Wie entwickelt sich die Landwirtschaft in den neuen Beitrittsländern der Europäischen Union? Anhand von Betrieben der Milchproduktion wird deutlich, wie dort mit Pioniergeist und unternehmerischem Handeln die Zeit nach dem Sozialismus genutzt wird, um unter den neuen ökonomischen Bedingungen zu wirtschaften. Auf dem Weg zum erfolgreichen Betrieb gibt es viele Hindernisse zu meistern. Das erläutert Dr. Theo Göbbel im Beitrag anhand betrieblicher Beispiele.
In der Region Blaj, im Kreis Alba Iulia, in Rumänien liegt ein von einer Winzerfamilie aus Constanza am Schwarzen Meer übernommenes Landwirtschaftsunternehmen mit einer Fläche von etwa 430 ha, das in Form von zwei landwirtschaftlichen Betrieben bewirtschaftet wird: einem Milchviehbetrieb mit 150 Milchkühen, 350 Rindern und 100 Mastbullen sowie einem Betrieb mit Schafhaltung. Betriebsleiter ist Florin Margineanu. Ihm zur Seite stehen als Führungskräfte noch ein Tierarzt und Zootechniker. Für die Bewirtschaftung der Flächen sind sämtliche Maschinen vorhanden. Es werden insgesamt 18 Arbeitskräfte beschäftigt, davon zwei Melker.
Der Milchviehbetrieb in Jidvei-Balcaciu umfasst 250 ha Fläche. Angebaut werden 50 ha Silomais, 70 ha Körnermais (Ertrag 9 t/ha), 20 ha Luzerne und 50 ha Heu und Silage, 20 ha Soja sowie die üblichen Getreidesorten (Weizen, Triticale und Gerste). Der Schafhaltungsbetrieb umfasst 180 ha Weidefläche plus 40 ha Sonnenblumen und 60 ha Körnermais. Insgesamt werden 800 Schafe gehalten, davon 80 Milchschafe, deren Milch für umgerechnet 67 Cent je Liter verkauft wird.
Selbst in Rumänien ist es inzwischen schwierig, gute Mitarbeiter in der Landwirtschaft zu finden. Laut Florin Margineanu ist es manchmal besser, unerfahrene Personen anzulernen, anstatt „halbwissende oder unwillige“ einzustellen. Das Gehalt liegt bei umgerechnet etwa netto 480 Euro pro Monat, wobei als rumänische Besonderheit ein Großteil des Gehaltes in Naturalien wie zum Beispiel Lebensmittel und Milch ausgezahlt wird. Ein Traktorist kommt, je nach Saison und Arbeitstage, auf umgerechnet bis zu 650 Euro pro Monat. Neben den Löhnen für die Mitarbeiter muss die Mutterfirma, wie seinerzeit im Sozialismus üblich, auch soziale Leistungen finanziell unterstützen, wie Kindergärten, Kantine und Stipendien für Studenten.
Milchlieferung steigt saisonal im Frühjahr an
Die Rinderhaltung umfasst derzeit 150 Milchkühe mit einer Jahresproduktion von 800 000 kg sowie 350 Nachzuchtrinder. Die Bullenkälber werden aufgezogen und pro Jahr etwa 80 bis 100 Stück bis zu einem Endgewicht von 550 kg gemästet. Wie in der übrigen EU müssen auch in Rumänien alle Rinder in einer „HIT-Datenbank“ erfasst sein, die Tiere haben Ohrmarken.
Die Milchproduktion erfolgt saisonal, das heißt mit einem Schwerpunkt der Abkalbungen und Milchlieferungen im Frühjahr – so dass die Kühe nahezu ohne Kraftfutter auch auf 5 500 kg Milchleistung kommen. Der Erzeugerpreis für Milch basiert anders als bei uns nicht auf die Milchinhaltsstoffe bei 4 Prozent Fett und 3,4 Prozent Eiweiß, sondern bei 3,7 Prozent Fett und 3,2 Prozent Eiweiß. Bei etwa 27 Cent pro Liter macht man damit auch in Rumänien trotz geringer Investitionen und niedrigen Löhnen nur Verluste. Solange die Molkerei Friesland im 60 km entfernten Tirgu Mures das Milchgeld monatlich auszahlt, hat man wenigstens Geld, um Löhne und laufende Ausgaben zu bezahlen. Die ursprünglich alten Anbindeställe mit Rohrmelkanlage wurden vor einigen Jahren durch einen neuen Stall und einen 2 x 8er Swingover-Melkstand ersetzt – und dafür insgesamt 300 000 Euro investiert.
Das Beantragen von Zuschüssen ist schwierig
Mit dem neuen, modernen Kuhstall und der schlagkräftigen Melktechnik sind von den beabsichtigten Investitionen für die „Runderneuerung“ des Betriebes etwa 70 Prozent des Budgets getätigt. Bemerkenswert: Wegen der Bürokratie bei der Beantragung und Abwicklung wurden keine Bankkredite aufgenommen, so dass bisher alle Investitionen aus den erwirtschafteten Einnahmen bezahlt wurden. Schwierig und unsicher ist auch die Beantragung und Abwicklung von EU-Investitionszuschüssen, weshalb bisher auch diese Finanzierungsquelle bisher nicht genutzt wurde.
Dass es auch anders geht und zwar im großen Stil, zeigt ein weiterer Betrieb, in dem 1,6 Mio. investiert wurden, die zu 50 Prozent mit EU-Mitteln finanziert wurden. Als EU-Flächenprämien werden in Rumänien circa 170 Euro pro ha gezahlt. Zusätz-lich gibt es pro Kuh 225 Euro und für alle Rinder über sieben Monate umgerechnet 130 Euro Prämie. Allerdings sollen die Tierprämien demnächst in eine Prämie pro Liter Milch von umgerechnet 2,4 Cent umgerechnet werden.
Land mit sieben Entwicklungsregionen
Auch in Rumänien spielt die EU-Bürokratie eine immer größere Rolle. Das ganze Land ist in sieben „Entwicklungsregionen“ eingeteilt, wobei jeweils ein Regionalzentrum für die Verteilung der EU-Mittel zuständig ist. Zusätzlich gibt es jeweils ein Zentrum für die Verteilung der nationalen Mittel, wie zum Beispiel im Kreis Alba Iulia. Sämtliche Fördermaßnahmen sollen unterschiedlich nach Naturzonen neu gestaltet werden. Das bedeutet auch, dass viele Landwirte mindestens ein Jahr vom laufenden Konto leben (überleben) müssen. Denn bis Klarheit herrscht, die Organisation steht und die Ansprechpartner ans Arbeiten kommen, vergeht einige Zeit. Kein Wunder, dass derzeit viele Bankkredite nachgefragt werden und lange Wartezeiten entstanden sind – was für zusätzlichen Verdruss sorgt.
Ein Schwerpunkt der nationalen Förderung und Verteilung der EU-Mittel liegt unter anderem bei der Milchproduktion. Daneben gibt es in diesem Jahr noch zusätzliche Mittel speziell für die Außenwirtschaft. Allerdings gibt es auch dazu noch keine Richtlinie. Wichtig ist allerdings: Nur wer 45 % Eigenmittel nachweist, bekommt die restlichen 55 Prozent von der EU als verlorenen Zuschuss. Damit hält sich der Kreis der potentiellen Interessenten in engen Grenzen, denn nur diejenigen, die genügend Eigenkapital oder Bankkredite nachweisen können, haben eine Chance, von der EU großzügig gefördert zu werden.
Flächen sind auch in Rumänien knapp
Die meisten nach der Wende zurückgegebenen landwirtschaftlichen Flächen lagen in den ersten Jahren einige Jahre lang brach. Bis zum Jahr 2000 sollen es sogar 50 Prozent der Flächen gewesen sein. Nur einige Flächen wurden von den Eigentümern zur Selbstversorgung bewirtschaftet – sofern man das Land in den „wilden 90er Jahren“ nicht vorzeitig billig verkauft hat. Inzwischen aber werden alle Flächen bewirtschaftet und das meiste Land ist verpachtet. Die Pacht wird hauptsächlich in Naturalien bezahlt, beispielsweise pro ha 600 kg Mais oder Weizen (nach derzeitigen Preisen wären das etwa 100 bis 120 Euro). Nur in wenigen Ausnahmefällen wollen die Verpächter tatsächlich Bargeld sehen.
Das „Pachtgeschehen“ wird überall stark von den Gemeinden reguliert. In jedem Kreis gibt es eine Kommission, die den Pachtpreis festlegt und an die sich alle halten (müssen). Die in den Mittelgebirgslagen reichlich vorhandenen Grünlandflächen, insbesondere die „Almweiden“ in den hügeligen Vorgebirgen, gehören weiterhin der Gemeinde. Deren Nutzung wird je nach Tierzahl an die Bewirtschafter „zugeteilt“, wobei als Faustzahl für jede Kuh 1 ha und für jedes Schaf 0,3 ha angesetzt werden. Kein Wunder, dass man in vielen Regionen auf jedem Berghang einen Wanderschäfer mit 200 bis 1 000 Schafen antrifft. Sie werden begleitet von zahlreichen halbwilden Hunden, die nicht nur Wölfe abhalten sollen, sondern auch jeden „Wanderer und Tourist“ heftig attackieren und nebenbei meist auch kräftig wildern und sich so ernähren.
Der Pachtpreis hat sich im Laufe der Jahre immer weiter erhöht. Inzwischen schwankt er nach Standort und Fruchtbarkeit des Bodens, zwischen umgerechnet 72 und 240 Euro pro ha. Das Interesse an Land ist derzeit so groß, dass es kaum noch freie Flächen gibt und auch Verkäufe kaum noch stattfinden. Wegen den nationalen Prämien wird in Rumänien derzeit „kein Quadratmeter“ nicht bewirtschaftet – anders als in den 90er Jahren, wo Tausende von Hektar brachlagen.
In den Anfangsjahren nach der Wende gab es in großem Stil Landverkäufe. Gut informierte Ausländer mit Bargeld, meist aus Italien und Österreich, waren die ersten, die für kleines Geld (etwa 2 Cent/m2) viele, meist hunderte von kleinen Parzellen zusammenkauften und versuchten, auf diese Weise die Flächen zu arrondieren. Solche „Filetstücke“ sind heute pro Hektar mindestens 6 000 bis 8 000 Euro wert.
Auf der anderen Seite gibt es in Rumänien nur wenige praktizierende ausländische Landwirte. Aber viele Flächen gehören bereits Kapitalgesellschaften. Florin Margineanu weiß von einem großen Milchviehbetrieb mit 1 500 Kühen, der von Holländern bewirtschaftet wird und nennt einen Schweizer, der etwa 2 500 Angus-Mutterkühe hält und Rindfleisch produziert.
Den ganzen Beitrag können Sie sich hier im PDF-Format herunterladen.Dr. Göbbel – LW 2/2016