Der Sonderkulturanbau in Südhessen ist besonders innovativ. Zum Erfolg trägt auch die inzwischen seit zehn Jahren bestehende überregionale Kooperation der Arbeitsagenturen Darmstadt und Eberswalde bei. So neigt sich in Kürze die Erdbeer- und Spargelsaison 2015 dem Ende zu und Landwirte in Südhessen ziehen erste Bilanz. „Ohne die tatkräftige Hilfe von Arbeitskräften aus dem Osten Deutschlands und Rumänien können wir unsere Arbeit im Ried schon lange nicht mehr leisten“, sagte Peter Lipp vom Steinbrücker Hof in Weiterstadt.
Seit zehn Jahren setzt er auf Mitarbeiter, die ihm die Arbeitsagentur in Eberswalde gemeinsam mit der Arbeitsagentur Darmstadt schickt. Eine sehr erfolgreiche Kooperation. Die Idee dazu hatten Harald Claar, Arbeitsagentur Darmstadt und Peter Gheorgean, Geschäftsführer des Regionalbauernverbandes Starkenburg mit Sitz in Griesheim.
Kooperation der Arbeitsämter funktioniert
Nachdem die Akquise von Arbeitssuchenden aus der unmittelbaren Region immer wieder scheiterte, besann man sich darauf neue Wege zu gehen. Seit nunmehr 10 Jahren veranstalten Claar und Gheorgean in Eberswalde, einer Stadt mit 20.000 Einwohnern östlich von Berlin gelegen eine richtige Jobbörse, bei der sich Leistungsempfänger von Arbeitslosengeld I und II für die Saisonarbeit in der Landwirtschaft melden können. Von April bis Ende Juni dauert die Saison hier in unserer Region. Denn dann sprießen allerorts Sonderkulturen wie Spargel und Erdbeeren sowie Kräuter aller Art auf südhessischen Äckern.
„Der Osten hilft dem Westen“
„Der Osten hilft dem Westen“ sagte Peter Gheorgean. Pro Jahr kann er zwischen 50 bis 100 Personen in der vom Regionalbauernverband Starkenburg betreuten Region in unterschiedliche Jobs bringen. „In den letzten zehn Jahren waren das mehr als 600 Personen.“ Die meisten Arbeitskräfte stammen aus osteuropäischen Ländern wie etwa Rumänien.
Gheorgean weiß: „Ohne die Eberswälder wäre es nicht möglich, so viele Verkaufsstände und florierende logistische Unterstützung in Südhessen im Rahmen der diesjährigen Saison dem Verbraucher andienen zu können. Wir sind stolz darauf, dass wir inländische Arbeitnehmer beschäftigen können, die teilweise hier bleiben und Dauerarbeitsplätze erhalten. Wir können uns darauf verlassen, dass diese Arbeitnehmer in der Logistik und dem Verkauf der landwirtschaftlichen Produkte eingesetzt werden.“
Wie es zur Zusammenarbeit mit der BLR gekommen ist
Bereits 1986 wurden drei Gesellschaften gegründet um den Arbeitsmarkt in Deutschland zu entlasten und vermehrt inländische Leistungsempfänger von Arbeitslosengeld I und II für Saisonarbeiten in landwirtschaftliche Betriebe zu vermitteln. „Doch geblieben ist nur unsere in der Pfützenstraße in Griesheim“ resümiert Gheorgean. Alle Maßnahmen und Klimmzüge, inländische Arbeitnehmer der Region auf Deutsche Äcker zu bringen sind gescheitert. Die Beschäftigungsgesellschaft für ländliche Räume mbH (BLR) in Griesheim aber setzte auf Kooperation und expandierte. Der Durchbruch kam, als man gemeinsam mit Harald Claar,
Teamleiter Arbeitgeberservice in der Arbeitsagentur Darmstadt, im Rahmen einer im Jahre 2006 einberufenen Tagung Gespräche mit anderen Experten ausgewählter Arbeitsagenturen führte. Sylvia Rummler, Arbeitsvermittlerin in der Arbeitsagentur Eberswalde, war eine von diesen. Sie sagt: „Unsere Region ist strukturschwach, viele Betriebe schlossen direkt nach der Wende. Junge wandern nach Berlin ab, doch viele sind mit ihrer Heimat verwurzelt und bleiben einfach dort, wo sie geboren wurden. Und nehmen das arbeitslos sein eben in Kauf.“
Die Tatsache, dass die Arbeitslosenquote in Eberswalde damals bei über 25 Prozent lag und hier im südhessischen Bereich Landwirte händeringend nach Mitarbeitern für die Saison suchten, brachte die zündende Idee und die Kooperation ins Laufen.
Kontaktbörse für Verkauf an den Ständen
Bereits seit zehn Jahren fährt Claar mit Gheorgean in den Barnim-Kreis in der Region Brandenburg und bildet dort eine Kontaktbörse für inländische Arbeitssuchende in Südhessen. Nicht für die Feldarbeit sucht man Helfer – denn die kommen heutzutage meist aus Rumänien – nein, für den Verkauf am Stand, oder für andere anspruchsvollere Jobs im Bereich Logistik und Vertrieb. Etwa in der Kräutertrocknungsanlage von Landwirt Stefan Ruckelshaußen in Wallerstädten. Hier arbeitet nun schon seit sieben Jahren Frank Bunge (52), vormals Braumeister in seiner Heimatstadt Eberswalde, kümmert er sich nun um den reibungslosen Ablauf in der Trocknungsanlage. Täglich werden mit großen Ernte-LKWs um die sechs Fuhren mit frischen Kräutern angeliefert, die unmittelbar in der Region um Wallerstädten angebaut werden. „Heute ist es Liebstöckel“ sagte Bunge. Die große Halle ist in den typischen süßlich-würzigen Maggi-Duft gehüllt. Auf Förderbändern bewegen sich die grünen Stängel und Blätter gen Trocknungsraum, werden gehäckselt, getrocknet und automatisch für die Pharma- und Lebensmittelindustrie in große Säcke gefüllt.
Manchmal wandern die Kräuter auch direkt in die Töpfe von Sterneköchen, die hier bei der angegliederten Agrimed GmbH ihre Bestellung aufgeben. Gesteuert wird die Anlage von André Stöck (31), ebenfalls aus Eberswalde.
Derzeit beteiligten sich 300 Betriebe in Starkenburg
Insgesamt können rund 300 landwirtschaftliche Betriebe des Regionalbauernverbandes Starkenburg an diesem Konzept partizipieren. Zwischen 7,40 und 10 Euro verdient man als Logistikhelfer. Dazu gibt es Kost und Logis direkt beim Bauern zu kleinem Preis. Bezahlt von der Arbeitsagentur Eberswalde. Bunge und Stöck wohnen zusammen mit sieben weiteren Helfern in einem Haus in der Ortsmitte von Wallerstädten. Reine Männerwirtschaft. Frauen gibt es hier nicht.
Viele kommen jedes Jahr wieder nach Hessen
Anders sieht es 15 km weiter bei Bauer Lipp in Weiterstadt aus. Hier helfen in dieser Saison an die 30 Langzeitarbeitslose aus Eberswalde im Erdbeer- und Spargelverkauf. Meist sind es Frauen. Manche kommen schon seit vielen Jahren. So Ramona Rinke (57), gelernte Disponentin, die direkt am Hof den größten Verkaufswagen managt und nun auch schon das siebte Jahr vor Ort ist. Ihr Mann ist bereits ein Jahr länger da. Gearbeitet wird von morgens 8 Uhr bis abends gegen 19 Uhr. Am verkaufsfördernd eingerichteten Stand verkauft sie grünen und weißen Spargel, Erdbeeren, Kartoffeln, Sauce Hollandaise, Erdbeerwein und leckere Marmelade. Alles stammt vom Bauer Lipp – abgesehen von den Kartoffeln. „Die kommen aus Zypern und sind ganz frisch“, sagt Rinke, denn hier gäbe es um diese Jahreszeit noch keine reifen Frühkartoffeln.
Peter Lipp, Inhaber des landwirtschaftlichen Familienbetriebes in Weiterstadt, erklärt sein hochprofessionelles Konzept: „300 Saisonhelfer sind auf dem Acker, rund 70 Helfer arbeiten im Verkauf in einem Umkreis von rund 60 Kilometern um unser Anbaugebiet“. Letztere genießen jährlich wiederholt Verkaufsschulungen, damit die Ware gut an den Kunden verkauft werden kann.
„Darf“s noch etwas mehr sein? Möchten Sie noch einen Erdbeersekt zum Spargel? Oder möchten Sie mal unseren vakuumierten und bereits mit Ingwer, oder Rosmarin gewürzten grünen Spargel testen?“ Ramona Rinke macht ihre Arbeit großen Spaß. So geht der Tag schnell rum, auch wenn er lang und arbeitsreich ist.
Als Belohnung für den anstrengenden Job gibt es beim Bauern Lipp schon Mal einen kleinen Ausflug in den Freizeitpark Rust, für ganz fleißige Mitarbeiter auch einen einwöchigen Urlaub in den Süden. Der Chef Peter Lipp ist dann dabei. „Das fördert die Motivation“, sagt er. Auch bei der Jobbörse geht er gleich abends mit seinen neuen Schäfchen ins Wirtshaus in Eberswalde. Menschlichkeit zählt für ihn, denn nur wer gut behandelt wird, fühlt sich wohl und kommt wieder.
Gheorgean erklärt: „Diese „Stellenbörse Hessen“ dient nicht nur der Rekrutierung von Saisonarbeitern für den Spargel- und Erdbeeranbau, sondern schafft auch ganzjährige Arbeitsplätze in größeren landwirtschaftlichen Betrieben, die Personal für den Verkauf benötigen. Zum Beispiel arbeiten in Wallerstädten bei Agrimed drei Personen aus Eberswalde. Noch gelten Sonderregelungen bei Tätigkeiten in der Landwirtschaft. Ab dem 2. Februar 2018 greift der Mindestlohn auch hier. Die Helfer aus Eberswalde bekommen die Fahrt bezahlt, erhalten doppeltes Haushaltsgeld und eine Erschwerniszulage. Der Job ist ein gutes Zeugnis und hilft bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Der Stundenlohn liegt mancherorts bei über 10 Euro, mindestens aber bei 7,40 Euro. Mitbringen muss man: einen Führerschein, Rechenkenntnisse, um die elektronische Kasse zu bedienen, Freundlichkeit, Servicebereitschaft und ein gepflegtes Äußeres.“
Viele Eberswälder, die erst im Verkauf gearbeitet haben, klettern schnell die „Karriereleiter“ hoch, arbeiten im Büro, und sind manchmal auch schnell wieder weg. Abgeworben von Unternehmern aus Südhessen, die ihnen einen besseren und vor allem ganzjährigen Job mit mehr Sicherheiten anbieten können. Peter Lipp findet das nicht schlimm. Im Gegenteil: er sieht sich als Jobmotor und Arbeitsvermittler. Als Chancengeber. Im nächsten Jahr kommen neue Mitarbeiter aus Eberswalde, und vielleicht schaffen sie auch eine volle Erwerbstätigkeit. Dann hat sich die „Jobbörse Südhessen“ für die Beteiligten besonders gelohnt, stellen Sylvia Rummler und Harald Claas heraus.
„Gemeinschaftswerk“ ist pragmatisch und erfolgreich
Nun zum zehnjährigen Bestehen der Kooperation blickt Gheorgean zufrieden auf das Gemeinschaftswerk. „Manchmal muss man eben ungewöhnliche Wege gehen, wenn man Lösungen braucht. Wir haben mit den Menschen aus Eberswalde unser Ziel erreicht. Die Bauern der Region haben kompetente Mitarbeiter gefunden, die mit Spaß bei der Arbeit sind. Und die Arbeitslosigkeit in Eberswalde ist stark gesunken. Sie liegt jetzt nur noch bei 10,8 Prozent. Das ist eine Spitzenleistung.“
Pettmann – LW 26/2015