Begrenzung der Verkehrssicherungspflicht im Bundeswaldgesetz ist daher nach Auffassung des Hessischen Wald­­besit­zer­verbandes nötig. Das Thema Verkehrssicherungs­pflicht im Wald sei während der geplanten Novelle des Bundeswaldgesetzes stark umstritten gewesen, ergänz­te Raupach. Das Bundesjustizministerium habe sich strikt geweigert, etwas an den bestehenden Rechtsvorschriften zugunsten der Waldeigentümer zu ändern. Die Novelle des Bundeswaldgesetzes sei zwar vorerst gescheitert. Nach der Bundestagswahl im September müsse dieses Gesetzgebungsvorhaben aber wieder auf die Tagesordnung. Moe