Die Vorstellungen zum Tierwohl bei landwirtschaftlichen Nutztieren liegen bei Landwirten und Verbrauchern zum Teil weit auseinander. Auf der einen Seite steht die fachliche und wirtschaftliche Sicht, auf der anderen eine eher emotionale Sichtweise. Das Landwirtschaftliche Wochenblatt sprach darüber mit Dr. Gerhard Quanz, Fachgebietsleiter Fachinformation Tierhaltung am Landwirtschaftszentrum Eichhof des Landesbetriebs Landwirtschaft Hessen (LLH).
Welchen Fragen begegnen Sie, wenn Besucher auf dem Eichhof die neu gestaltete Sauenhaltung sehen?
Dr. Gerhard Quanz: Bei den Landwirten sind die Fragen meist fachlicher Natur. Von Verbrauchern hört man eher: „Warum sind nicht alle Schweine schon auf Stroh?“ Die Vorstellung von der Haltung der Tiere auf Stroh ist beim Verbraucher sehr gefestigt. Wenn man von Tierwohl spricht, hat der Verbraucher meist die Vorstellung, die Kuh ist auf der Weide und wenn sie in den Stall geht, findet sie einen Strohstall vor. Auch die Schweine sehen die Verbraucher lieber auf Stroh als auf Spaltenböden.
Im Deckzentrum des Lehrschweinestalls auf dem Eichhof laufen die Sauen jetzt frei, werden nur noch für einen kurzen Zeitraum fixiert, zudem wurden die Kastenstände vergrößert. Wie wird dieser Fortschritt wahrgenommen?
Quanz: Für Fachbesucher ist die jetzt erfolgte Umgestaltung natürlich eine gute Lösung: Dass wir von Kastenstand auf Gruppenhaltung umgestellt haben, dass die Tiere in Bewegung sind und nur noch wenig Zeit in ihrem Produktionszyklus wirklich auf einem kleinen Standraum fixiert sind. Aber verbraucherorientierte Besucher nehmen den Fortschritt für das Tierwohl eigentlich nicht wahr. Wenn diese Besucher in den Stall schauen, dann erkennen sie nach wie vor Kastenstände und wenig Platz für die Tiere. Ich erkläre ihnen dann: Früher standen die Sauen 28 Tage auf einer Stelle, jetzt haben sie Bewegung. Dieser für Fachleute erkennbare Fortschritt in dem Raum ist für diese Besucher aber so nicht wahrnehmbar und man bekommt immer noch Rückkopplungen wie diese: Was hat das mit Tierschutz und Tierwohl zu tun, wenn sie weiterhin im geschlossenen Stall mit Kastenständen sind?
Die tragenden Sauen wechseln dann in einen großen Gruppenstall auf Stroh, wie ist die Reaktion darauf?
Quanz: Wenn wir dann weitergehen zum Strohstall, ist die Reaktion immer: Ja, das ist es, so soll das aussehen. Wenn die Sauen im Stroh liegen, das finden alle gut.
Der Verbraucher entscheidet nach seinem optischen Eindruck. Was ist daran falsch?
Quanz: Tierschutz sollte weniger vom Haltungsumfeld, sondern vom einzelnen Tier ausgehen. Dafür haben wir verschiedene Kriterien, die heute auch Teil der Eigenkontrolle sind. Wir sollten jedes Haltungssystem vom Tier aus beurteilen und nicht aus unserer menschlichen Sicht, wir sollten also fragen: Wie wohl fühlt sich das Tier in dieser Umgebung? Meistens nehmen die Menschen aber wahr, wie die Umgebung gestaltet ist und fokussieren gar nicht das Tier.
Können Sie ein Beispiel nennen aus der Sauenhaltung?
Quanz: Nehmen wir unseren Gruppenstall mit 60 Sauen. Wenn wir umgruppieren, gibt es immer eine Phase, in welcher die Tiere ihre Rangkämpfe austragen, sie fetzen sich und manche werden dabei auch verletzt, vor allem an der Haut. Wir sprechen dann von Integument-Verletzungen. Wenn ich das Haltungssystem vom Tier her beurteile, müsste ich das negativ veranschlagen. Aber der Mensch nimmt es anders wahr. Denn später, wenn wieder Ruhe eingekehrt ist, können die Sauen schön im Stroh liegen und das wiederum wird vom Menschen positiv beurteilt.
Wenn Verbraucher das schön finden, warum macht es dann nicht jeder?
Quanz: Die Frage lässt sich sehr einfach beantworten: Arbeitswirtschaftlich stellt die Strohwirtschaft zusätzlich zur Güllewirtschaft den Landwirt vor große Probleme. Der Betrieb müsste den erheblich höheren Aufwand für die Bewirtschaftung von Strohställen durch deutlich höhere Preise wieder hereinbekommen, das gelingt aber nur den wenigsten Schweinehaltern im konventionellen Bereich. Für uns als Ausbildungsstätte gilt deshalb: Wir schulen das System, das im Moment am häufigsten vorkommt, aber wir geben auch einen Ausblick auf zukünftige oder alternative Haltungsformen. Geplant ist jetzt noch ein Auslauf im Freien vor dem Deckzentrum für die Sauen, dort haben die Tiere mehr Bewegung in frischer Luft und unterlegene Tiere können sich bei Rangkämpfen besser zurückziehen.
Und wie beurteilen Landwirte die anstehenden Änderungen?
Quanz: Für die Landwirte sind die Umsetzungsvorschläge, die jetzt anstehen, auf jedem Hof verschieden zu betrachten. Landwirte haben investiert und sie kümmern sich im Prinzip erstmal um Refinanzierung ihrer Investitionen, diese müssen ja über die Einnahmen zurückfließen. Wenn ich ein Haltungssystem aber ändern muss, muss ich in der Regel etwas umbauen. Okay, man kann es ohne Investitionskosten ändern und an den gesetzlichen Standard anpassen, aber dann verlieren die Sauenhalter sehr viele Tierplätze und erheblich an Deckungsbeitrag (siehe Variante 2 im Bericht von vergangener Woche, Seite 33). Also muss ich investieren. Und dann geht es um Liquidität, um Gewinn und so weiter. Wenn jemand gerade erst investiert hat, ist keine Begeisterung für Umbaulösungen da. Eigentlich geht es darum, dass wir die Investitionen schützen und sagen: Ich habe eine Übergangsfrist von 10 bis 15 Jahren und so lange läuft das System weiter, wie es genehmigt wurde. Alle die neu bauen, müssen jedoch die neuen Standards erfüllen. Für die Landwirte ist entscheidend: Auf die lange Strecke muss die Sicherheit für ihre Investitionen gegeben sein. Landwirte sind ja auch Unternehmer, die sich wirtschaftlich verhalten müssen.
Und wie war das in den zurückliegenden Jahren?
Quanz: Die Ferkelerzeugung hatte viele Jahre, in denen über die Einnahmen die Kosten nicht gedeckt werden konnten. Die wirklichen Topbetriebe haben vielleicht noch kleine Gewinne gemacht. Aber so läuft ja ein solches System nicht. Ich brauche entsprechende Gewinne, um meine Investitionen rückzufinanzieren, auch für die Zukunft Rücklagen zu bilden und genug Einkommen für die Familien zu erzielen. Dem Tierschutz geht der Fortschritt bei diesen langen Übergangszeiten natürlich nicht schnell genug. Aber wenn wir die neue Tierschutznutztierhaltungsverordnung bekommen, werden Übergangsfristen Teil dieser sein und die brauchen die Landwirte zum Schutz ihrer Investitionen.
Die Fragen stellte Michael Schlag – LW 30/2019