Bei der Jahrestagung der Internationalen Akademie land- und hauswirtschaftlicher Beraterinnen und Berater (IALB) sprachen am Montag in Marburg die Professoren Enno Bahrs und Franz-Josef Radermacher von einem rapide ansteigenden Bedarf nach Agrarrohstoffen in der Welt. Offen blieb die Frage, wie die Landwirtschaftsbetriebe von dieser Entwicklung profitieren können.
Der Agrarökonom Prof. Dr. Enno Bahrs und der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Dr. Franz-Josef Radermacher schlugen Strategien für die ländliche Wirtschaft in Zeiten sich verändernder Marktsituationen, des demografischen Wandels, des Klimawandels und zunehmender Energieknappheit vor. Radermacher, Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung in Ulm, sprach über das Thema: „Globalisierungsgestaltung als Herausforderung – Balance oder Zerstörung?“ Bahrs leitet das Institut für landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Hohenheim. Er richtete seinen Blick auf die Folgen der Entwicklung für den einzelnen Betrieb und sprach zum Thema „Globale Entwicklungen und Zukunftsperspektiven für Landwirtschaft und ländlichen Raum.“ Beide sind sich sicher, dass die Nachfrage nach Nahrungsmitteln erheblich ansteigt und sehen die Lage, in der sich die globalen Agrarrohstoffmärkte in einem sehr dynamisch verändernden Umfeld bewegen, als Herausforderung für die Landwirte. Ob dies aber auch zu wachsenden Gewinnen in den Betrieben führt; daran haben beide Zweifel: Der Druck auf die Betriebe in der Landwirtschaft bleibe bestehen.
Märkte von Unsicherheit geprägt
Denn volatilere Produktpreise führten wahrscheinlich auch zu volatileren Betriebsmittelpreisen, meinte Bahrs. Gleichzeitig ziehe sich die EU immer weiter aus der Marktsteuerung zurück. Denn während in der Vergangenheit agrarpolitische Interventionsmechanismen in Überschussmärkten die Preise nach unten absicherten, aber auch nach oben nicht viel Erwartungspotenzial ließen, seien die zukünftigen Märkte damit durch ein erheblich höheres Maß an Unsicherheit geprägt. Die Bedeutung des Staates, regulierend auf den Markt zu wirken, nehme ab und die Bedeutung des betriebsindividuellen Risikomanagements werde zunehmen. Damit werde es für alle Marktbeteiligten schwieriger, das Angebot und die Nachfrage auf den Märkten vorherzusehen und mit dem dazugehörigen Verhandlungsgeschick zu begleiten. Der Betriebswirt Bahrs skizzierte die Frage des erfolgreichen Bestehens am Markt anhand des Beispiels eines 100-ha-Ackerbaubetriebs, der entsprechend seinen Modellrechnungen im letzten Jahr durchaus einen Unterschied in der Gewinn- und Verlustrechnung in Höhe von circa 75 000 Euro hätte ausweisen können. Und das allein aufgrund günstiger beziehungsweise ungünstiger Zeitpunkte in der Vermarktung des Getreides und im Bezug der Betriebsmittel. Während sich in der Vergangenheit die Kaufpreis- und Verkaufpreiserwartungen in einigermaßen schmalen Bandbreiten bewegten, werde diese Spanne zukünftig größer. Die Potenziale der Preisausschläge werden größer sowie die zunehmende Geschwindigkeit ihrer Veränderungen, sowohl nach oben als auch nach unten. Dies mache die Agrarmärkte kaum noch vorhersehbar. Wer unterdurchschnittlich gut prognostiziere und verhandele, werde zukünftig im Wettbewerb stärker als zuvor das Nachsehen haben. Aus der Globalisierung der Märkte, dem steigenden Wohlstand in vielen Schwellenländern, dem Hunger nach Energie, auch nach Bioenergie, lassen sich nach Bahrs Überlegungen ebenso neue Anforderungen an zukünftige Rahmenbedingungen ableiten. Einerseits bestehen diese in mehr Anreizen für eine höhere Intensität in der Biomasseproduktion. Andererseits steigen die Anforderungen zum Schutz von Klima, Boden und Wasser. Die Folge für die Agrarwirtschaft sei ein Spagat zwischen wachsender regionaler und zugleich globaler Biomasseerzeugung und einem gleichzeitig angemessenen Umweltschutz. Ein Patentrezept, mithilfe dessen die Landwirte diese Herausforderungen meistern könnten, gebe es nicht. Und doch hält Bahrs in der Landwirtschaft gerade die Familienbetriebe weiterhin für wettbewerbsfähig: Auch wenn der technische Fortschritt dazu führe, dass die Betriebe in immer größere Einheiten wachsen, so sind für ihn weiterhin Familienbetriebe besonders dann konkurrenzfähig, wenn sie das richtige Konzept für ihren Betrieb parat haben und auch das Vermarkten der Produkte beherrschen. Denn Familienbetriebe seien häufig stark eigenkapitalfinanziert und müssten oft weniger Kapitaldienst leisten als andere. Allerdings empfiehlt er auch diesen Betriebsleitern: „Haben Sie den Mut, Fremdarbeitskräfte zu beschäftigen, denn das stabilisiert auch einen Familienbetrieb.“
Rohstoffe und Reichtum verteilen
Die Folgen der Globalisierung gehörten zu den großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, stellte zuvor Professor Radermacher heraus. Klimawandel, soziale Ungleichheit und die rasante Zunahme der Weltbevölkerung seien Probleme, die letztlich nur auf globaler Ebene gelöst werden könnten. Voraussetzung für eine bessere Verteilung der Ressourcen sei eine Finanzierung von Nord nach Süd, ein Welt-Marshallplan, der Investitionsprogramme mit sozialen und ökologischen Standards verbinde. Er ging in seinem Vortrag auch auf die rapide Bevölkerungsentwicklung ein und fragte: „Dürfen die Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern auch so leben wie wir?“ Die heutige Weltagrarproduktion würde zwar ausreichen, um 13 Mrd. Menschen zu ernähren. Dennoch verhungerten viele Menschen, denn es gebe ein Verteilungsproblem. Welche Zukunftsperspektiven es in dieser Situation für die Landwirtschaft gebe, ließ Radermacher offen. Die Politik müsse gezwungen werden, ein global sozial-ökonomisches Regelwerk aufzustellen, um eine gerechtere Verteilung des Reichtums und der knappen Ressourcen zu erreichen, lautet eine Kernaussage seines Vortrags.
Lebensqualität erhalten
Franz Forstner, Präsident der IALB eröffnete die insgesamt über fünf Tage dauernde Beratertagung. Er ging auf die künftigen Anforderungen an die Beratung in der Landwirtschaft ein. Ziel der Beratung müsse es sein, die Lebensqualität der Landwirtschaftsfamilien auf den Betrieben zu erhalten. Dazu sollte auch die Zusammenarbeit aller Beratungseinrichtungen auf europäischer Ebene intensiviert werden, konstatierte Forstner. Dr. Anna Runzheimer, Leiterin der Landwirtschaftsabteilung im Wiesbadener Ministerium, skizzierte die landespolitischen Schwerpunkte der Agrarförderung in Hessen. Mit Blick auf die große Not der Milcherzeuger und vor dem Hintergrund, dass rund 70 Prozent der hessischen Milchviehbetriebe in Mittelgebirgs- und Grünlandregionen wirtschafteten, wolle die Landesregierung bei der Vergabe von Health-Check-Mitteln die Gelder insbesondere dazu verwenden, um die Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten zu erhöhen. Brigitte Roggendorf vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, sprach über Anforderungen des Verbrauchers an die Landwirtschaft. „Regional ist beim Lebensmitteleinkauf die erste Wahl“, stellte Roggendorf die Bedeutung heimischer Erzeugnisse heraus. Gleichzeitig sprach sie ein weiteres zentrales Thema dieser Tagung an: die Überalterung unserer Gesellschaft. Im Jahr 2030 sei jeder Dritte im Lande über 60 Jahre alt. Das wirke sich deutlich auf das Konsumverhalten und damit auch auf die landwirtschaftliche Erzeugung aus. Weiterer Schwerpunkt der folgenden Fachforen der Veranstaltung befassten sich daher mit der Demografie und den Folgen, insbesondere für den ländlichen Raum. Darüber berichten wir nächsten LW 27/2009.
Landwirtschaft in Hessen
Ein charakterisierendes Bild der Landwirtschaft in Hessen gab der Leiter des Landesbetriebes Landwirtschaft Hessen, Direktor Andreas Sandhäger. Eine Botschaft seiner Ausführungen lautete, dass der Strukturwandel in der Landwirtschaft im Rhein-Main-Ballungsraum dem in den peripheren Regionen Hessens rund 20 Jahren voraus eile. Kennzeichnend für ihn ist dabei der hohe Anteil (67 Prozent) von Haupterwerbsbetrieben in Stadtnähe, hingegen hessenweit betrachtet der Anteil der Nebenerwerbsbetriebe (NE) bei 67 Prozent liege (in der Bundesrepublik: 55 Prozent NE). Der Pachtflächenanteil der Haupterwerbsbetriebe sei mit 64 Prozent vergleichsweise hoch. In den vergangenen Jahren seien 46 Prozent der Investitionsmaßnahmen im Rahmen des AFP für Milchvieh eingesetzt worden. In der Mastschweinehaltung sei Hessen strukturell sehr schwach aufgestellt. Vergleichsweise gut allerdings in der Sauenhaltung. Moe