Kein Tag vergeht, ohne dass dramatische Berichte von Flüchtlingen in den Medien zu sehen und zu lesen sind. Was erwartet sie hier? Ein Beispiel, wie sich Ehrenamtliche auf dem Dorf einsetzen, um Flüchtlingen bei ihren ersten Schritten in unserem Land zu helfen, ist der dafür neu gegründete Verein „Flüchtlingshilfe Niddatal“.
Wie alles begann: Anfang 2014 erhielt die Stadt Niddatal den Zuweisungsbescheid vom Wetteraukreis, dass 21 Flüchtlinge in die Stadt kommen werden. Der Bürgermeister, Dr. Bernhard Hertel, lud Vereinsvorsitzende in das Alte Schulhaus in den Ortsteil Kaichen ein, um die neue Situation zu besprechen. Was können wir tun?, lautete die Frage. „Zunächst haben wir eine Kleiderspende organisiert“, erinnert sich Lothar Lösch (65). „Im Nachhinein betrachtet, war das ein völlig falscher Ansatz. Die Menschen benötigen ganz andere Unterstützungen, aber das konnten wir zu Beginn noch nicht einschätzen.“ Klar war allerdings, dass die Flüchtlinge Ansprechpartner benötigen. Wer kann sich für welche Aufgabe engagieren? Die Koordination der Aufgaben und Zuständigkeiten übernahm Erland Kalbhenn. Und schon nach Kurzem stand fest, dass sich die ehrenamtlichen Helfer zusammentun: Acht engagierte Bürger und Bürgerinnen gründeten den Verein „Flüchtlingshilfe Niddatal“. Mitglied Lothar Lösch erklärt: „Als eingetragener Verein sind wir in die Liste beim Oberlandesgericht eingetragen. Das heißt, es besteht die Möglichkeit, Zuweisungen von zum Beispiel Buß- oder Strafgeldern in die Kasse des Vereins zu bekommen. Außerdem sind alle Ehrenamtlichen der Flüchtlingshilfe über den Verein versichert.“
Unterkunft im Schulhaus
Das Alte Schulhaus in Kaichen wurde als Unterkunft für die Flüchtlinge hergerichtet. Sie kommen aus Somalia, Eritrea, Afghanistan, Pakistan, dem Irak, Syrien und Serbien. „Viele können mit Zeugnissen belegen, dass sie in ihrem Herkunftsland gut ausgebildet wurden. Sie erzählen von schrecklichen Schicksalen. Unsere Erfahrung ist, dass die Kinder die Umstellungen schneller verkraften als ihre Eltern und auch die Sprache schneller lernen. Mittlerweile sind schon vier Kinder hier zur Welt gekommen“, berichtet Lösch.
Seit Kurzem sind im Ortsteil Bönstadt weitere 14 Flüchtlinge in drei sanierten Wohnungen untergebracht. Alle Räumlichkeiten und die Infrastruktur zahlt die Stadt Kaichen. Angesichts der momentanen Sachlage ist davon auszugehen, dass die Stadt mindestens 30 bis 40 weitere Flüchtlinge aufnehmen muss.
Sprachkenntnisse sind das Wichtigste
„Wir sind mittlerweile ein Verein mit 30 Mitgliedern“, freut sich Lösch. Die Zuständigkeiten im Verein seien gut aufgeteilt. Das habe den Vorteil, dass sowohl die Flüchtlinge als auch die Ämter und Institutionen immer die selben Ansprechpartner vor Ort hätten, so der Vereinsvorsitzende Erland Kalbhenn.
Viele Vereinsmitglieder engagieren sich für die Deutschkurse der Flüchtlinge. „Unsere Sprache zu erlernen, ist mit das Wichtigste für das tägliche Leben“, so Lösch. Es gibt Mitglieder, die zuständig für Behördengänge sind, die nächsten für die medizinische Betreuung und weitere vermitteln den Flüchtlingen, welche Sitten und Gebräuche hierzulande üblich sind. Es gibt den Kontakt zur Friedberger Tafel, ebenso wie Mitglieder notwendige Fahrdienste organisieren, Ansprechpartner bei Kindergärten, Schulen und ortsansässigen Bildungseinrichtungen, den Kirchen und Banken sind. Es ist eine lange Liste mit Zuständigkeiten. Das zeigt, wie umfangreich die Unterstützungsangebote sind „und auch sein müssen“, so die Ehrenämtler. „Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: Zu uns nach Kaichen ist eine Frau mit Kind aus Eritrea gekommen. Ihr Mann ist noch dort. Sie steht nun mit Sprachschwierigkeiten vor der Herausforderung, Anträge zu stellen beziehungsweise Seitenweise Formulare ausfüllen zu müssen: bei der Kinderkasse in Gießen, der Unterhaltsvorschusskasse, beim Jobcenter. Sie muss Hartz IV beantragen, benötigt einen Antrag auf Zuschuss für die Kita plus Antrag für das Mittagessen. Ohne Unterstützung ist das nicht machbar.“
Tore für den FC Kaichen
Auf einer ganz anderen Ebene unterstützen einige Fußballer unter den Flüchtlingen die örtlichen Fußballvereine: Fünf Flüchtlinge sind seit der Fußball-Hinrunde in der Kreisliga A beziehungsweise B fester Bestandteil der beiden FCK-Mannschaften. Sie haben auch schon Tore geschossen. „Integration funktioniert super über den Fußball und das Vereinsleben“, sind sich alle Beteiligten einig.
Haupt- und Ehrenamt arbeiten Hand in Hand
Dass die Integration der Asylanten nicht ohne Ehrenamtliche gehe, mache schon allein folgende Zahl deutlich, informiert Lothar Lösch: „Für 210 Flüchtlinge im Kreis ist ein Sozialarbeiter zuständig. Die Ämter tun ihr Bestes und geben sich viel Mühe. Aber die Welle, die zu bewältigen ist, überrollt sie. Die Kooperationen zwischen unserem Verein und den Ämtern klappt glücklicherweise sehr gut!“, lobt der Ehrenamtliche. Aus dem Rathaus heißt es daher auch: „Wir bauen auf die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung! Ohne sie geht die Flüchtlingshilfe nicht, denn die personellen Möglichkeiten der Verwaltung sind ausgeschöpft.“
Viel Papierkram bis zur Arbeitserlaubnis
In den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland dürfen die Flüchtlinge nicht arbeiten gehen. In den zwölf Monaten nach dieser Wartefrist darf ein Flüchtling arbeiten, wenn für die Stelle kein geeigneter Arbeiter aus Deutschland oder einem anderen EU-Land gefunden wird. Diese sogenannte Vorrangprüfung muss der Flüchtling schaffen, um den Job antreten zu dürfen. Nach 15 Monaten in Deutschland fällt diese Vorrangprüfung weg. Lothar Lösch erläutert: „Wenn sie die Arbeitserlaubnis erhalten und wir eine Beschäftigung für einen Flüchtling gefunden haben, läuft der Arbeitsantrag über die ZAV in Frankfurt. Dort wird geprüft, ob nicht ein deutscher Arbeiter die Tätigkeit ausüben könne. Bis zu einem halben Jahr kann sich dieses Prozedere hinziehen.“ Er nennt zwei Beispiele: „Ein Flüchtling wollte bei der Ernte auf einem landwirtschaftlichen Betrieb helfen. Bis der zustimmende Bescheid kam, war die Ernte eingeholt. Ein anderer ist Schwimmbadbauer. Jetzt, wo die Badesaison vorbei ist, dürfte er arbeiten. Man sollte die vielen Beschränkungen und Auflagen für die Arbeitserlaubnis der Flüchtlinge vereinfachen. Das müsste alles schneller gehen!“, fordert Lösch.
Will ein Asylbewerber eine Ausbildung beginnen, fällt die Vorrangprüfung weg. Nach der Wartefrist von drei Monaten ist es also möglich, dass er eine Ausbildung beginnt. „Wird sein Asylantrag während der Ausbildung abgelehnt, darf er dennoch bis Ende der Ausbildung bleiben. Er hat den Status der Duldung“, informiert Lothar Lösch.
Dürfen die Flüchtlinge in Kaichen bleiben? Wer die Anerkennung und einen Berechtigungsschein zum Bleiben hat, muss aus dem Schulhaus oder den Wohnungen ausziehen. „Bei der Wohnungssuche stehen wir den Familien natürlich zur Seite“, sagt Lösch. „Wer einen blauen Ausweis erhält, bekommt damit die Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre. Danach gibt es wieder eine Überprüfung. Wird die positiv bescheinigt, erhält der Flüchtling eine Niederlassungserlaubnis.“
„Die Dankbarkeit der Flüchtlinge ist riesig. Für uns auf dem Dorf ist es allerdings selbstverständlich und auch unsere Aufgabe, uns in der Flüchtlingshilfe ehrenamtlich zu engagieren“, ist Löschs Überzeugung.
SL – LW 37/2015