In Romrod hatte kürzlich die Arbeitsgemeinschaft für Rationalisierung, Landtechnik und Bauwesen in der Landwirtschaft Hessen (ALB) zur Tagung „Gestaltung unserer Dörfer in der Zukunft“ geladen, an der circa 120 Fachinteressierte und Besucher teilnahmen.
ALB-Vorsitzender Andreas Sandhäger eröffnet die Veranstaltung, die das Thema aus den verschiedensten Blickwinkeln von Planern, administrativen Entscheidungsträgern, Wissenschaftlern und Betroffenen behandelte. Ziel der ALB sei es, mit dieser Veranstaltung Impulse für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen im ländlichen Raum zu geben. Trotz demografischen Wandels müsse gelingen, die Ortskerne lebendig zu halten. Hierzu rege die ALB eine Diskussion an über die sich anzeichnende Entleerung der Ortskerne im ländlichen Raum, über fehlende Nutzungsmöglichkeiten alter Wirtschaftsgebäude, über Auflagen der Denkmalpflege zur Erhaltung von Gebäuden, die nicht mehr zu erhalten sind und über die mangelnden Möglichkeiten zur Errichtung neuer Wohngebäude in Ortskernen bei gleichzeitigem Bestreben, neue Baugebiete an den Ortsrändern auf landwirtschaftlichen Flächen auszuweisen. Das Problem werde zunehmend deutlich, weshalb Entscheidungsträger zusammengeführt werden müssten, um Maßnahmen zu erörtern und umzusetzen.
Sicherung der Lebensqualität
Als Vertreterin des Ministeriums für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz überbrachte Abteilungsleiterin Dr. Anna Runzheimer die Grüße von Staatsministerin Lautenschläger und Staatssekretär Weinmeister mit der Botschaft, dass die Sicherung der Lebensqualität in den Dörfern und die Steigerung der Attraktivität ganz oben auf der Prioritätenliste zur Gestaltung des ländlichen Raumes stehe. Dabei gebe besonders die Situation in stark schrumpfenden ländlichen Siedlungsräumen Anlass zur Sorge. Die Infrastrukturkosten je angeschlossenem Haushalt stiegen hier stark an, wodurch der Bevölkerungsrückgang die kommunale Pro-Kopf-Verschuldung erhöhe und damit die Handlungsspielräume vor Ort weiter eingeengt würden. Hinsichtlich des nicht aufzuhaltenden demografischen Wandels müsse es darum gehen, die Auswirkungen auf die Wohnsituation und den Gebäudebestand in den ländlichen Regionen durch gezielte Maßnahmen abzumildern. Dabei müsse erkennbar sein, dass es wirtschaftlich mindestens gleich interessant sei, alten Baubestand zu erhalten wie auf der grünen Wiese einen Neubau zu errichten. Um dies zu erreichen, bedeute dies neben dem Angebot finanzieller Anreize insbesondere auch den Abbau bürokratischer Hemmnisse und das Vorhandensein eines entsprechend positiven und attraktiven Gemeindeklimas. Hierzu biete das Land umfangreiche Hilfen an, die zum einen auf Maßnahmen der Dorfentwicklung und -erneuerung abzielen, im Rahmen des Entwicklungsplans für den ländlichen Raum 2007 bis 2013 auch Möglichkeiten zur Erschließung regionaler Märkte, zur Verbesserung der Versorgung und zur Förderung der Regionalkultur sowie über die ELER-Verordnung und die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes regionale Konzepte unterstützen und dabei auch Beratung zur Verfügung stellen.
Soziale Vereinsamung verhindern
Bürgermeisterin Dr. Birgit Richtberg machte deutlich, dass sie nicht nur als Bürgermeisterin spreche, sondern auch als Familienmensch, der sehr gern auf dem Land wohne. Mit besonderer Sorge betrachte sie den derzeitigen Strukturwandel in Form der Verschlechterung der Ortsbilder, von Kostensteigerungen, Infrastruktureinbrüchen und Wertverlusten bei den Immobilien. So stelle sich auch in Romrod die Frage, wie mit zunehmend leer stehenden Wirtschafts- und Nebengebäuden umzugehen sei. In großen, ehemaligen Familienhäusern lebten verbreitet nur noch ein bis zwei ältere Menschen. Gebäude und Freiflächen würden im Alter immer mehr zur Belastung. Dabei verringere sich nicht nur die Fähigkeit, alles selbst in Ordnung zu halten, sondern es fehlten auch häufig die dazu notwendigen finanziellen Mittel. Richtberg unterstreicht diese These mit der Feststellung einer gewissen Vernachlässigung als ersten Schritt. Nur zu oft gehe damit ein zunehmender Verfall der Immobilien einher. Die Folge sei ein zunehmender Wertverlust – zunächst des betroffenen Gebäudes, dann auch der Nachbargebäude und schließlich des ganzen Ortes.
Neben den finanziellen und ästhetischen Aspekten stelle sich auch zunehmend die Frage der sozialen Vereinsamung und Überforderung älterer Menschen. Steigende Kosten, abnehmende Dienstleistungs- und Infrastrukturangebote sowie fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten führten zu fortgesetzter Abwanderung insbesondere der jüngeren Menschen. Im Zuge geringerer Steuereinnahmen würden dabei immer höhere Kostenanteile für die Aufrechterhaltung der kommunalen Infrastruktur auf die Bürger abgewälzt.
Wertschöpfung erhöhen
Dr. Hans Hermann Harpain, stellvertretender Generalsekretär des Hessischen Bauernverbandes, sieht in der Zukunft durch den demografischen Wandel erhebliche Konsequenzen für die Dörfer und den ländlichen Raum. Nach Harpain liegt eine Schwäche des ländlichen Raums in der geringen Wertschöpfung. Im Vergleich zu Frankfurt, wo jährlich 390 Mio. Euro/km² an umsatzsteuerbaren Leistungen generiert werde, seien es noch 55 bis 60 Mio. Euro/ km² in Kreisen im Ballungsraum wie Groß-Gerau, Offenbach oder Hochtaunus und nur noch 1,9 beziehungsweise 2,1 Mio. Euro/ km² im Vogelsbergkreis und Werra-Meißner-Kreis. Umgekehrt verursachten Infrastrukturleistungen (Energie- und Wasserversorgung, Schulen, Kindergärten) in schwächeren Regionen mit weniger Einwohnern pro km² höhere Pro-Kopf- Kosten. Die Stärke des ländlichen Raumes sei die Verfügbarkeit von Fläche. Diese gelte es als Wirtschaftsgrundlage zu erhalten und effektiv durch Produktion von Nahrungsmitteln und nachwachsenden Rohstoffe zur Erzielung von Wertschöpfung zu nutzen. So sei eine der wesentlichen Forderungen des Berufstandes, der konsequente Schutz landwirtschaftlicher Flächen. Verhindert werden müsse, dass ländliche Regionen aus raumordnerischer Sicht zum beliebigen „Flächenspender“ für andere Zwecke marginalisiert werden, seien dies Siedlungsflächen, Infrastrukturflächen, Ausgleichs-, Naturschutz- oder Hochwasserschutzflächen. Trotz vieler Bemühungen den Flächenverbrauch einzudämmen, seien im Durchschnitt der letzten Jahre täglich etwa sechs ha Fläche verloren gegangen. Dies entspreche in zehn Tagen der Durchschnittsgröße eines landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetriebes. Rechne man das so entgangene Einkommenspotenzial über den durchschnittlichen Gewinn je ha LF hoch, entstehe daraus ein kapitalisierter Verlust von circa 31 Mio. Euro pro Jahr. Da die Erlöse der Landwirtschaft zuvorderst dem ländlichen Raum zufließen und dort Wirtschaftskreisläufe aufrecht erhalten, müssten auch die Potenziale der landwirtschaftlichen Tierhaltung wieder stärker als Chance gesehen werde. Nach Harpain würde eine hundertprozentige Selbstversorgung durch hessische Schlachtschweine bedeuten, dass zusätzlich 2,2 Mio. Schlachtschweine und 110 000 Zuchtsauen gehalten werden könnten. Bei durchschnittlichen Preisen ließe sich so ein zusätzliches Umsatzvolumen von 500 Mio. Euro für die Landwirtschaft sowie 2 000 Arbeitsplätze und zusätzlich über 6 000 Arbeitsplätze in den vor- und nachgelagerten Bereichen realisieren. Die Landwirtschaft sei durch ihre Flächengebundenheit der Sektor, der am wenigsten durch Standortverlagerung auf eine reduzierte öffentliche Daseinsvorsorge reagieren könne. Gleichzeitig kann sie jedoch erheblich zur Stärkung einer Region beitragen.
Hessische Flurneuordnung
Landesamtspräsident Dr. Hansgerd Terlinden vom Hessischen Landesamt für Bodenmanagement und Geoinformation machte bei der Entwicklung der Dörfer der Zukunft verschiedene Handlungsfelder aus, bei denen auch das Instrument der Flurneuordnung mit seinen normierten Verfahren von Bedeutung ist. Das Ziel der hessischen Flurneuordnung sei insbesondere die nachhaltige Entwicklung der ländlichen Regionen in ökonomischer, ökologischer, sozialer und kultureller Hinsicht zur Erhaltung und Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen der ländlichen Regionen als Lebens-, Natur-, Arbeits- und Erholungsräume. Speziell hierzu sei das Instrument SILEK – auf einen räumlich und thematischen Schwerpunkt beschränktes Integriertes Ländliches Entwicklungskonzept – entwickelt worden. Themenfelder für SILEK , bei dem eine intensive Beteiligung der Bevölkerung vorgesehen ist, sind zum Beispiel die Landwirtschaft und die Agrarstruktur, die Umsetzung ökologischer beziehungsweise wasserwirtschaftlicher Maßnahmen, die Nutzung regenerativer Energien durch Aktivierung lokaler Rohstoffe und die Stärkung von Freizeit- und Erholungsfunktionen in der Region. Die so entwickelten Maßnahmen ließen sich anschließend in konkreten Flurbereinigungsverfahren umsetzen. Typische Ergebnisse seien dann die Schaffung zweckmäßiger Bewirtschaftungseinheiten, die Anlage eines optimierten Wegenetzes, die Errichtung gemeinschaftlicher Anlagen, der Gewässer- und Auenschutz, der Hochwasserschutz, die Erhaltung der Kulturlandschaft und Einrichtungen für Erholung und Freizeit.
Bedeutung für Denkmalpflege
Auf die Aspekte der Denkmalpflege ging anschließend Dagmar Söder vom Landesamt für Denkmalpflege ein. An Beispielen zeigte sie, wie die Denkmalpflege Stadt- und Dorfentwicklungskonzepte verfolgt werden, um ländliche Gemeinden attraktiv zu halten und dabei eine Stärkung der Ortskerne mit ihrer vorhandenen Bausubstanz präferiert. Die Referentin wörtlich: „Die Abwanderungsprämie (sprich Eigenheimzulage) für das Bauen am Ortsrand muss in eine Bleibeprämie für diejenigen umgewandelt werden, die sich zum Wohnen im alten Ortskern verlocken lassen.“ Bauliche Eingriffe wie die Zusammenlegung von Wohnungen zur Schaffung größerer Wohneinheiten für Familien müssten dabei genauso möglich sein, wie die Förderung von Wohnmodellen für Senioren. Zur Erhaltung schützenswerter Bausubstanz seien weiterhin Anreize für Umnutzung von leerstehenden Wirtschafts- und Nebengebäuden notwendig.
Infrastruktur aufrechterhalten
Bürgermeister Uwe Steuber von der Gemeinde Lichtenfels im Landkreis Waldeck-Frankenberg berichtet über einen rasanten Einwohnerschwund seiner Gemeinde, deren Einwohnerzahl in den vergangenen zwölf Jahren um 10 Prozent abgenommen hat. Aus dieser Kenntnis stelle sich für Lichtenfels die Frage, wie künftig die vorhandene Infrastruktur vorgehalten werden könne. Die Probleme, die das Leben im Dorf nachhaltig verändern und zukünftig weiter verändern würden sieht Steuber in der sinkenden Einwohnerzahl, dem zunehmenden Alter der Menschen, in der Abwanderung der jungen Menschen, wodurch Betriebe und Geschäfte sowie auch Arbeitsplätze und Grundversorgung verloren gingen. Schulen, Kindergärten und Bürgerhäuser könnten in der Folge nicht mehr wirtschaftlich genutzt werden, darüber hinaus trete vor allem in historischen Ortskernen Leerstand und Gebäudeverfall auf. Die Stadt Lichtenfels habe in letzter Zeit bewusst auf die Ausweisung von großen Neubaugebieten verzichtet und Interessenten auf leer stehende Objekte hingewiesen. Inzwischen würden Gebäude zu günstigen Konditionen angeboten und gehandelt, so dass der Leerstand derzeit rückläufig sei. Desweiteren bemühe man sich darum, die Grundversorgung mit Produkten und Dienstleistungen in Stadt und Ortsteilen aufrecht zu erhalten. Dabei sei es gelungen, die ärztliche Versorgung abzusichern. Ferner habe man erreichen können, dass die Lebensmittelversorgung für die jeweils vier nördlichen und vier südlichen Ortsteile mittelfristig gesichert werden konnte. Steuber hat hier erkannt, dass in Zukunft die Nahversorgung der Bevölkerung durch die Zurverfügungstellung von günstigen Räumlichkeiten zu einer städtischen Aufgabe werden kann. Hierzu zählen auch die Angebote für Kinderbetreuung in der Zeit von 7 bis 17 Uhr. Neben ausreichenden Kindergartenplätzen sei es in Lichtenfels gelungen, die Gesamtschule zu einer Ganztagsschule zu erweitern. Um weitere Einkommen für die Bevölkerung zu generieren, nehme Lichtenfels an einem Modellprojekt des Landes „Klimaneutrale Kommune“ teil. In letzter Zeit ergäben sich hierbei immer mehr Konflikte mit dem Denkmalschutz, worüber man kurzfristig ins Gespräch kommen müsse, um beiderseits akzeptable Lösungen herbeizuführen. Von Bedeutung für die ländlichen Regionen sei allerdings die zusätzliche Schaffung von Arbeitsplätzen. Durch unbürokratisches Handeln habe man dabei in Lichtenfels Erfolg gehabt. Zusätzlich würden Anstrengungen im Bereich des Fremdenverkehrs unternommen, die inzwischen Früchte tragen.
Beispiele aus der Praxis
Peter Zimmer vom Sachgebiet Regionalentwicklung/Landtourismus im Amt für den Ländlichen Raum des Vogelsbergkreises, Architekt Joachim Kothe von der Hessischen Landgesellschaft und Gerd Diehl, Landwirt in Neuental-Dorheim, stellten Beispiele für die Sanierung von alten Wohngebäuden und die Umnutzung von leerstehenden Wirtschaftsgebäuden vor, die unter Wahrung des Denkmalschutzes neuen Wohnraum, Gewerberaum zur Versorgung der örtlichen Bevölkerung und zur Verbesserung der kulturellen Angebote im Ort beigetragen haben. Dabei handelte es sich um individuelle Lösungen mit Beispielcharakter und gelungener Außenwirkung, die im Rahmen von Dorferneuerungs-, beziehungsweise Stadtsanierungsmaßnahmen auch zur Verbesserung des Ortsbildes beitragen.
„Kirche im Dorf lassen“
Prädikant Günther Dreisbach vom Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck berichtete, dass in den 26 Kirchenkreisen bis zum Jahr 2017 die Zahl der Pfarrstellen von 800 auf 700 reduziert werden solle. Dies sei Ausdruck dafür, dass von den 933 Kirchengemeinden nur zehn eine Größe von über 5 000 Gemeindeglieder, 420 aber nur eine Größe von unter 500 Gemeindegliedern erreichten. Durchschnittlich habe eine kurhessische Kirchengemeinde etwas unter 1 000 Gemeindemitglieder, jedoch erst 1 230 würden eine Pfarrstelle finanzieren. Um die Kirche unter diesen Umständen im Dorf zu lassen, würde eine Pfarrstelle derzeit für bis zu vier Kirchengemeinden eingerichtet. Vor diesem Hintergrund sieht Dreisbach viele Möglichkeiten zu regionalen Kooperationen, die auch für die Zusammenarbeit verschiedener Bürgergemeinden beispielhaft sein könne. Dies zeige sich zum Beispiel bei gemeinsamen Gottesdiensten an besonderen Festtagen oder in der gemeinsamen Konfirmandenausbildung. Ein weiteres Beispiel seien Spielgemeinschaften im Fußball bis zur Freiwilligen Feuerwehr. Dreisbach: „Man soll doch die Kirche im Dorf lassen“, sagt der Volksmund. Er meint damit: Man soll nicht übertreiben. „Die Kirche im Dorf lassen – das heißt heute aber auch: Den Dörfern ihre Identität bewahren, ihr eigenes Gesicht in der großen globalen Welt.“
Perspektiven
Dr. Ralf Nolten von der Universität Bonn ging auf die „Gestaltung unserer Dörfer in der Zukunft – Perspektiven und Anpassungsstrategien für ländliche Räume“ ein. Dabei sieht der Referent einen deutlichen sozialen Wandel auf dem Lande. So hätten moderne Telekommunikations- und Verkehrssysteme den Wunsch nach Ländlichkeit und Wohneigentum in ländlich peripheren Räumen unterstützt und vielerorts durch den Zuzug von Neubewohnern die ländliche Sozialstruktur und das Verhalten der Dorfbewohner verändert. Das für viele früher gegebene räumliche Zusammenfallen von Wohnen, Arbeiten, Erholen und Kommunizieren sei heute einer Auslagerung und Trennung von bestimmten Lebensbereichen gewichen. Die Dorfbewohner entscheiden heute individuell über das Maß der Ortsbezogenheit oder Außenorientierung ihrer Beziehungen, so dass die innerdörflichen Kontakte für jeden Dritten heute kaum noch eine Rolle spielen. Selbst in kleineren Orten halte nach einer Studie nur mehr die Hälfte der Einwohner die These „Jeder kennt Jeden“ für zutreffend. Heute seien 10 bis 20 Prozent der Dorfbevölkerung nicht mehr in die Sozialbeziehungen eines Ortes eingebunden. Auch Nachbarschaftsbindungen seien rückläufig – für Jüngere mehr als für Ältere – und reduzierten sich auf die „gelegentlichen Gartenzaun-Kontakte“. Auch die Vereinsstrukturen könnten nicht mehr als Symbol einer Dorfgemeinschaft gelten, da sich hier – vor allem im Boom der Freizeitvereine – eher die Tendenz zur lockeren, temporären Mitgliedschaft zeige. Insgesamt müsse von einer sozial sehr ausdifferenzierten und sich künftig weiter ausdifferenzierenden ländlichen Bevölkerung sowie von einer großen Breite dörflicher Sozialstrukturen und -beziehungen ausgegangen werden.
Konflikte mit der Landwirtschaft
Das Nebeneinander von Landwirtschaft und Dorf sei teilweise einem Gegeneinander gewichen. Zwar gebe es eine breite Zustimmung und klare Bekenntnisse zur Landwirtschaft. Mit der Lebensstildifferenzierung gebe es jedoch mehr Konflikte durch Gülle- und Pflanzenschutzmittelausbringung, durch verschmutzte Straßen und Sonntagsarbeit. Vor diesem Hintergrund spräche sich 60 Prozent der Dorfbevölkerung für eine Trennung von landwirtschaftlichen Betrieben und der Wohnbebauung aus. Nolten: „Landwirte werden künftig verstärkt Fragen nach der örtlichen Akzeptanz, nicht nach der baurechtlichen Zulässigkeit bei ihrer Betriebsentwicklung zu beantworten haben.“ Landwirte seien aber im ländlichen Raum traditionell stärker in das Ehrenamt bei Vereinen, der Kirche und sozialen Einrichtungen eingebunden. Hinsichtlich der Perspektiven für ländliche Räume sei zu erkennen, dass anstelle des übersichtlichen Sozialsystems „Dorf“ ein Nebeneinander verschiedener Sozialsysteme mit gruppenspezifischen Handlungsmöglichkeiten, Strukturen und Prozessen getreten sei. Landwirte seien vor Ort gut integriert, machten aber auch zunehmend Konflikterfahrungen im Umgang mit der übrigen Bevölkerung. Inwieweit sich bei diesem Szenario eine gleichgerichtete regionale Identität entwickelt, die Netzwerke mit wirtschaftlicher Entwicklung generieren können, bleibe zunächst offen. Unabhängig von Planungen für den ländlichen Raum wie Dorferneuerung, ILEK und Landschaftsplanung sei wichtigt, in allen relevanten Lebensbereichen mehr Selbsthilfe zu initiieren. Dazu sei auch eine bessere Methodenentwicklung für Beteiligungsverfahren vonnöten.
Strukturproblemen entgegnen
ALB-Vorstandsmitglied Dr. Harald Müller hob hervor, dass die Auswirkungen des demografischen und sozialen Wandels sehr vielschichtig sein werden. Lösungen von auftretenden Problemen durch leerstehende Gebäudesubstanz seien durch die Referenten der Veranstaltung zwar aufgezeigt worden, jedoch seien dies individuelle Konzepte gewesen, die nicht auf jede Gemeinde übertragen werden könnten. „Es gibt keinen Königsweg!“, so Müller. Sich abzeichnenden und zunehmenden Strukturproblemen im ländlichen Raum sei nur durch differenzierte Konzepte zu begegnen. Die besonderen Belastungen durch Infrastrukturmaßnahmen sollten Anlass zu neuen Überlegungen sein. Gerade auf dem Land würden die kommunalen Abwassergebühren häufig deutlich über denen städtischer Siedlungen liegen. Hier müsse man fragen, ob nicht einfachere und kostengünstigere Lösungen zur Abwasserklärung zugelassen werden sollen, um so Handlungsspielräume ländlicher Gemeinden zu sichern. Es müsse verhindert werden, dass diese Regionen durch zusätzliche Belastungen ausbluten – sowohl finanziell als auch personell – und dem Verfall preisgegeben werden. Dr. Hildebrandt, LLH