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Betrieben in Südhessen geht Wasser und Fläche aus

„Landwirtschaft im Gespräch“ beim Hessentag 2017

Im Zuge des Hessentags in Rüsselsheim hat vorige Woche das hessi­sche Landwirtschaftsministerium zum Diskussionsabend „Landwirtschaft im Gespräch“ nach Bauschheim geladen. Staatssekre­tä­­rin Dr. Be­atrix Tappeser sprach mit 80 Teilnehmern über die Situa­ti­on der Landwirte in Hessen, ihre Erwartungen an die politischen Rahmen­bedingungen und aktuelle Konfliktfelder. Im wirtschaftsstarken Südhessen ist das vor allem für die Betriebe der Wassermangel bei stei­genden Kosten zur Beregnung. Außerdem der rapide Verlust an Feldern infolge des Nachfragebooms in der Region nach Flächen zur Bebauung, für die Infrastruktur und zum Ausgleich, wie in der Veranstaltung mit den Landwirten deutlich wurde.

Mit 80 Teilnehmern fand in der vergange­nen Woche im Zuge des Hessentages in Rüsselsheim-Bauschheim die Diskussionsveranstaltung „Landwirt­schaft im Gespräch“ des hessischen Landwirtschaftsministeriums statt. Foto: Moe
Podiumsdiskussion „Landwirtschaft im Gespräch“, von rechts: Dr. Thomas Hahn, stellvertretender Abteilungslei­ter für Landwirtschaft im Wiesbadener Ministerium, HBV-Präsident Karsten Schmal, Staats­sekretärin Dr. Beatrix Tappeser, Hans-Jürgen Müller (VÖL Hessen) und Pressesprecher Mischa Brüssel de Laskay. Foto: Moe

„Über 80 Prozent der Bürger nehmen Landwirtschaft als einen Garanten für Lebensmittel von hoher Qualität und Transparenz in der Produktion wahr.“ Mit diesem Statement eröffnete die Landwirtschaftsstaats­sekretärin die Veranstal­tung. Auch sprach sie von einer ausgeprägten Stadt-Land-Trennung, die zur Folge hat, dass das Bild über die Landwirtschaft in der Bevölkerung von den Medien bestimmt wird.

Klimawandel, Biodiversität und Wasserschutz

Wie wird künftig mit öffentlichen Geldern für die Landwirtschaft umgegangen? An Beispielen, wie in diesem Jahr dem Frost zur Erdbeerblüte oder der Schäden durch die Kirschessigfliege im Vorjahr sowie Ernteausfällen wegen Trockenheit, werde deutlich, wie abhängig die Landwirtschaft vom Klima sei. Der Klimawandel schlage sich nicht nur in den Einkommen der Landwirte nieder, sondern auch in einer sicheren Versorgung der Verbraucher mit Lebensmitteln. Sie erwartet in künftigen politischen Diskussionen, wie die Landwirtschaft zum Klima­schutz beitragen kann. Ihrer Ansicht nach geht es künftig stärker um Versicherungslösungen für Ernteausfälle infolge von Unwetterschäden. Es stelle sich die Frage, wie diese finanziert werden sollen, als Versicherungsgemeinschaft oder mit staatlichen Beihilfen. Auch gehe es darum, wel­chen Stellenwert zukünftig der Ökolandbau habe. In Hessen liegt der Anteil ökologischen Land­baus an der Fläche bei knapp 13 Prozent, bundesweit bei 7 Prozent. Zu den Aufgaben, die vor der Landwirtschaft liegen, gehören ihrer Ansicht nach weiterhin Biodiversitätsziele und Wasserschutz. Sie setze bei der Umsetzung auf den Dialog zwischen Gesellschaft, Landwirtschaft und Politik, um Vorgaben, wie des Düngegesetzes, das ab 2018 für alle landwirtschaftlichen Betriebe eine Stoffstromdokumentation (Hoftorbilanz) vorschreibe, zu erreichen.

8 Mio. Euro zur Stärkung regionaler Wertschöpfung

Weiterhin sprach sie über den „Runden Tisch Tierwohl“ des Landes Hessen. Außerdem, dass das mit über 8 Mio. Euro in den nächsten Jah­ren die Stärkung regionaler Wertschöpfungsketten fördern will. „Wir sollten dafür werben, dass die Verbraucher bereit sind, für gute Lebensmittel mehr zu bezahlen“, schloss Tappeser ihr Eingangsstatement ab. Ans Thema Lebensmittelpreise in Bezug auf die Nutztierhaltung und auf das Einkaufsverhalten, insbesondere bei Fleisch und Milch, knüpfte Karsten Schmal, Präsident des Hessischen Bauernverbandes, an. Schmal stellte fest: „Höhere Anforderungen ans Tierwohl kann es nur geben, wenn der Landwirt dann auch Geld verdient. Die Betriebe können die höheren Standards nur leisten, wenn sie dabei ebenfalls wirtschaftlich arbeiten können.“ Zum Thema Gentechnik sagte HBV-Präsident Schmal: „wir erfüllen die Kriterien, aber bekommen keinen Cent mehr für das Erzeugnis, das kann nicht sein.“ Er hob die Bedeutung der Offizialberatung in Hessen für die Betriebe hervor, welche vom LLH und vom Kuratorium für das landwirtschaftliche Beratungswesen in Hessen seiner Ansicht nach erfolgreich in der Praxis umge­setzt wird. „Wenn der Landwirt sich beraten lässt, ist er auch zu Veränderungen be­reit“, ist seine Erfahrung.

Die Landwirtschaft von heute muss erklärt werden

Die Agrarmärkte hätten sich zwar ein Stück weit erholt und insgesamt diskutiere es sich mit Blick auf die Erzeugerpreise etwas entspannter, aber in vielen Betrieben sei einiges an Verlusten angelaufen, die es nun aufzuholen gelte, damit sie weiterhin existieren könnten. Insgesamt stehe die Landwirtschaft weiter vor großen Herausforderungen. Schmal sagte: „Wer geglaubt hat, dass 2017 für die Landwirte ruhi­ger läuft, der hat sich getäuscht.“ Zum einen sei es die Witterung mit Frostschäden bei Erdbeeren und Kirschen, sowie den ersten Hagelschäden Anfang Ju­ni im Raps. Zum anderen ist es seiner Ansicht nach die zu geringe Wertschätzung der Leistungen der Landwirte, was sich in den vielen Lockangeboten und Preisschlachten der Discounter bei Lebensmitteln widerspiegele. Es sei nicht mehr allein ein Problem zwischen Stadt und Land, dass viele Menschen nicht wissen, wie moderne Landwirtschaft funktioniere. Das stellt Schmal auch bei Menschen auf dem Land fest, weshalb sein be­heimateter Kreisbauernverband Waldeck verstärkt Öffentlichkeitsarbeit in Schulen der Re­gion leiste und Lehrer sowie Schüler auf moderne Betriebe einlade, um ihnen die heutige Landwirtschaft zu erklären. Weiterhin sprach Schmal über den Landverlust als großes Problem. Derzeit plane Frankfurt am Main einen neuen Stadtteil von 550 ha „auf der grünen Wiese“ im Norden von Frankfurt auf allerbesten Böden. Für ihn bemerkenswert ist, dass von den 550 ha nur etwa 190 ha Wohnfläche sind, während für diese 190 ha circa 360 ha für zusätzliche Straßen sowie Einrichtungen und vor allem für den Ausgleich benötigt werden.

Weitere aktuelle Themen griff Schmal auf, mit denen der Berufsstand derzeit konfrontiert ist. So ging er auf die Novellierung der Düngeverordnung ein, die für die Betriebe unter anderem eine höhere Lager­kapazität infolge einer verkürzten Ausbrin­gungszeit von Gülle und Mist zur Folge hat. Die an erhöhte An­forderungen an die Betriebe gebundenen Baumaßnahmen sollten seiner Ansicht nach als Förderkriterien in das AFP aufgenommen werden. Viele Betriebe seien nicht in der Lage, für diese Investitionen die zusätzlichen Kosten selbst aufzubringen.

Ökolandbau auf Grünlandlagen konzentriert

Hans-Jürgen Müller, Sprecher der Vereinigung ökologischer Landbauverbände in Hessen (VÖL) sprach über die Entwicklungen im Ökolandbau. Der Anteil der Ökobetriebe und der Ökofläche sei nur moderat gestiegen. Der Ökolandbau in Hessen konzentriert sich auf die Grünlandregionen, sagte Müller. In Gunstregionen werde wenig umgestellt. Mit der Etablierung eines Versuchsfeldes an einem Gunststandort in Bad Homburg will man erreichen, dass der Öko­landbau in den Ackerbauregionen stärker wird. Kritisch äußerte sich Müller zur Änderung der EU-Ökoverordnung. Aus seiner Sicht verschlechtert die Revision der Ökoverordnung den Stellenwert des Ökolandbaus, weil dann jeder Vorfall, der im Ökobetrieb eine Abweichung darstellt, wie zum Beispiel eine falsche Etikettierung, zusätzliche Prüfungen zur Folge hat. Er rech­ne mit 9 000 zusätzlichen Kontrollen, das führt zum „bürokratischen Wahnsinn“, so Müllers Fazit. Er kritisierte auch, dass im AFP die Förderung von Hack- und Striegeltechnik fehlt. Weiterhin, dass Vorschriften in Hessen für Schlacht- und Zerlegebetriebe von den Veterinärbehörden unterschiedlich ausgelegt werden. Ab 2019 müssen elektrische Betäubungsgeräte für das Schlachten eingesetzt werden, die den Stromfluss dokumentieren und etwa 5 000 Euro kosten. Für kleine Schlachtbetriebe sei das zu teuer.

Diskussionen sachlich führen

In der lebhaften Diskussion im Bürgerhaus Bauschheim wurden viele weitere Themen aufgegriffen, die den Landwirten auf den Nägeln brennen. Werner Stahl, Vorsitzender des Wasser- und Bodenverbandes Starkenburg, beklagte den starken Flächenverbrauch in Südhessen. Ein weiteres gravierendes Problem in der Region ist der Wasserbedarf der Rhein-Main-Region, der zur Grundwasserabsenkung im Hessischen Ried führt und zu steigenden Kosten für die Betriebe in der Beregnung. HBV-Präsident Schmal ging auf die Kritik an der Landwirtschaft ein, in Bezug auf die vom Bundesumweltamt veröffentlichte Mitteilung, in der vermeldet wird, dass in 27 Prozent der Brunnen in Deutschland ein steigender Nitratwert gemessen wurde. Daraus sind aus seiner Sicht sachlich verzerrte Darstellungen publiziert worden, beispielsweise „Das Grundwasser wird um 45 Prozent teurer.“ Wer die Mitteilung genau lese, stelle aber fest, dass 73 Prozent der Brunnen fallende Werte aufweisen. Der Bauernpräsident rief zu mehr Sachlichkeit in den Diskussionen über die Verantwor­tung der Landwirtschaft für Klima und Umwelt auf. Der Berufsstand nehme Vorwürfe ernst, erwarte aber gleichzeitig korrekt geführte Auseinandersetzungen.

Sebastian Glaser, Kreislandwirt Bergstraße, meinte, dass Ba­gatellgrenzen bei Verstößen in der Tierhaltung zu früh sanktioniert werden. Fehle zum Beispiel eine Ohrmarke beim Rind, könne das schon zu Kürzungen führen. In Bezug auf Cross-Compliance sei aus Sicht der Landwirte die Verhältnismäßigkeit oft nicht gegeben, unterstützte Schmal Glasers Argumentation, weil bereits bei geringer Beanstandung der Betrieb in eine höhere Kontrollroutine gelangt. Glaser sagte, immer mehr Flächen im Odenwald würden als Ausgleichsfläche der Ballungszentren Südhessens benutzt und mit Bäumen bepflanzt. Aus seiner Sicht rechtfertigt das aber nicht den Verlust landwirtschaftlicher Flächen im Odenwald, der auch Offenland brauche. Der im Landesentwicklungsplan anvisierte Flächenverbrauch von circa 2,5 ha pro Tag sei zu hoch.

Landwirtschaft in Hessen nicht weiter zurückdrängen

„Hessen Mobil und die Deutsche Bundesbahn halten sich nicht an die Begrenzung des Flächenverbrauces und suchen weiter den klassischen Ausgleich in der Fläche. Dadurch wird die Landwirtschaft gerade in Südhessen weiter zurückgedrängt“, unterstrich Armin Müller, Vizepräsident des HBV, die Kritik Glasers am zügellosen Flä­chen­verbrauch. Erich Stammfuß aus Bürstadt bezog sich auf Modellrechnungen des Regionalbauernverbandes Starkenburg, demnach gebe es in vier Genera­tionen in Südhessen keine Landwirtschaftsflächen mehr, wenn es bei dem starken Landverbrauch in der Region bleibe, wie bislang. Der Schlachthof in Mannheim soll geschlossen werden, beklagte Winfried Knaup vom Sonnenhof in Einhausen. Damit gehe ein Stück Regionalität und vor allem Wertschöpfung den Betrieben in der Region verloren. Hildegard Schuster, Präsidentin des Landfrauenverbandes Hessen, warb dafür, ein Schulfach „Landwirtschaft und Ernährung“ in Hessens Grundschulen zu etablieren.

Infrastruktur im ländlichen Raum erhalten

Martin Knaust aus Gudensberg, stellvertretender Agrarsprecher der Hessi­schen Landjugend, sprach über Perspektiven der Junglandwirte und ging auf das Thema der Landflucht in Nord- und Ost­hessen ein. Steht in Ballungsräumen wie Frankfurt oder in Städten wie Kassel und Fulda kaum ein Haus leer, läuft aber die Entwicklung im Werra-Meißner-Kreis oder in Hersfeld-Rotenburg in die entgegengesetzte Richtung. Das setze eine Kette negativer Folgen für die Ortschaften in Gang: die Infrastruktur verschlechtere sich, die Fahrt beispielsweise zum Hausarzt in die nächste Stadt werde mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufwendig. Dörfer würden aussterben und es werde nicht in die Erhaltung des Kanalsystems investiert. Auch sprach Knaust den geplanten Bau der K+S-Salzpipeline in die Oberweser an, womit der Boden über viele Kilometer aufge­rissen und in der Struktur geschädigt werde und fragte: „Warum wird die Salzpipeline nicht in die Werra gelegt?“

Moe – LW 25/2017