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Beim Sattlermeister

Pferdesattler Helge Hänning bewahrt altes Handwerk

Er ist einer der Wenigen seines Standes. Pferdesportler und Freizeitreiter geben sich bei Helge Hänning die Klinke in die Hand. Seine Meinung ist den Pferdeleuten wichtig, denn guter Sitz ist das A und O für Reiter und Pferd.

Ledergürtel aus eigener Produktion. Foto: Sylvia von Canstein
Der Sattlermeister fertigt nicht nur Reitzubehör, sondern auch Gürtel, Hosen und Westen. Foto: Sylvia von Canstein
Optimierte Technik zum Polstern der Kundensättel. Foto: Sylvia von Canstein
Das Angebot an Zügeln, Halftern und Trensen ist groß. Foto: Sylvia von Canstein
Fingerfertigkeit gefragt: Helge Hänning näht Zaum und Schlaufen mit der Hand. Foto: Sylvia von Canstein

Sattlermeister Helge Hänning betreibt eine vielseitige Sattlerei in dem ehemaligen Kavaliershaus des Wildecker Schlosses zwischen Raßdorf und Machtlos in Nordhessen. Pferdekoppeln und Natur erfreuen den Besucher schon auf der Zufahrtsstraße des Anwesens. Die Arbeit des Sattlers beginnt meist draußen, beim Pferd und mit dem Reiter. Peter Wulff, der erste Kunde des Tages, bringt einen Sattel und holt nach ausführlicher Beratung seine Quarter Horse Stute „La Gordita Gorda“ zur Anprobe. Er gehört seit vielen Jahren zur Stammkundschaft und hat bereits viele nützliche Tipps von „seinem“ Sattler übernommen. „Wir erwarten von unseren Pferden, dass sie gymnastizieren und tuen es selbst nicht. Da ist eine ehrliche Bestandsaufnahme und ein offenes Wort meist der Schlüssel zum Reiterglück“, sagt der passionierte Reiter.

„Ein Sattel passt nicht das ganze Pferdeleben“

Die intensive Beratung ist für Helge Hänning die Voraussetzung, um mit seiner Arbeit zu beginnen. „Ich schaue mir immer das Pferd an. Ein Sattel passt nicht das ganze Pferdeleben. Der Körper des Tieres verändert sich mit der Zeit und muss neu angepasst werden. Ein Sattel, der nicht sitzt, bereitet dem Pferd Schmerzen und dem Reiter Verdruss, weil er nicht die gewünschten Anforderungen erfüllen kann“, erklärt Helge Hänning. Er hat die Biomechanik des Pferdes komplett im Blick. Der Reiter als Teil eines Zweierteams wird von ihm ebenfalls unter die Lupe genommen. Was hat der Reiter für eine Körperspannung, hat er Übergewicht, wie fit ist er? Es sind viele Faktoren, die ein guter Sattler beachten und notfalls ausgleichen muss. Das offene Beratungsgespräch ist Voraussetzung und basiert auf Ehrlichkeit, die ihm seine langjährige Kundschaft dankt. „Wenn ich Pferd und Reiter über Jahre begleite, freue ich mich immer, wenn eine positive Entwicklung stattfindet“, sagt er.

Hilfreiches Netzwerk

Nach mehr als 30 Jahren Berufserfahrung hat Helge Hänning den Blick für Mensch und Tier. Man sieht dem sympathischen Mann seine Erfahrung an. Entspannte Ruhe strahlt er aus am Pferd und bei seiner Tätigkeit in der Werkstatt. Die Räume hinter dem großen Holztor sind aufgeräumt, zahlreiche Werkzeuge hängen aufgereiht an den Wänden. Es riecht nach Leder und Pferd, ein Ofen strahlt wohlige Wärme aus. Wenn er nicht gerade auf seinem Nähross sitzt, arbeitet Hänning im Stehen. An seinem großen Arbeitstisch steht der Sattlermeister und polstert einen alten Sattel auf. Mit seiner ihm eigenen Technik schiebt er Watte mit einem Metallstab über eine Schiene in das Polster, um es anschließend passend zu kneten. Dabei entstehen weniger Löcher in der Polsterung und Knötchenbildung wird verhindert. „Jeder Sattler bevorzugt die Technik, mit der er erfolgreich ist. Ich diskutiere meine Arbeit oft in einem größeren Netzwerk zu dem auch Pferdeosteopaten, Schmiede, Tierärzte und natürlich Sattler gehören.“ Das Netzwerk ist ihm wichtig und durch die fachübergreifende Kommunikation kennt er sich bestens mit dem Bewegungsapparat des Pferdes aus. Längst sind medizinische, anatomische und handwerklich praktische Kenntnisse zu dem Gesamt-Know-how geworden, die man als Pferdemanagement bezeichnet.

Tradere

Die Sattlerei Tradere befindet sich im Wildecker Forst 2, in Wildeck-Raßdorf. 06678-399 und 0160-6627734. Infos unter: www.tradere.de/index.php.

Von der Ausbildung bis zur Selbstständigkeit

Die Entscheidung, das Sattlerhandwerk zu erlernen, entstand spontan beim Mittagessen. Da war Helge Hänning 15 Jahre alt. Zunächst war es sein Wunsch Pferdezüchter zu werden, doch dafür hätte er volljährig sein müssen. Das Schmiedehandwerk war „nicht sein Ding“, aber mit Pferden wollte er arbeiten. Nach seiner abgeschlossenen Lehre bei einem alten Meister der Zunft bekam er von seinen Eltern erste Werkzeuge und das Nähross geschenkt, mit dem er heute noch arbeitet. Er absolvierte fünf Gesellenjahre und bestand die Meisterprüfung im Jahre 1993. „Eine Zeit, die man braucht, um eine gute Berufserfahrung zu erlangen“, erinnert er sich. Im Jahr 2000 machte sich Helge Hänning mit der Manufaktur Tradere selbstständig.

Das Wort Tradere stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „bewahren“. Dieser Firmenname ist Programm in seiner Sattlerei. Er will Traditionen bewahren und hat dennoch sein Handwerk den Anforderungen der Zeit angepasst. Damit hat er sich spezialisiert auf das, was er am besten kann, und sich längst einen Namen gemacht. Der Einzugsbereich seines kleinen Handwerksbetriebes hat einen Radius von 120 Kilometern. Seine Kundschaft findet bei ihm neues Zaumzeug für Pferde aller Rassen und Größen, Sättel und Trensen und ein Lederlager, das für zahlreiche Aufträge ausreicht. Hännings Produkte sind jenseits von Wegwerfware, denn der Sattler hat seine eigene Arbeitsphilosophie: „Solange es geht, wird restauriert, erhalten und wiederhergestellt. Kommt ein Kunde mit einem alten Sattel, der seine Zeit hinter sich hat, sage ich ihm auch das. Dann hat er die Wahl zwischen einem neuen Sattel von mir oder einem Sattel aus anderer Herstellung, den ich ihm optimiere“, erklärt Helge Hänning.

Longiergurte, Ropemaster und Kofferecken

Durch seine langjährige Berufserfahrung kann sich Helge Hänning bestens auf die Bedürfnisse seiner Kundschaft einstellen und hat dabei eigene Produkte entwickelt. Aus eigener Produktion bietet er einen Longiergurt mit extra weicher Polsterung und überdurchschnittlich viele Ösen an. Außerdem den „Ropemaster“, ein Zügel, der schnell einsatzbereit ist und sich durch eine Lederverbindung zum Pferdemaul auszeichnet. Westernreiter schwören auf Hännings Eigenproduktion, da über Gewicht geritten und „Geklimper“ im Pferdemaul vermieden wird.

Die Cabriofans schätzen Hännings Fähigkeit, aus einem alten Koffer ein elegantes mit neuen Ecken versehenes Einzelstück für den Oldtimer zu schaffen.

Besondere Reitsportartikel wie edle Halfter und Trensen finden sich bei Hänning in ausgefallenen Farben wie cognac oder bordeaux.

Gürtel, Taschen, Westen und Jacken aus Leder

Das Material Leder ist für ihn etwas ganz Besonderes und so hat er im Laufe der Zeit auch Gürtel, Taschen, Hosen, Westen und Jacken hergestellt. Edel, funktional und maßgefertigt sind seine Anfertigungen aber zum Bedauern der Kunden nur selten zu haben, da seine Zeit meist für die Pferdesattlerei benötigt wird.

 Sattler haben Konjunktur

Helge Hänning hat in den Jahren eine Wandlung in seinem Arbeitsfeld erlebt. Der Sattlerberuf hat sich geändert, weil sich die Nutzung der Pferde und die Ansprüche der Reiter verändert haben. Immer wieder kommt es vor, dass er Reiterfehler am Sattel korrigieren muss. Waren die Reiter anfangs skeptisch, nehmen sie heute seine Ratschläge gerne an. „Die Reiter sind sensibler geworden. Inzwischen gibt es viele Mixpferde, sodass eine individuelle Sattelanpassung immer wichtiger wird“, erklärt er. Deswegen haben die Reitsattler Konjunktur und auch die Geschirrsattler erfahren derzeit eine Renaissance. Der Sattlerberuf ist also keineswegs vom Aussterben bedroht, sondern eher wiederbelebt durch den Reitsport.

Helge Hänning will nun sein Wissen weitergeben. Im kommenden Jahr wird er erstmals eine Sattlerin ausbilden. Er weiß, wie wichtig eine breit gefächerte Ausbildung im Handwerk ist. In Erinnerung an seine eigene Lehrzeit wird er auch im Ausbildungsbereich die Traditionen erhalten und viel vermitteln, was die „alten Hasen“ noch wussten.

Sylvia von Canstein – LW 50/2014