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Landwirte fühlen sich wie vor den Kopf gestoßen

Erhebliche Ausweitung der Roten Gebiete in Waldeck

Wie „vor den Kopf gestoßen“ fühlen sich viele Landwirte in Waldeck von der geplanten Neuausweisung der Roten Gebiete auf Grundlage der Hessischen Ausführungsverordnung zur Düngeverordnung des Bundes (DüVo) Anfang November. Während in anderen Landesteilen die Flächenanteile der Roten Gebiete im zweiten Durchgang zum Teil spürbar verringert würden, geschieht in Waldeck genau das Gegenteil. Zwei Grundwasserkörper sind betroffen, große Flächenanteile in Waldeck, im Edertal und in Bad Wildungen sollen völlig unerwartet neu zu Roten Gebieten erklärt werden.

Die Entnahme von Bodenproben zur Feststellung der Nmin-Werte ist heute Routine-Sache. Ein Proben-Entnahmegerät, montiert wie hier auf auf einem Ford Ranger, erlaubt in relativ kurzer Zeit die fachgerechte, standardisierte Probenahme auf den zu untersuchenden Flächen. Damit stehen für die Grundwasser schondende Beratung verlässliche Daten, auch für ausgedehnte Wasserschutzgebiete wie beispielsweise in Waldeck, zur Verfügung. Foto: Schnittstelle Boden
Auf der Bauerndemo in Korbach am Samstag vergangener Woche (siehe auch den Bericht auf Seite 38) war die beabsichtigte, erhebliche Ausweitung der geplanten Roten Gebiete in Waldeck ein Thema. Tenor der getroffenen Aussagen: Die Forderungen der neuen Düngeverordnung beruhten gerade in Waldeck auf fehlerhaften Grundlagen und würden so nicht hingenommen. Foto: Osterhold

Die neue Regelung soll bereits zum 1. Januar 2021 in Kraft treten. Die betroffenen Landwirte sehen sich vor einem Berg von Problemen.

Über Nacht mit Thema Sperrfristen konfrontiert

Mit 100 Prozent ihrer Flächen in einem Roten Gebiet zu liegen, damit hatte keiner von ihnen rechnen können. So sehen sie sich mit Sperrfristen bei der Ausbringung von Wirtschaftsdünger konfrontiert und der damit verbundenen Notwendigkeit, gegebenenfalls zusätzlichen Lagerraum neu zu errichten. Das belastet die Betriebe hinsichtlich ihrer Liquiditätsplanung erheblich, gerade auch vor dem Hintergrund niedriger Milchpreise für die Erzeuger.

Ordnungsrecht völlig kontraproduktiv

Gerade für Landwirte, die seit Jahren oder gar Jahrzehnten in Wasserschutzgebieten das Angebot der Grundwasser schonenden Beratung mit vorzeigbaren Erfolgen in Anspruch genommen haben, ist die Ausweisung in der Sache völlig kontraproduktiv. Nach ihrer Meinung können starre Rechenmodelle die Dynamik der mikrobiell bestimmten Umsetzungsvorgänge im Boden gar nicht erfassen, geschweige denn zutreffende Handlungsempfehlungen für den Einzelschlag vorgeben.

„Wir sind aus allen Wolken gefallen“

Michael Ullrich aus Bad Wildungen bringt es auf den Punkt: „Wir sind aus allen Wolken gefallen. Seit 30 Jahren arbeiten wir in der Wasserschutzkooperation mit strengen Auflagen und das mit Erfolg. Für uns ist diese Ausweisung vollkommen unverständlich.“ Und so entzündet sich heftige, fachlich untermauerte Kritik an den vom Land angelegten Ausweisungskriterien. Wie der Kreisbauernverband Waldeck (KBV) in seiner Stellungnahme an das Hessische Landwirtschaftsministerium formuliert, liegen der Entscheidung drei Messstellen zugrunde, die ausschließlich lokal und durch oberirdisch zufließendes Niederschlagswasser beeinflusst werden.

Messstellen sind nicht repräsentativ

Wie KBV-Geschäftsführerin Stephanie Wetekam gegenüber dem LW erklärt, entsprechen die zur Begründung für die Ausweisung als Rote Gebiete genannten Messstellen nicht den Anforderungen der Grundwasserverordnung Anlage 4 an Grundwassermessnetze, die zur Überwachung des chemischen Zustandes eingerichtet werden sollen. Dabei seien „die Messstellen der operativen Überwachung so auszuwählen, dass die gewonnenen Daten für den Grundwasserzustand repräsentativ sind“.

Wasserschutz-Maßnahmen nicht berücksichtigt

Bei den angegebenen Quellen könne es sein, dass eine lokale Belastung durch Nitrat vorliege, der jedoch auch nur lokal begegnet werden könne. „Die angegebenen Messstellen werden sich in keinster Weise durch eine veränderte Bewirtschaftungsform in 30 Kilometer Entfernung verändern und sie sind deshalb nicht repräsentativ. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass in einem Großteil der ausgewiesenen Roten Gebiete durch die seit langem arbeitenden Wasserschutzkooperationen die Werte der dortigen Brunnen einen positiven Trend oder unkritische Werte aufweisen“, bekräftigt Wetekam. Was Wetekam regelrecht verärgert ist die Tatsache, dass die seit Jahrzehnten im Altkreis Waldeck vorhandenen Wasserschutzkooperationen überhaupt nicht berücksichtigt wurden. Unter anderem in Diemelsee, in Korbach, in Vöhl, in Waldeck und in Bad Wildungen würden die Landwirte seit vielen Jahren fachlich begleitet und in Sachen Grundwasserschutz angeleitet. Hunderte von Daten wurden in dieser Zeit erhoben, fachlich ausgewertet und seien in die Bewirtschaftung eingeflossen.

Nmin-Werte fallend – Tendenz in Brunnen positiv

Die Nmin-Werte seien in den Bodenschichten seitdem fallend, die Messstellen beziehungsweise die Brunnen seien von positiver Tendenz oder unkritisch. „Für die seit Jahren in den Kooperationen beteiligten Landwirte ist die Ausweisung kompletter Gemarkungen, trotz grüner Messstellen, ein Schlag ins Gesicht. Für den kooperativen Ansatz ist diese Ausweisung absolut kontraproduktiv“, macht Wetekam ihrem Ärger Luft.

Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass die Ausweisung der §13a Gebiete laut Düngeverordnung in allen Gemarkungen gerichtlich überprüft und geklärt werden wird. Der KBV lehnt die Ausweisung in Gänze ab.

Völlig fehlende Daten-Grundlage zu Phosphat

Zur Ausweisung des Phosphat-Gebietes fehlt dem KBV jeglicher Einblick, auf welcher fachlichen Grundlage sie erfolgt ist. „Ohne Datengrundlage ist die Ausweisung als willkürlich anzusehen. Der KBV verweist auf fachliche Auswertungen des HLNUG, die insbesondere Kläranlagen und Abwasserleitungen für Phosphateinträge verantwortlich machen, und lehnt die Ausweisung ab“, so Wetekam. Auch Dr. Matthias Peter, Inhaber des Ingenieurbüros „Schnittstelle Boden“ in Ober-Mörlen, der mit seinen Mitarbeitern in vielen Wasserschutzkooperationen in Hessen Landwirte berät, verspürt die Verunsicherung seiner Kunden durch die geplanten, flächenhaften Ausweisungen von Roten Gebieten besonders in Waldeck.

„Die Landwirte wissen aus eigener Erfahrung, dass die Reduzierung von Nmin-Werten im Boden nur langsam geht und sagen: In drei, vier Jahren ist das nicht zu schaffen. Und da kommt völlig überraschend die Keule mit dem Ordnungsrecht. Die Überlegung beim Einstieg in die Kooperation zum Grundwasserschutz war doch gewesen, dass

dadurch erzielte Erfolge das Ordnungsrecht überflüssig machen. Da tun sich Akzeptanzprobleme für die weitere Mitarbeit in der Kooperation auf“, erklärt Peter gegenüber dem LW.

Beratungserfolge zur Kenntnis nehmen

„Wir wissen, dass wir durch gezielte ackerbauliche Maßnahmen die Entwicklung der Nmin-Werte beeinflussen, aber nicht steuern können. Aber die erzielten und dokumentierten Erfolge einfach zu übergehen, nicht zur Kenntnis zu nehmen, ist nicht wissenschaftlich“, bringt er seine Gegenmeinung auf den Punkt.

Allgemeine Verwaltungs-Vorschrift nachgeschoben

Nach der ersten Ausweisung von Roten Gebieten 2019 hatte es in allen Bundesländern viel inhaltlich begründete Kritik gegeben. In Hessen gab es drei Klagen seitens des Berufsstandes. Auf Bundes- und Länderebene wurde zur Kenntnis genommen, dass die rechtliche Grundlage für die Ausweisung einer Überprüfung vor den Verwaltungsgerichten möglicherweise nicht Stand halten würde.

Folgerichtig erließ der Bund im September 2020 eine Allgemeine Verwaltungs-Vorschrift (AVV), die sicherstellen sollte, dass die Anwendung der DüVo durch die Bundesländer möglichst einheitlich erfolgt.

Verordnungs-Umsetzung bei weitem nicht einheitlich

Der Entwurf zur Ausweisung der Roten Gebiete in Hessen kam dann bereits Anfang November. Aber dennoch erfolgt die Umsetzung bei weitem noch nicht einheitlich. Wie der für öffentliches Recht zuständige Referent des Hessischen Bauernverbandes, Theodor Merkel, dem LW gegenüber erklärt, gibt es bei der Umsetzung signifikante Unterschiede.

So hat das Land Baden-Württemberg im ersten Schritt 9 Prozent der Landesfläche, im zweiten Schritt 1,5 Prozent als Rote Gebiete ausgewiesen. In Hessen waren es zunächst 20 Prozent, anschließend immer noch 5 Prozent der Landesfläche.

Methodik der Ausweisung nicht vollständig bekannt

Der erste Kritikpunkt des Berufsstandes habe sich als richtig erwiesen: Die Messstellen waren weitgehend ungeeignet, wissenschaftlich begründete Rückschlüsse auf Gefährdungen der Grundwasserkörper zu ziehen. Der zweite Kritikpunkt richtete sich nach Merkel gegen die nicht vollständig bekannte Methodik der Ausweisung.

So seien beim Entwurf der Ausweisung im November kreisweite Viehbestandszahlen über die Flächen gelegt worden. Unbekannt sei dabei aber geblieben, ob die Bestandszahlen von 2010 oder 2019 stammten, die sich in Waldeck voneinander unterschieden.

Zudem sei Hessen das einzige Bundesland, das bei der organischen Düngung nicht mehr als 130 kg N je Hektar zulasse und maximal 170 kg N, wenn 20 Prozent unter Bedarf gedüngt werde. „Das ist gegenüber den Landwirten in anderen Bundesländern eine klare Ungleichbehandlung“, so Merkel.

Unberücksichtigt blieb auch die erkennbare Trendumkehr durch die Beratung in Grundwasserschutzgebieten. Eine allgemeine Grenze bringe weniger als die zielgerichtete Beratung.

Grobe Rechenmodelle viel weniger zielführend

Nach Dr. Peter helfen nur ganz konkrete Maßnahmen auf den Einzelschlag bezogen wie beispielsweise Zwischenfrüchte, die das von den Mikroorganismen im Boden freigesetzte Nitrat aufnehmen, binden und vor Verlagerung ins Grundwasser bewahren. Starre Grenzwerte, die sich aus groben Rechenmodellen ergeben, hält er für viel weniger zielführend.

Dz – LW 51/2020