Die Getreide- und Winterrapserträge liegen auch im Landkreis Marburg-Biedenkopf wie auf allen bisher geernteten hessischen Standorten in diesem Jahr zum Teil extrem auseinander. Haupteinflussfaktor ist auch hier die Trockenheit, die den Unterschied in der Bodengüte sehr deutlich werden lässt. Dies hat der Kreisbauernverband Marburg-Kirchhain-Biedenkopf am Dienstag der Presse auf dem Hof der Familie Henz in Marburg-Moischt erklärt. Die KBV-Vorsitzende Karin Lölkes wies auf den fortschreitenden Strukturwandel im Landkreis und insbesondere auf die stark abnehmende Schweinehaltung hin. Sie und ihre Vorstandskollegen sowie der Vizepräsident des Hessischen Bauernverbandes, Volker Lein, nutzten die Gelegenheit, um Wertschätzung für die Arbeit der Landwirte und für ihre Erzeugnisse einzufordern.
Der Betrieb von Rainer Henz liegt am Rande des Ebsdorfergrundes, einem sehr guten Ackerbaustandort, im Übergang zu den Lahnbergen. Aufgrund der unterschiedlichen Bodenverhältnisse streuten bei ihm die Ernteergebnisse von 65 bis 90 Dezitonnen je Hektar bei Wintergerste und beim Weizen noch extremer von 25 bis 105 Dezitonnen. Der hohe Ertrag wurde auf Lösslehm mit 85 Bodenpunkten gedroschen. Neben Weizen und Gerste baut Henz Raps, Zuckerrüben Mais und Ackerbohnen an. Die größte Sorge bereitet ihm die zunehmende Futterknappheit. Da es bereits das dritte Trockenjahr in Folge ist, sind die Vorräte bald aufgebraucht. Künftig muss noch mehr Ackerfutter angebaut werden für die Angusrinder, die die Familie züchtet. Die Rinder würden mittlerweile auf einer Steppe grasen, so Henz. Dabei sei das Gras von guter Qualität, allerdings von geringer Quantität. Kreislandwirt Frank Staubitz bestätigte die deutlichen Ertragsunterschiede, die er im Raum Marburg beispielsweise bei der Wintergerste auf 50 Prozent veranschlagte. Die Rapsernte im Landkreis bezeichnete er als relativ zufriedenstellend.
HBV-Vizepräsident Volker Lein berichtete der Presse ebenso über extreme Ertragsunterschiede in ganz Hessen. Der Weizen sei zum Teil durch die Niederschläge im Juni gerettet worden, bei insgesamt durchschnittlichen Erträgen.
Weniger Pflanzenschutzmittel nötig
Die Trockenheit habe dazu geführt, dass Nährstoffe für die Pflanzenwurzeln nicht verfügbar waren, wie LLH-Pflanzenbauberater Herbert Becker erklärte. Ein Gutes hatte die Trockenheit allerdings. Es gab insgesamt wenig Pflanzenschädlinge und -krankheiten. Dementsprechend habe man weniger oder gar keine Pflanzenschutzmittel einsetzen müssen, so Becker. Die Kälteperioden im Mai und Juni waren für die Ertragsbildung eher positiv. Allerdings kam es insbesondere am 12. Mai zu Spätfrost, der bei der Wintergerste, zu dieser Zeit an vielen Standorten in der Blüte, zu Taubährigkeit geführt hat. Dieses Phänomen habe man bislang in diesem Ausmaß nicht beobachtet.
Fortschreitender Strukturwandel
Karin Lölkes wies die Presse auf den fortschreitenden Strukturwandel hin. Gab es 2010 noch 816 schweinehaltende Betriebe im Landkreis so wurden 2020 nur noch 323 Betriebe gezählt, ein Rückgang von rund 60 Prozent. Die Anzahl der Schweine ist gleichzeitig von rund 41 000 auf 21 500 zurückgegangen. Extrem ist der Rückgang bei den sauenhaltenden Betrieben, deren Zahl im selben Zeitraum von 138 auf 36 gesunken ist. Gab es 2010 noch 2 221 Zuchtsauen, so sind es 2020 nur noch 590.
Bei den rinderhaltenden Betrieben ist der Rückgang geringer. Deren Zahl ist von 793 Betrieben auf 580 gesunken. Die Anzahl der Rinder sank in diesem Zeitraum von 31 525 auf 27 066. Bei einer Besatzdichte von 0,6 Großvieheinheiten pro Hektar gebe es mit der Tierhaltung keine Probleme, betonte Lölkes.
Verantwortung für Nutztiere nicht nur beim Landwirt
Mit Blick auf die öffentliche Diskussion forderte sie eine Nutztierstrategie, die von den Verbrauchern akzeptiert werde und den Tierhaltern Planungssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen gebe. Die Verantwortung für die Tierhaltung liege nicht nur bei den Bauern, sondern auch bei den Verbrauchern. Lölkes sprach hier von einer Verantwortungsgemeinschaft. Von seinen Schwierigkeiten berichtete Bernd Möller aus Kleinseelheim. Er mästet 3 000 Schweine und schlachtet und vermarktet selbst. Aufgrund der beträchtlichen Unterschiede bei den Beschaugebühren in den Landkreisen erlebt er einen erheblichen Wettbewerbsnachteil. Während er 13 Euro Beschaugebühren pro Schwein zahlt, liegen die Gebühren im Nachbarkreis nur bei 7,50 Euro, bei Tönnies sei das nur ein Bruchteil. Um die hohen Auflagen an die Schlachtstätten zu erfüllen, investiert er zudem jedes Jahr 20 000 Euro. Die Öffentlichkeit forderte zwar eine regionale Vermarktung, angesichts dieser Wettbewerbsnachteile sei diese Forderung nicht reell.
Anstrengungen für Artenvielfalt
Die Vorsitzende Lölkes verwies ebenso auf die Anstrengungen der Landwirte für die Artenvielfalt und Insektenschutz. Allein 600 Hektar Blühflächen seien im Rahmen von Agrarumweltmaßnahmen angelegt worden. Die gleichen Anstrengungen für den Artenschutz forderte sie auch von der Allgemeinheit ein, etwa durch die Reduzierung des Flächenverbrauchs und der Lichtverschmutzung. In der Vertretung der Landrätin sprach Karin Szeder, ehrenamtliche Kreisbeigeordnete, einen Dank an die Bauern aus. „Wir sind auf Sie angewiesen, ohne Sie würden wir verhungern.“
Der Landkreis Marburg Biedenkopf zählt derzeit 1 570 landwirtschaftliche Betriebe, die auf einer Fläche von insgesamt 49 000 Hektar, davon 30 000 Hektar Ackerland, wirtschaften. Zu 18 Prozent werden die Betriebe im Haupterwerb bewirtschaftet. Der Landkreis zählt rund 100 Milchviehbetriebe.
CM – LW 32/2020