Agrarpolitik | LW HEUTE

Landwirtschaftlichen Fortschritt nicht in Frage stellen

BWV-Präsident Ökonomierat Hartelt zum Erntedank

BWV-Präsident Eberhard Hartelt.
Pflanzenschutz verbieten und die Düngung massiv einschränken, das führt zu mehr Import und neuen Abhängigkeiten.

Liebe Mitglieder des landwirtschaftlichen Berufsstandes, sehr geehrte MitbürgerInnen, zum diesjährigen Erntedankfest möchte ich einmal den Blick in die Gründungszeit unseres Verbandes werfen. Mit dem Bauernverband Rheinhessen und der Pfälzischen Bauern- und Winzerschaft wurden vor 75 Jahren die Grundsteine des heutigen Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd e.V. gelegt. 1947 arbeitete noch ein Viertel der deutschen Bevölkerung direkt in der Landwirtschaft. Ein Landwirt ernährte mit seiner täglichen Arbeit zehn Menschen. Auf einem Hektar Weizen wurden durchschnittlich 2,7 t geerntet. Der Anteil der Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel am gesamten Konsum betrug 44 Prozent.

Moderne Landwirtschaft Basis für Wohlstand

Schon vor dieser Zeit hatte sich Deutschland durch den Fortschritt in der Landwirtschaft vom Agrarstaat immer mehr in eine Industrienation gewandelt. Diese Entwicklung setzte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Durch Erhöhung der Mechanisierung, verbesserte Ausbildung, neue Anbausysteme und Produktionsmethoden, Züchtungserfolge sowie Innovationen im Bereich Düngung und Pflanzenschutz gelang es, die Produktivität noch einmal deutlich zu steigern, Missernten zu verhindern und die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zu sichern. Die Produktion wurde effizienter, auch mit Blick auf den Verbrauch von Ressourcen. Die Anzahl der notwendigen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft sank, was dazu führte, dass immer mehr Menschen in anderen Wirtschaftsbereichen arbeiten konnten und so der Wohlstand des Landes kontinuierlich stieg.

Heute arbeiten nur noch 1,3 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft, ein Landwirt ernährt rund 140 Personen, auf einem Hektar Weizen werden 7,5 t geerntet und der Anteil der Ausgaben für Nahrungs- und Genussmittel liegt bei knapp 15 Prozent.

Obwohl unsere Gesellschaft von diesem Fortschritt insgesamt stark profitiert hat, wird die moderne Landwirtschaft aktuell mehr denn je in Frage gestellt. In großen Teilen von Politik und Gesellschaft scheint diese Historie bereits in Vergessenheit geraten zu sein. Anders sind die weiterhin hörbaren Rufe nach einer Agrarwende nicht zu erklären. Scheinbar können wir es uns als reiche Nation mit Prioritäten jenseits der Ernährungssicherung leisten, Pflanzenschutz zu verbieten, Düngung massiv einzuschränken und immer mehr Flächen der landwirtschaftlichen Produktion zu entziehen.

Auf den ersten Blick dienen wir damit dem Klima-, Umwelt- und Naturschutz, aber global betrachtet ist das ein Trugschluss.

Die Erzeugung wird sich ins Ausland verlagern und wir importieren dann noch mehr Lebensmittel, die mit deutlich geringeren Standards produziert wurden. Darüber hinaus begeben wir uns in einem äußerst sensiblen Bereich in Abhängigkeiten.

Natürlich wurden auch in der Landwirtschaft im Laufe der Zeit immer wieder Wege eingeschlagen, die aus heutiger Sicht falsch waren, aber es war der damalige Wissensstand. Solche Fehler gab es in vielen Wirtschaftsbereichen und wird es auch in Zukunft geben.

Verbesserungsmöglichkeiten finden

Daher ist es wichtig, nicht in der Vergangenheit nach Schuld für Fehlentwicklungen zu suchen, sondern nach Verbesserungsmöglichkeiten für die Zukunft. Der Berufsstand will nach vorne schauen. Die Ernährungssicherung muss wieder stärker in den Fokus rücken. Dafür braucht es eine leistungsfähige Landwirtschaft, die sich dann auch in Klima-, Umwelt- und Naturschutz noch stärker engagieren kann.

Landwirtschaft wird in Deutschland auf höchstem Niveau betrieben, hat durch ihren Fortschritt unserer Gesellschaft zu Wohlstand verholfen und muss auch weiterhin eine Zukunft in diesem Land haben. Mit Blick auf die aktuelle Lage in der Welt, sollten wir uns am Erntedankfest auch darauf besinnen, dass es ein nicht hoch genug einzuschätzendes Privileg ist, dass die Landwirte und Winzer die Früchte ihrer täglichen Arbeit in Sicherheit und Frieden einbringen können. Ich hoffe, dass dies auch so bleibt.

Eberhard Hartelt, Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd e.V. – LW 39/2022
Durchschnittlicher Ertrag reicht aus Maisanbau ist trotz hoher Düngerpreise rentabel
Klimaschutz, Artenvielfalt und auch noch Landwirtschaft AgrarWinterTage boten breite Themenvielfalt zum Ackerbau
Maßnahmen zum Erhalt der Bodenhygiene Eingeschränkte Möglichkeiten bei Beizen und im Pflanzenschutz