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Wie Wetterextreme die Weinsensorik beeinflussen

Tempus vini – Weinbruderschaft Rheinhessen online

Die Weinbruderschaft Rheinhessen (WBS) nennt ihre Online-Veranstaltungen, die seit der Corona-Pandemie stattfinden, „Tempus Vini“. Im Mittelpunkt der gut zweistündigen Zoom-Videokonferenz mit mehr als 50 Teilnehmern stand ein Impulsreferat des Oenologie-Professors Dr. Ulrich Fischer vom Weincampus in Neustadt zu Auswirkungen von Wetterextremen auf die Weinsensorik“.

Trockenstress in den Weinbergen, hier im Roten Hang bei Nierstein, und extremes Niedrigwasser am Rhein im Sommer 2018. Foto: Jörg Weiand

Wegen der Corona-Pandemie hat die Weinbruderschaft Rheinhessen ein Online-Format ins Leben gerufen und nennt dies Tempus vini. Brudermeister Prof. Dr. Axel Poweleit freut sich auf diese Weise eine Online-Brücke zu den Mitgliedern zu schlagen. Grundsätzlich sei klar: „Weinkultur geht nur in Präsenz.“ Poweleit erinnerte an die drei Präsenzveranstaltungen, die im vergangenen Jahr durchgeführt werden konnten.

Die dritte Veranstaltung der Reihe „Tempus Vini“ fand als gut zweistündige Zoom-Videokonferenz mit mehr als 50 Teilnehmern statt. Im Mittelpunkt stand ein Impulsreferat des Oenologen und Weinsensorikers Prof. Dr. Ulrich Fischer vom Weincampus in Neustadt. Dieser beleuchtete die Auswirkungen von Wetterextremen auf die Weinsensorik.

Prof. Dr. Fischer formulierte Thesen, die für die Zukunft des Weinbaus richtungsweisend sein können: „Wir müssen die Biodiversität in den Weinbergen und in den Böden fördern. Denn mit der größeren Biodiversität bekommen wir resilientere Systeme, die auch stärkere Ausschläge aushalten können.“

Begrünung und Humusaufbau seien wichtige Maßnahmen, um die Widerstandsfähigkeit des Systems Weinberg zu erhöhen, um die Probleme des Klimawandels besser in den Griff zu bekommen.

Traubenlese immer früher unf immer kürzer

Die globale Erwärmung habe dazu geführt, dass der Austrieb inzwischen zehn Tage früher erfolge als noch vor 30 Jahren. Die Blüte sei nun rund 15 Tage früher zu beobachten, mitunter schon Ende Mai oder in der ersten Dekade des Junis. Auch der Reifebeginn rücke nach vorne und habe 2018 dazu geführt, dass in der Pfalz am 5. oder 6. August die ersten Sektgrundweine geerntet wurden.

Die frühere Reife führe dazu, dass die Zeit der Lese immer kürzer werde: „Die Trauben, die früher schön langsam vor sich hingereift sind, sodass wir erst am 3. oder 10. Oktober mit der Rieslingernte begonnen haben, sind nun am 3. September reif. Und alles, was danach folgt, wird immer schneller und fast zur selben Zeit reif“, beschrieb Fischer ein Problem, das mit dem englischen Begriff „Harvest Kompression“ zusammengefasst wird.

Die frühe Reife führe zu einem doppelten Dilemma: Bei früherer Ernte herrschen auch höhere Temperaturen als im Oktober. Das stelle die Betriebe in der Pfalz und in Rheinhessen vor enorme organisatorische Herausforderungen: Genossenschaften und größere Weingüter müssen erheblich in die Logistik investieren, um die Trauben in deutlich kürzerer Zeit annehmen und ordentlich verarbeiten und gekühlt vergären zu können, so Fischer.

Zu hohe Alkoholgehalte als Folge des Klimawandel

Eine technische Möglichkeit, zu hohe Alkoholgehalte als Folge des Klimawandels aufzufangen, ist der Entzug von Alkohol mithilfe hydrophober Membranen oder größerer Kombinationsgeräte mit Nano-Filtration. Jörg Weiand mache dazu viele gute Versuche beim DLR in Oppenheim. Durch Entzug von Alkohol werde der Wein etwas weicher, auch die Bitterkeit und Länge ließen nach.

„Ich verstehe nicht, warum diese Technologie nicht öfter eingesetzt wird und wir immer wieder Weine mit 14,5 oder gar 15 % vol. bekommen“, gestand der Referent.

Weinprobe mit Cabertin und Silvaner

Der Abend wurde durch zwei Weine begleitet, die Bruderrat und Kellermeister Andreas Hattemer ausgewählt hatte. Eingangs gab es einen schon etwas gereiften 2018er Cabertin Rotwein trocken (13,0 % vol.) zu verkosten. Cabertin ist eine relativ neue, pilzwiderstandsfähige Rebsorte, die 1991 durch den Schweizer Valentin Plattner aus Cabernet Sauvignon und Resistenzpartnern gekreuzt wurde. Der klein- und lockerbeerige Cabertin vereinige den Wohlgeschmack der europäischen Rebe mit der Resistenz der nordamerikanischen Reben. Zudem zeichne ihn eine hohe Winterfestigkeit aus. Der Cabertin mit internationalem Weinstil kam bei der Weinbruderschaft gut an, besonders nachdem er in den Gläsern etwas Luft bekommen hatte.

Eine Online-Abstimmung ergab, dass die meisten Teilnehmer den Piwi-Sorten aufgeschlossen gegenüber stehen, aber der Ansicht sind, dass sie an die Qualität der klassischen Rebsorten nicht heranreichen. Hattemer hat bei Verkostungen schon andere Erfahrungen gemacht und appellierte an die Runde, bei Winzern und in der Gastronomie aktiv nach Piwis nachzufragen und diese zu verkosten. Nur wenige Stimmen lehnten Piwis grundsätzlich ab.

Der zweite Wein war ein 2020er Silvaner trocken (13,0 % vol.) vom Weingut Posthof Doll-Göth in Stadecken-Elsheim. Wie Roland Doll sagte, ist Silvaner eine Leitsorte in seinem Betrieb und in den vergangenen Jahren zu den frühreifen Sorten gestoßen. Die frühe Lese wirke sich positiv auf den Wein aus, während beim Riesling eine zu frühe Lese eher problematisch sei.

Eine Umfrage zum Minimalschnitt zeigte, dass einige Teilnehmer Probleme mit der Ästhetik der scheinbar vernachlässigten Rebanlagen haben. Die allermeisten Weinbrüder und -schwestern haben aber Verständnis, dass die klimatischen Herausforderungen mit geeigneten Mitteln angegangen werden müssen: „Und da ist der Minimalschnitt ganz klar eine Option, auf Extremwetterereignisse und den Klimawandel einzugehen“, erklärte Andreas Hattemer, Winzer und Vorsitzender des Verbands Ecovin.

Norbert Krupp – LW 10/2022