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Grundeigentümer werden faktisch enteignet

Mehr Kommunen nutzen das Instrument der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme

Städte und Gemeinden machen in der letzten Zeit offensichtlich vermehrt Gebrauch von den Regelungen der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen (SEM) nach § 165 des Baugesetzbuches. Knackpunkt ist, dass die Flächeneigentümer faktisch enteignet werden, da sie nicht an der Wertsteigerung im Zuge der Baulandentwicklung teilnehmen. Das Instrument setzt eigentlich einen besonderen städtebaulichen Handlungsbedarf voraus, etwa einen erhöhten Bedarf an Wohn- und Arbeitsstätten und soll nur genutzt werden, wenn die Ziele und Zwecke durch städtebauliche Verträge nicht erreicht werden können. Mit dem Flächenumfang, den Großstädte wie Darmstadt oder Wiesbaden und jetzt auch Burghaun im Landkreis Fulda ausweisen – hier hat die Gemeinde im Februar eine Vorkaufssatzung beschlossen, die rund 300 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche betrifft –, entsteht eher der Eindruck, dass das Ziel einer Flächenbevorratung und der Gewinnmaximierung bei der Erschließung dieser Flächen verfolgt wird. Den Fall in Wiesbaden schildert der Landwirt Dr. Ralf Schaab, der den Hof Erbenheim bewirtschaftet.

Das Instrument der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme setzt einen besonderen städtebaulichen Handlungsbedarf voraus. Aktuell ensteht der Eindruck, dass wie hier auf dem Ostfeld in Wiesbaden, eher das Ziel der Gewinnmaximierung verfolgt wird. Foto: imago/Michael Schick

Im Wiesbadener Ostfeld plant die Stadt auf rund 490 ha eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme durchzuführen. Auf rund 90 Hektar des Gebietes sollen Wohnungen für 12 000 Menschen gebaut werden, auf weiteren rund 30 Hektar soll ein Gewerbegebiet und ein neues Gebäude für das Bundeskriminalamt sowie Büros für insgesamt 10 000 Menschen entstehen.

Keine Teilhabe an der Wertsteigerung

Was bedeutet eine SEM für die Landwirtschaft und die Bodeneigentümer? Durch die Anwendung einer SEM wird in Wiesbaden der Boden von etwa 50 Familien enteignet, nicht juristisch, aber faktisch, weil der Boden den Eigentümern „wertverkürzend“ für einen Preis zwischen 3 bis 12 Euro pro Quadratmeter von der Stadt abgenommen wird. Die Besitzer des Landes nehmen nicht an der Wertsteigerung im Zuge der Baulandentwicklung teil. Die Baugebiete werden dann beplant und erschlossen und anschließend von der Stadt für etwa 1 100 Euro pro Quadratmeter verkauft, um schließlich von Immobilienentwicklern bebaut, im Bestand gehalten, vermietet oder wieder verkauft zu werden. Die restlichen Flächen im Planungsgebiet des Ostfeldes können als Parks, Grünflächen, Naturschutzflächen oder weiterhin landwirtschaftlich genutzt werden. Allerdings sollen die Flächen, die vorher nach der Entscheidung des jeweiligen Betriebsleiters bewirtschaftet worden waren, laut Satzung bei Neuverpachtung nur noch nach Vorgaben der Stadt bewirtschaftet werden.

Eine Kommune hat das Planungsrecht für Baugebiete. Normalerweise werden Baumaßnahmen einvernehmlich durch städtebauliche Verträge mit den Grundbesitzern ausgehandelt. Die Besonderheit im Falle einer SEM165 ist, dass der Bodenpreis am Anfang der Bauplanung auf niedrigstem Niveau festgelegt wird. Dem Bodeneigentümer wird die Möglichkeit genommen, das entstehende Bauerwartungsland mit einem höheren am Markt orientierten Preis zu verkaufen. Die höheren Differenzgewinne zwischen dem „Kauf“ zum vorab festgesetzten Preis und dem Verkaufspreis nach Erschließung des Bodens streicht die Kommune für ihre Zwecke ein.

Argument angespannte Wohnsituation

Der § 165 Bau GB darf normalerweise nur angewendet werden, wenn sehr dringender Wohnungsbedarf vorliegt und wenn keine normalen Bauplanungen möglich sind. Ob die tatsächliche Wohnsituation in Wiesbaden als Argument wirklich ausreicht, um eine solche Zwangsmaßnahme zu rechtfertigen, müssen letztendlich die Gerichte entscheiden. Subjektiv empfunden bezahlen die Käufer/Mieter von Wohnungen immer zu viel, und es gibt immer zu wenige günstige Wohnungen. Aber auf der anderen Seite sind in Wiesbaden bereits jetzt Bauprojekte in Planung für rund 35 000 neue Einwohner. Allein diese bereits bestehenden Planungen werden zu einer massiven Entlastung des Wohnungsmarktes in Wiesbaden beitragen. In den Argumenten der verantwortlichen Stadtentwicklungsgesellschaft (SEG) der Stadt Wiesbaden werden die „Fakten“ jedoch immer sehr einseitig zugunsten des Projektes Ostfeld hingebogen. Wie ist der aktuelle Stand der SEM165 Ostfeld Wiesbaden? Das „Quasi-Gesetz“ zum Ostfeld in Wiesbaden ist beschlossen. Inklusive der Enteignungen hat das die Stadtverordnetenversammlung Wiesbaden mit den Stimmen der CDU, SPD, Grünen und FDP im November 2020 entschieden. Rechtskräftig aber wird die Satzung erst nach der Veröffentlichung, was noch nicht geschehen ist.

Dem Antrag auf Zielabweichung, der beim Regierungspräsidium in Darmstadt gestellt wurde, hat die Regionalversammlung im Mai zugestimmt. Dies wurde nötig, weil das Planungsgebiet Ostfeld vor etwa zehn Jahren zu einem Landschaftsschutzgebiet deklariert worden war und jetzt großflächig bebaut werden soll. Sobald der förmliche Bescheid über die Zustimmung zur Zielabweichung ergangen ist, kann die Veröffentlichung der Satzung durchgeführt werden. Der BUND prüft unterdessen, ob ein Zielabweichungsverfahren überhaupt das richtige Verfahren ist, um so weitreichende Eingriffe in die Raumordnung vornehmen zu können. Erst wenn die Satzung rechtskräftig ist, können die Grundstückseigentümer eine Normenkontrollklage erheben. Eine Normenkontrollklage prüft die Rechtmäßigkeit der Satzung Ostfeld. Das kann einige Jahre dauern.

Grundstückbesitzer kooperationsbereit

Die Grundstücksbesitzer waren von Anfang an kooperationsbereit und haben ein vernünftiges Kompromissangebot an die Stadt Wiesbaden vorgelegt: Bau des BKA mit normalen städtebaulichen Verträgen und ein Moratorium beim Wohnbauprojekt für 12 000 Menschen, um erst einmal die Effekte von Corona auf den Immobilienmarkt abzuwarten. Die Eigentümer wenden sich nicht gegen die sinnvolle Weiterentwicklung der Dörfer und Städte, sie sind aber entschieden gegen die Anwendung einer SEM165 und dem unverhältnismäßigen Zugriff auf das Eigentum.

 – LW 23/2021