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Lange Nass, lange trocken und wieder lange nass

Erntegespräch zeichnet zwiespältiges Bild

„Volle Teller sind heute normal, egal wo es herkommt.“ Mit dieser kritischen Aussage eröffnete Vorsitzende Karin Lölkes das Erntegespräch des Kreisbauernverbandes Marburg-Kirchhain-Biedenkopf in Stadtallendorf-Erksdorf. Um das Bewusstsein der Gesellschaft für den Wert einer regionalen Erzeugung zu schärfen, lade man jährlich zu diesem Erntegespräch ein. Außerdem wolle man die Probleme, denen sich die Betriebe jedes Jahr neu stellen müssen, thematisieren und für praxistaugliche Lösungsansätze werben.

Die Teilnehmer des Erntegesprächs nutzten letzten Freitag eine Regenpause für dieses Gruppenbild. Foto: Becker

„Aktuell stehen quasi deutschlandweit die Mähdrescher still; das hätten wir uns vor drei Wochen, als wir zu diesem Termin geladen hatten, nicht vorstellen können“, so Lölkes auf dem Betrieb von Christiane und Ingo Henkel. Zu der Zeit, als die Einladung erstellt wurde, habe noch eine beispiellose Dürre geherrscht, die den Landwirten die Sorgenfalten ins Gesicht schrieb.

„Die Gerste wurde noch größtenteils mit guten Ergebnissen geerntet, aber dann kam der Regen so ergiebig und andauernd, dass mittlerweile nicht nur die Mengen, sondern auch die Qualitäten leiden“, erläuterte die Vorsitzende weiter. Andererseits könne sich aufgrund der Niederschläge jetzt der Mais etwas von der Trockenheit erholen und auch das Grünland regeneriere sich zusehends.

Ein anderes Problem seien die oft praxisfernen und ungeeigneten Vorgaben der Agrarpolitik, was beispielsweise in der Region zu einem Einbruch der Blühflächen gesorgt habe. Ein anderes Politisches Problem sei das von Russland aufgekündigte Getreideabkommen. „Das erst zu einer Preissteigerung geführt hat und dann dazu, dass jetzt Mengen über Polen auf unseren Markt drängen und die Erzeugerpreise unter Druck setzen. Dieses Getreide muss den Regionen in Afrika zukommen, die es dringend brauchen“, so Lölkes.

Selbst in der ländlichen Region des Kreisverbandes ist der Flächenverbrauch ein echtes Problem. Hier fordert der Verband dazu auf, auch die Gewerbetreibenden in die Pflicht zu nehmen, auf ihren Hallen Photovoltaikanlagen einzurichten, so wie die Landwirtschaft das schon lange tut. „Dann können unsere wertvollen Ackerflächen weiterhin der Produktion von Nahrungsmitteln dienen und müssen nicht unter PV-Anlagen verschwinden, so die Kreisvorsitzende.

Qualitätsverluste kosten 35 000 Euro

Betriebsleiter und Gastgeber Ingo Henkel stellte kurz seinen 200-Hektar-Ackerbaubetrieb in Erksdorf vor, den er und seine Frau im Nebenerwerb führen. Sie bauen Weizen, Roggen, Triticale, Energierüben und Mais an. Dieser geht zu 30 Prozent in eine Biogasanlage, von der dann der Gärrest zurück auf die Flächen kommt. „Wir bewirtschaften unsere Flächen konservierend, und da wir im Wasserschutzgebiet arbeiten, können wir kein Glyphosat mehr anwenden. Wir begegnen dieser Einschränkung durch mehrere Bearbeitungsgänge, was allerdings durch die verstärkte Mineralisierung im Wasserschutzgebiet auch ein Problem darstellen kann.“ Bisher habe es aber diesbezüglich noch keine Beanstandungen gegeben.

„Der Weizen fängt aktuell an auszuwachsen, und der Roggen liegt zum Teil“, erläuterte Henkel die witterungsbedingten Probleme auf seinen Flächen. Er bezifferte den Schaden für den Betrieb durch Qualitätsverluste auf rund 35 000 Euro. Groß seien die Unterschiede beim Mais, der jetzt vom Regen grundsätzlich profitiere. „Von nur kniehoch bis über 2,50 m ist je nach Aussaattermin derzeit alles dabei.“

Übers ganze Land gesehen große Unterschiede

Der Vizepräsident des Hessischen Bauernverbandes, Volker Lein, bewertete die bisherige Ernte mit Blick auf ganz Hessen: „Insgesamt gehen wir von einer leicht unterdurchschnittlichen Erntemenge aus, wobei es aber über ganz Hessen gesehen sehr unterschiedliche Ergebnisse gibt. Ursache ist die nach einem feuchten Frühjahr plötzlich eingetretene Trockenheit, wie ich das so noch nie erlebt habe. Innerhalb von zwei Wochen war die Bodenfeuchte durch ausbleibende Niederschläge, Hitze und Wind aufgebraucht.“ Der Aussaattermin sei neben der Bodengüte daher von entscheidender Bedeutung für die Ernte-Ergebnisse.

„Vielerorts fehlt es jetzt an Menge und wegen der anhaltenden Niederschläge in die reifen Bestände zunehmend auch an Qualität“, so Lein weiter. Beim Raps gebe es zwar Einbußen, er sei aber in den meisten Regionen schon geerntet. Deutliche Mindererträge seien bei Ackerbohnen festzustellen, da diese wegen Nässe erst zu spät gesät worden seien und dann wegen Trockenheit die Blüte reduziert hätten. Da bei Mais und Grünland jetzt wieder Zuwachs zu verzeichnen sei, rechne er mit einer insgesamt ausreichenden Futterversorgung.

„Wir verlieren jeden Tag eine Million Brötchen“

Der Erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow äußerte sich enttäuscht darüber, dass nach der Corona-Pandemie, während der das Interesse an der Landwirtschaft und die Wertschätzung für die Arbeit der Bauern enorm gestiegen war, eine anhaltende Trendwende diesbezüglich ausgeblieben sei. „Der Fokus in der Öffentlichkeit liegt jetzt wieder auf anderen Themen.“

Ein weiterhin drängendes Problem sei auch im Landkreis Marburg-Biedenkopf die voranschreitende Flächenversiegelung: „Wir verlieren jeden Tag eine Million Brötchen.“ Er warb dafür, statt Baugebiete im Außenbereich auszuweisen, die Innenentwicklung der Kommunen zu stärken.

Die Witterung war außergewöhnlich

Herbert Becker vom Beratungsteam Pflanzenbau des Landesbetriebes Landwirtschaft Hessen (LLH) stellte anhand der Wetterdaten fest, dass es in der Region einerseits zwar zu warm, andererseits aber auch zu nass war, nur eben mit extrem lange anhaltenden Wetterlagen in der einen oder anderen Richtung. „Nach dem nassen Frühjahr hatten die Kulturen nur wenig Zeit, denn schon im Mai setzte die Dürre ein. Im Juli kam dann die Nässe zurück und sorgt jetzt für Auswuchs und Minderqualitäten; viele Weizen-Partien werden nur noch Futterqualität aufweisen.“

Zu den einzelnen Früchten führte Becker aus: Bei Winter-Gerste gab es eine gute Ernte. Beim Roggen gibt es Probleme, weil die Ähren reif sind, die Halme aber noch grün. Triticale ist OK, der Weizen ist bisher ertraglich in Ordnung, aber es fehlt zunehmend an Qualität. Bei Sommergetreide fehlt wegen der kurzen Vegetationszeit zwischen später Aussaat und schneller Abreife deutlich die Menge. Der Mais regeneriert gerade, ebenso das Grünland, was auf noch ein bis zwei Schnitte hoffen lässt.

Ämter warten auf benötigte Vorgaben

Heike Wagner, Leiterin des Fachbereichs Ländlicher Raum und Verbraucherschutz beim Landkreis Marburg-Biedenkopf, teilte mit, dass zur aktuellen Föderperiode immer noch nicht alle Details geklärt sind. „Wir werden Sie bei der Antragstellung nach Kräften unterstützen, müssen uns aber auch erst einmal in die neuen Vorgaben zum HEKUL-Programm einarbeiten.“

Kreislandwirt Frank Staubitz, Lahntal-Caldern, bestätigte dem Amt, die Bauern bestmöglich bei Antragsstellungen zu unterstützen. „Das ist leider nicht überall so, und daher herzlichen Dank dafür.“

KB – LW 32/2023