Jede zusätzliche Auflage stimuliert den Strukturwandel

Vortrag bei der FLV-Jahreshauptversammlung

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts und erst recht gegenüber dessen Anfang, also um 1900, habe sich in der Landwirtschaft ein beträchtli­cher Strukturwandel vollzogen, so Sven Häuser vom Fachzentrum Land- und Ernährungswirtschaft der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft bei seinem Vortrag Anfang März im Zuge der Jahreshauptversammlung des Frankfurter Landwirtschaftlichen Vereins.

Zum Thema „Tierwohl zwischen Wunsch und Wirklichkeit“ sprach Sven Häuser vom DLG-Fachzentrum.

Foto: Jörg Rühlemann

Nicht nur die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland ging stark zurück – die Zahl der Betriebe ab 5 ha sank von rund 790 000 im Jahr 1949 auf heute rund 235 000 – auch die Zahl der Tiere haltenden Betriebe ging allein von 2007 bis 2012 um 9 Prozent zurück, die der Schweine haltenden Betriebe um 19 Prozent, die der Milchviehbetriebe um 10 Prozent. „Jede zusätzliche Auflage für die landwirtschaftlichen Betriebe stimuliert den Struk­tur­wandel“,so Häuser.

Die Entwicklung führt zu einer Entfremdung

Ungebrochen sei der Trend zu betrieblichem Wachstum, dessen Schwelle bereits bei 100 ha liege. Ohne Gegensteuerung führe der Strukturwandel zwangsläufig zur Entfremdung. Zu belegen sei dies an der Entwicklung des Landwirt- Verbraucher- Quotienten (LV-Quotient). Um 1900 standen rund einer Mio. Landwirte rund 52 Mio. Einwohner, also Verbraucher, gegenüber, der LV-Quotient war demnach 1 zu 52. 1950 war er 1 zu 86 (800 000 Betriebe bei 69 Mio. Einwohnern), lag 2000 bei 250 000 Betrieben und 82 Mio. Einwohnern bereits bei 1 zu 328 und für 2030 wird er auf 1 zu 395 geschätzt.

Was die Tierhaltung anbelange erfolgte die Veränderung der Haltungsverfahren aber bedauer­licherweise ohne Kommunikation zum Verbraucher. Eine neue Studie der Hochschule Münster über die Landwirtschaft im Rhein-Main-Gebiet sage aus: „62 Prozent der Städter wissen nichts über die heutige Landwirtschaft und nur 11 Prozent sagen von sich, dass sie von moderner Landwirtschaft Ahnung haben.“ Das sei ein Fehler, den die Branche heute korrigieren müsse. Das sei daraus zu folgern, was aber „nach dem Geschehen sehr schwer ist.“ Zu den Veränderungen in Landwirtschaft und Tierhaltung komme noch die Entwicklung von Bevölkerungsstruktur und Wohlstand. Wachsender Wohlstand führe in Entwicklungsländern zu steigendem Fleischkonsum, in entwickelten Ländern zusammen mit einer älter werdenden Bevölkerung zu einem geänderten Ernährungsverhalten. In Deutschland beispielsweise habe der Verzehr von Fleisch insgesamt allein seit 2011 um 1,4 Prozent abgenommen, der von Fleischwaren und Wurst um 2,3 Prozent. Verzehrszunahme erfolgte bei Kalb, Lamm und Geflügel, was aber religiös bedingt auch auf Einwanderer zurückzuführen sei.

Standorte orientieren sich an der Wertschöpfungskette

Die Tierhaltung werde aber auch zukünftig dort angesiedelt bleiben, wo die erforderlichen Voraussetzungen und das Wissen über die ganze Wertschöpfungskette verfügbar sind, ist Häuser überzeugt. Voraussetzung dafür sei aber die Akzeptanz in der Bevölkerung, „die Leute müssen mitgenommen werden.“ Ohne Verständnis und Akzeptanz regt sich Widerstand in der Bevölkerung mit Bürgerinitiativen gegen Stallneubauten und der Folge langer Genehmigungsverfahren.

Medien machen Tierschützer zu Tierrechtlern

Die Ablehnung jeglicher Tierhaltung gebe es bei bestimmten Gruppierungen bereits, unterstützt teilweise von Medien, und aus Tierschützern werden Tierrechtler. „Die Branche beginnt zu agieren und nicht nur zu reagieren“, sei erfreulicherweise festzustellen. So beispielsweise die Informationsplattform über die industrielle Tierhaltung „Massentierhaltung Aufgedeckt“ oder die Community von rund 150 deutschen Landwirten, die als Ansprechpartner für Verbraucher in einer geschlossenen Facebookgruppe organisiert seien.

Diese vereinzelten Initiativen reichten aber ebenso wenig aus, wie die Vielzahl internationaler oder nationaler sogenannter Labels wie fairtrade, global animal, demeter oder bio, um die Wünsche der Gesellschaft wie transparente Erzeugung oder hohes Maß an Tierschutz mit denen der Wirklichkeit wie QS-Systeme oder Herkunftssicherung in Übereinstimmung zu bringen und ihnen zu genügen.

Viele Projekte sind derzeit in Arbeit

Den erforderlichen Anforderungen genügen eher gebündelte Maßnahmen seitens des Berufsstandes und der Politik, die „teilweise schon laufen“, wie die der Deutschen Agrarforschungsallianz (dafa), die Brancheninitiative Tierwohl (ITW), der Zehn-Punkte-Fahrplan des BMEL und das Modell-und Demonstrationsvorhaben (MuD) Tierschutz.

Die dafa bündelt die Nutztierforschung und entwickelt in Einklang mit gesellschaftlichen Erwartungen ein strategisches Kon­zept für die Verbesserung der tiergerechten Haltung. Die Initiative Tierwohl hat als branchenübergreifendes Bündnis von Tierhaltern wie DBV, ZDS, ZDG und ISN , Fleischverarbeitern wie Tönnies oder Westfleisch sowie Einzelhandel wie Rewe, Edeka, Aldi und weitere die Ziele gemeinsamen verantwortlichen Handelns, der Anhebung des Tierschutzniveaus und des Abgehens von Differenzierungen über Labels an der Ladentheke. Zu fragen sei, wie weit das Geld reicht, das die angemeldeten zertifizierten Landwirte als Tierwohlzuschuss für ihre Schlachttiere erhalten. Zu erwarten sei auch, dass die von den teilnehmenden Betrieben erfüllten Normen als gesetzliche Vorlage für alle Tierhalter verwendet werden. Umgesetzt würden bereits Teile der Zehn-Punkte -BMEL-Initiative wie beispielsweise Prüf- und Zulassungsverfahren für Stalleinrichtungen, die Beendung nicht-kurativer Eingriffe bei Nutztieren, die Weiterentwicklung des Tierschutzes bei der Schlachtung von Tieren oder die Begrenzung der Zahl der Versuchstiere.

Tierwohl ist Herausforderung und zugleich eine Chance

Festzuhalten sei, dass sich die landwirtschaftlichen Betriebe mit gestiegenen Standards und höheren Anforderungen bei der Tierhaltung auseinandersetzen sowie beständig an der Akzeptanz arbeiten müssen. Dabei müssen Zielkonflikte mit dem Umweltschutz abgewogen und die Schwerpunkte auf „qualitatives Wachstum“ gelegt werden. Das bedeute aber auch: „Die ökonomische Grundlage der Betriebe, also Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit, müssen gegeben sein.“ Insgesamt komme es darauf an, das Tierwohl als Herausforderung und Chance anzunehmen und „nicht als böses Ãœbel“ zu betrachten.

Rü  – LW 13/2015