Aus Sicht der Prozessbiologie ist die Zuckerrübe ein sehr interessantes Substrat für die fermentative Erzeugung von Biogas: Hohe Gehalte an leicht umsetzbaren Zuckerverbindungen und das nahezu vollständige Fehlen von schwer abbaubaren Strukturstoffen ermöglichen derart hohe Abbaugrade, wie sie kaum bei einem anderen für die Biogasproduktion verwendeten Substrat erreicht werden. Im Fermentationsprozess hat die Zuckerrübe zudem einen sehr positiven Einfluss auf die Rühr- und Pumpfähigkeit des Gärsubstrates. Aber es gibt auch Hindernisse.
Das Gesamtverfahren der Zuckerrübenvergärung, das die Schritte Anbau, Ernte, Aufbereitung, Silierung, fermentative Konversion und Gärrestlagerung umfasst, stellt die Betreiber von Biogasanlagen vor besondere Herausforderungen. Ist nur eine kurzfristige Lagerung von wenigen Wochen vorgesehen, ist es möglich, die Zuckerrüben ohne gezielte Konservierung am Feldrand oder an der Biogasanlage zu lagern. Ist dagegen ein nahezu ganzjähriger Einsatz der Zuckerrüben in der Biogasanlage geplant, müssen die Rüben über eine Silierung konserviert werden, um einen aeroben Trockensubstanzabbau zu vermeiden.
Der Silierprozess der Zuckerrübe
Während des Silierprozesses von Zuckerrüben dauert die Bildung von Milchsäure so lange an, bis die Saccharose verbraucht ist. Danach beginnt die Buttersäurefermentation und es werden Buttersäure, Essigsäure, Alkohol, CO2 und Wasserstoff gebildet.
Nach der Milchsäurebildung werden die verbleibenden Zucker durch Hefen zu Ethanol vergoren. Dabei entweichen etwa 50 Massenprozent der umgewandelten Zucker als CO2. Die alkoholische Gärung bei der Silierung kann die Größenordnung der Säuregärung sogar überschreiten. Niedrige Lagertemperaturen sind dabei günstig für die alkoholische Gärung.
Große Mengen an korrosivem Sickersaft
Die Abwesenheit von Sauerstoff führt während der Silierung zum Absterben von Zellgewebe und damit zur Freisetzung von nährstoffreichem Sickersaft. In dem Prozess, der kurz nach dem Füllen der Silos beginnt, bildet sich bei Zuckerrüben der aufgrund seines hohen Säuregehalts extrem korrosive Sickersaft.
Damit weisen Zuckerrüben bezüglich der Silierung im Vergleich zu herkömmlichen Ganzpflanzensilagen zwei wesentliche Unterschiede auf: Erstens führt die höhere Zellwandverdaulichkeit zur Bildung von deutlich höheren Sickersaftmengen. Zweitens folgt auf die Milchsäuregärung aufgrund der verbleibenden hohen Zuckergehalte noch verschiedene alkoholische Gärungen. Diese gebildeten Alkohole verdampfen teilweise nach dem Öffnen des Silos.
Insgesamt führt dies dazu, dass die Verluste bei der Silierung von Zuckerrüben deutlich höher sind als bei Ganzpflanzensilagen, selbst wenn die Sickersäfte vollständig verwertet werden.
Verfahren der Zuckerrübenlagerung
Der Anbau von Zuckerrüben zur Biogasproduktion unterscheidet sich nicht vom Anbau der Zuckerrüben zur Zuckergewinnung. Für alle Lagerungsmethoden empfehlen sich nach der Ernte die Prozessschritte Trockenreinigung beim Verladen, Entsteinen und Waschen. Die heute gängigsten Konservierungsmethoden sind die Silierung ganzer Zuckerrüben im Fahrsilo oder im Folienschlauchsilo, sowie die Silierung von Zuckerrübenmus im Hochsilo oder in offenen Erdbecken beziehungsweise Lagunen.
Zur ebenso praktizierten Mischsilierung werden ganze oder grob zerkleinerte Rüben mit einem Mischungspartner im Fahrsilo gelagert. Durch Mischsilagen sollen die Lagerungsverluste durch das Entstehen großer Mengen des energiereichen Sickersaftes, reduziert werden. Die Wahl des Mischungspartners hängt von der erforderlichen Konsistenz der Mischsilage ab. Dazu werden am häufigsten Silomais, Lieschkolbenschrot (LKS), Corn-Cob-Mix (CCM) und Stroh verwendet.
Nach KTBL entstehen die höchsten oTS-Verluste bei der Lagerung von ganzen Zuckerrüben im Fahrsilo (16 bis 40 Prozent bei 30 Prozent Sickersaftanfall) und die geringsten Verluste durch die Lagerung in einer Feldrandmiete (5 bis 15 Prozent). Im Vergleich dazu betragen die oTS-Verluste bei der Lagerung des Zuckerrübenmuses in Hochsilos 10 bis 18 Prozent und 14 bis 23 Prozent in Erdbecken.
Stapelhöhe und Schnitzelgröße untersucht
Um ein für die Lagerung von Zuckerrüben optimiertes Verfahren zu entwickeln, waren vertiefte Kenntnisse über den Verlauf der Silierung, die gebildeten Sickersaftmengen und dessen Zusammensetzung im Zeitverlauf, sowie deren beeinflussende Parameter erforderlich. Für einen ersten Laborversuch wurden an der Uni Hohenheim drei Plexiglas-Säulen (2 m Höhe und 0,3 m Durchmesser) sowie sechs PVC-Säulen (5 m Höhe und 0,3 m Durchmesser) aufrecht aufgestellt. Zu Beginn des Versuchs wurden die Säulen mit etwa 70 kg (2 m) beziehungsweise rund 235 kg (5 m) gehäckselten Zuckerrüben gefüllt.
Als Sickersaft fielen zwischen 42 und 55 Prozent der eingelagerten Masse an. Etwa die Hälfte der Sickersaftproduktion fand in den ersten drei Lagerungswochen statt. Der Verlauf der Gasproduktion der Silage verhielt sich in etwa analog zur Sickersaftbildung. Die Reduktion der Stapelhöhe entsprach dagegen einem umgekehrt proportionalen Verlauf zur Sickersaftproduktion. Die Stapelhöhe lag nach 105 Tagen bei etwa 50 Prozent ihrer Ausgangshöhe und am Ende des Versuches bei etwa 33 Prozent.
Anfänglich enthielt der Sickersaft hohe Konzentrationen an Zuckern. Diese wurden mit der Zeit zu Säuren und Alkoholen abgebaut. Der pH-Wert sank im Laufe des Versuches auf etwa 3,38 ab. Der produzierte Sickersaft zeichnete sich während der gesamten Lagerungszeit durch sehr hohe und relativ konstante CSB-Werte (Chemischer Sauerstoffbedarf) von um die 250 g/l aus. Die oTS-Verluste während der Lagerung waren insgesamt sehr gering und lagen zwischen 3,1 und 4,2 Prozent .
Lagerungsversuche im technischen Maßstab
Auf der Grundlage der Ergebnisse der Säulenversuche wurden die Hohenheimer Schrägbodensilos zur gleichzeitigen Lagerung der Zuckerrüben und des anfallenden Sickersaftes entwickelt. Das Konzept der Silos sollte folgende Kriterien erfüllen:
Das Silo selbst dient zur Sammlung und Speicherung des Sickersaftes. Durch den Auslauf am tiefsten Punkt im Silo kann der Sickersaft entnommen werden, ohne den Silo öffnen zu müssen.
Die Sickersaftentnahme per Pumpe ist deutlich schneller und präziser als die Beschickung mittels Feststoffdosierer und kann automatisiert erfolgen (ca. 50 Prozent der eingelagerten Masse könnten so entnommen werden).
Der Boden ist trotz der Neigung befahrbar, um eine einfache Restentleerung der Silos mittels Radlader zu ermöglichen.
Durch eine Abdeckung mit EPDM-Folie und Seeger-Silo-Verschluss werden anaerobe Bedingungen trotz des während der Silierung stark in sich zusammensackenden Substratstapels ermöglicht.
Die Befahrbarkeit der Silos garantiert die Funktionalität bei den üblichen landwirtschaftlichen Substraten, wie zum Beispiel Mais- oder Grassilage. Diese Multifunktionalität ist ein Vorteil gegenüber anderen Lösungen der Zuckerrübensilagelagerung, wie zum Beispiel Lagunen.
Die Versuchs-Fahrsiloanlage besteht aus drei Kammern, die Innen 10 m lang und 3,5 m breit sind. Die Bodenflächen der Kammern haben ein Gefälle von 10 Prozent, von der Öffnung nach unten. Die Seegerprofile sind in die Mauerkrone eingelassen. In jedes Silo wurden je etwa 28 t Zuckerrüben eingelagert. Nach dem Befüllen wurden die Silos mit der flexiblen EPDM Folie verschlossen und vakuumiert.
Ergebnisse: gute Sickersaft- und Silagequalität
Prinzipiell verhielt sich der Verlauf der Sillierung ähnlich zu den Säulenversuchen. Bei den ganzen Rüben waren die Ereignisse, wie zum Beispiel das Einsetzen der Gasproduktion, aber zeitlich verzögert eingetreten. Die Sickersaft- und Silagequalität war sehr gut, es waren nach dem Öffnen der Silos keine Schimmelnester zu erkennen.
Die Lagerung in den Grubensilos erwies sich als verfahrenstechnisch vorteilhaft und verspricht in Kombination mit gewaschenen und gehäckselten Rüben eine gute Eignung für die beabsichtigten Anwendungen.
Biogasproduktion im Praxismaßstab
Die Verwendung des produzierten Sickersaftes für die bedarfsorientierte Biogasproduktion wurde an der Forschungsbiogasanlage der Universität Hohenheim durchgeführt. Es wurden jeweils etwa 2000 kg Sickersaft als Stoßfütterung dem Fermenter zugeführt. Die Reaktion des Systems in Form erhöhter Biogasproduktion erfolgte wenige Minuten nach der Stoßfütterung. Dabei wurde die produzierte Biogasmenge ohne Anzeichen prozessbiologischer Probleme etwa verdoppelt. Das Maximum der Gasproduktion wurde nach etwa 1:45 h erreicht.
Im Vergleich zu Literaturwerten von Stoßfütterungen verschiedener Substrate in Praxisbiogasanlagen ist die Gasbildung aus Zuckerrübensickersaft etwa doppelt so schnell wie aus dem bisher schnellsten Substrat: Zuckerrübensilage. Bei dieser werden 15 Prozent des Gasertrag in 4,5 h, 25 Prozent in 8 h und 50 Prozent nach 20,5 h erreicht.
Andreas Lemmer, Elzbieta Kumanowska, Simon Zielonka, Hans Oechsner, Universität Hohenheim – LW 18/2020