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Ökolandbau-Modellregionen

Projekt beim Hochschultag in Witzenhausen erläutert

Der seit 2007 im zweijährigen Rhythmus stattfindende gemeinsame Hochschultag der Universität Kassel-Witzenhausen mit dem Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen diente in diesem Jahr dazu, drei neu initiierte Ökolandbau Modellregionen in Hessen vorzustellen.

Ministerin Priska Hinz Foto: Hildebrandt
Martin Sudbrock Foto: Hildebrandt
Christian Novak Foto: Hildebrandt
Prof. Dr. Ulrich Hamm Foto: Hildebrandt

Die hessische Landwirtschafts­ministerin Priska Hinz erläuterte die Ziele der Landesregierung, die zur Bildung der Modellregionen für den Ökolandbau geführt haben. Hintergrund sei die wachsende Nachfrage nach ökologisch erzeugten Lebensmitteln, die nicht mehr aus heimischer Produktion zu decken sei, sondern durch Importe auszugleichen wären.

Um das Bewusstsein für die regionale Identität und regionale Vorhaben voranzubringen, habe man das Projekt Modellregion ins Leben gerufen.

Unter sechs Bewerbern hätten drei herausragende Konzepte vorgestellt und den Zuschlag erhalten. Dazu zählen der Landkreis Fulda, der Wetteraukreis und eine Kooperation der nordhessischen Landkreise Kassel und Werra-Meißner.

Mit einem Personalzuschuss, der über zwei Jahre gewährt werde, sollen die Modellregionen beispielhafte Ak­tivitäten entwickeln und Nachfragepotenziale nutzen.

Ziel sei, dass die Modellregionen nach der Anschubphase „auf eigenen Beinen stehen“ und ihre Arbeit nachhaltig fortführen werden.

Die Ministerin möchte so neue Wertschöpfungsketten in der Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung initiieren, die Einkommen generieren und dazu beigetragen, dass die Menschen in den ländlichen Regionen bleiben. Insofern können auch Kommunen an Ökoaktionsplan und den Ökomodellregionen profitieren.

Landkreis Fulda mit hohem Grünlandanteil

Anschließend stellten sich die drei neuen Modellregionen vor: Für den Landkreis Fulda, dessen Suche nach einem Modellregionen-Koordinator noch nicht abgeschlossen ist, erläuterte der Fachdienstleiter Landwirtschaft beim Landkreis Fulda, Martin Sudbrock, die Beweggründe und Absichten bei der Bewerbung als Modellregion. Die Region mit hohem Grünlandanteil, 11,6 Prozent ökologisch wirtschaftenden Betrieben und bedeutendem Tourismus sehe zur Verbesserung der Wertschöpfungsketten Handlungsbedarf bei Landwirtschaft, ökologischer Erzeugung sowie Verarbeitung und Vermarktung, auch im Tourismus und der Gastronomie. Im Handlungsfeld Landwirtschaft möchte man mit dem Ökoaktionsplan und den Möglichkeiten der Modellregion durch individuelle Hilfen jährlich fünf Betriebe zur Umstellung ihrer bisherigen Wirtschaftsweise auf ökologischen Landbau bewegen und begleiten. Dies soll durch Beratung, Fortbildung und beispielhafte Demonstrationsbetriebe erfolgen.

Als Akteure für Beratung und Begleitung kommen neben bestehenden Einrichtungen im Landkreis auch Kooperationen mit anderen Anbietern in Betracht. Als besonders wichtig werde auch die Sensibilisierung und Aufklärung der Verbraucher für die Bedeutung von ökologischen und regionalen Produkten eingeschätzt.

Wenig Ökobetriebe in der Wetterau

Modellregionen-Koordinator Christian Sperling machte für die Modellregion Wetteraukreis deutlich, dass in der „Kornkammer Hessens“ derzeit nur 40 Bio-Betriebe auf 2 700 ha wirtschaften. Mit einem Anteil von 3,8 Prozent bei den Betrieben und 5,1 Prozent der Flächen liegt der Ökolandbau deutlich unter dem hessischen Durchschnitt von 11 Prozent.

Dies ist für ihn Ansporn, mit dem Modellprojekt die Zahl der Öko-Betriebe in der Wetterau zu erhöhen. Stärken der Region lägen in günstigen Boden- und Klimabedingungen, der Nähe zur Metropolregion Frankfurt / Rhein-Main, der Nähe zu einem regionalen Bio-Großhändler und gute Pro­jekt­strukturen für eine zukünftige Zusammenarbeit und Vernetzung.

Nachteilig sei allerdings eine starke Flächenkonkurrenz mit hohen Pachtpreisen und Flächendruck, dem hohen Ertragspotential und guten Gewinnmög­lichkeiten für kon­ventionelle Bewirtschaftungsformen, welche die Umstellung erschweren sowie fehlende zertifizierte Verarbeitungsbetriebe für Ökoprodukte.

Ballungsraum vor der Haustür bietet Absatz

Sperling sieht gute Absatzmöglichkeiten im nahen Ballungsgebiet, dass noch besser für die regional und ökologisch wirtschaftenden Betriebe erschlossen werden soll. Die Ziele sollen unter dem Dach des Wetteraukreises als Träger durch ein Netzwerk von Partnerschaften zwischen Erzeuger- und Bioverbänden, der Berufsvertretung, ortsansässiger Genossenschaften und Handelsunternehmen und weiteren Unterstützern und Institutionen erreicht werden.

Für die Landkreise Kassel und Werra-Meißner stellten die Projektkoordinatorinnen Silke Flörke und Sabine Marten die betroffene Region und ihr Konzept zur Umsetzung des Modellprojekts vor. Für die Ansprüche unterschiedlicher nordhessischer Gebietskulissen sollen individuelle Entwicklungsmöglichkeiten erarbeitet und umgesetzt werden.

Förderung alter Haustierrassen möglich

Zur Sicherung naturschutzfachlich wertvoller Grünlandbereiche wird vorgeschlagen, eine Nutzung durch extensive Tierhaltung zu sichern. Kooperationen von Landwirten, Verarbeitern und Direktvermarktern können die Wertschöpfung verbessern, wobei aktiver Erzeuger-Verbraucher-Dialog die Bekanntheit regional erzeugter Produkte erhöhen kann. Durch die Bildung, Unterstützung und Bewerbung von Bio-Regio-Läden soll auf die Vielfalt regionaler Produkte aufmerksam gemacht werden. Es sollen kleine Hofläden ausgebaut und die Produktpalette erweitert werden.

Chancen die beiden Referentinnen in einer Vernetzung von landwirtschaftlichen, handwerklichen und gastronomischen Betrieben. Hilfreich wäre auch ein zunehmendes Angebot von regionalen Produkten für Gemeinschaftsverpflegungen. Als weiterer wichtiger Punkt wird der Ausbau von Bildungsangeboten gesehen. In der Modellregion sollen vor allem Jugendliche und Kinder als Zielgruppen angesprochen werden. Mehrere Betriebe könnten gemeinsame Info-Veranstaltungen zum Beispiel mit regionalem Genussfaktor durchführen. Zur Umsetzung der Vorhaben sei eine Lenkungsgruppe der Antragsteller gebildet worden, welche durch weitere Organisationen (VÖL Hessen, Bauernverbände, Vereine für Regionalentwicklung, Naturpark Meiß­ner-Kaufunger Wald, Deula, VR-Bank Werra-Meißner sowie Stiftungen und Biobetriebe beider Landkreise) unterstütz wird.

In Bayern derzeit zwölf Öko-Modellregionen

In Arbeitsgruppen wurden die Arbeitsschwerpunkte beschlossen. Die im September 2015 gegründete Modellregion wird durch acht Firmen, 15 Biobetriebe und 13 Institutionen finanziell unterstützt. Weitere Anregungen wurden durch Christian Novak, Projektmanager der bayrischen Öko-Modellregionen gegeben. In Bayern wurden seit 2014 bis heute zwölf Modellregionen für ökologischen Landbau gegründet, in denen innovative Projekte und Konzepte zur Entwicklung des ökologischen Landbaus in der Region entlang der Schwerpunktfelder Erzeugung, Verarbeitung, Vermarktung und Bewusstseinsbildung sowie weiteren The­men der Regionalentwicklung gefördert werden.

Das Projektmanagement werde finanziell durch einen Eigenanteil der beteiligten Gemeinden (25 Prozent) und zu 75 Prozent vom Freistaat bezuschusst. Zudem stehe die bayernweite Unterstützung und Betreuung durch Fachbehörden der landwirtschaftlichen Verwaltung zur Verfügung. Ursprünglich sei die finanzielle Förderung auf zwei Jahre begrenzt, für die ersten Modellregionen nun aber auf insgesamt fünf Jahre verlängert worden. Novak stellte die Modellregionen in Schwerpunkte in der Projektumsetzung vor. Als erste Erfolge sei festzuhalten, dass der Öko-Land­bau auf kommunaler Ebene diskutiert werde, regionale Erzeuger und Verarbeiter in Beziehung getreten seien, Kleinprojekte (mobile Käsereien) und größere Vorhaben (Metzgereien, Getreidelager) unterstützt werden und eine öffentlich wirksame Kommunikation betrieben werden konnten. Hilfreich sei auch der Wissenstransfer zu Spezialthemen wie Mohnanbau oder der Anbau von Arzneipflanzen gewesen. Maßgeschneiderte Lösungen und Projekte ließen sich jedoch nur mit den Akteuren vor Ort entwickeln.

Prof. Dr. Ulrich Hamm und Prof. Dr. Angelika Ploeger (beide Universität Kassel) gingen anschließend auf Konsumentenverhalten und Kaufentscheidungen ein. Aus vielen Studien und Befragungen habe sich herausgestellt, dass tendenziell eher jüngere Konsumenten und mehr Männer sich eher regio- und öko-desinteressiert zeigen. Kaufentscheidend ist in dieser Gruppe der Preis. Regio- und öko-interessierte Konsumenten seien tendenziell eher älter und überwiegend weiblich. Sie verhielten sich umwelt- und qualitätsbewusst, hätten eine höhere Zahlungsbereitschaft für regional erzeugte Lebensmittel. Je regionaler, desto besser.

Kombination Öko und Regional ist wichtig

Auffällig sei, dass eine stärkere Präferenz für Produkte mit Herkunftsangabe als mit Öko-Kennzeichnung bestehe und die Kaufentscheidung beeinflusse. Die Kombination Öko und Regional sei besonders wichtig für Öko-Produkte. Wichtig seien auch Aspekte der Vertrautheit und Umwelt. Ernährung mit regionalen Lebensmitteln schaffe Vertrauen und Emotionalität.

Verbraucher und Betriebe müssen überzeugt sein

Zum Thema, wie regionalen und ökologische Produkte an den Verbraucher zu bringen sind, nahm der Prof. Dr. Gerald Hüther von der Uni Göttingen mit dem Thema „Kommunale Intelligenz“ Stellung. Mittels Beispielen macht er die Wahr­neh­mungs-, Empfindungs- und Haltungswelt deutlich sowie dass abhängig von unserer Prägung sich echte Überzeugungen nur durch korrespondierende Haltungen ergeben. Anders ausgedrückt: Jemanden von einem Produkt zu überzeugen und zu einer Kaufentscheidung zu bewegen, ist nur dann möglich, wenn der Gegenüber tatsächlich vom Wert und der Sinnhaftigkeit der Entscheidung überzeugt ist. Nach Hüther kann auch das Vorhaben eines Betriebsleiters zur Umstellung nur erfolgreich sein, wenn er davon überzeugt ist.

Dr. Ernst-August Hildebrandt – LW 50/2015