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Eine Achterbahn der Gefühle

Landfrauentag in Hofgeismar: „Heute schon geschustert?“

2 500 Landfrauen aus ganz Hessen konnte die hessische Landfrauenpräsidentin Hildegard Schuster vergangenen Mittwoch auf dem Landfrauentag auf dem Hessentag in Hofgeismar begrüßen.

Landfrauenpräsidentin Hildegard Schuster (l.) mit dem Hessentagspaar Rebecca Ross und Andreas Richhardt. Das „Dornröschen“ und ihr „Prinz“ sowie der Bürgermeister von Hofgeismar, Markus Mannsbarth, begrüßten die Landfrauen im großen Festzelt auf dem Hessentag. Foto: Lehmkühler
Eine mitreißende gesangliche Reise durch Hessen bot die Singspielgruppe Obermeiser vom Landfrauenverein Zwergen. Außerdem zeigten Landfrauen aus Oedelsheim und Trendelburg zwei Volkstänze. Foto: Lehmkühler

„In der Heimat der bekannten Märchen der Brüder Grimm heiße ich Sie herzlich willkommen“, begann Landfrauenpräsidentin Hildegard Schuster den diesjährigen Landfrauentag auf dem Hessentag. „Wir Landfrauen mischen uns ein, um die Lebensqualität in unseren ländlichen Räumen zu erhalten und zu steigern“, verwies Schuster auf den Landfrauenslogan `Mitmachen, mitreden, miteinander mehr erreichen´. Unter anderem habe sich der Landfrauenverband in den letzten Monaten auch mit den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA auseinandergesetzt. Mit einer Verständigung auf anerkannte Vermarktungsnormen würde einerseits zwar der Handelsverkehr erleichtert, aber andererseits „werden wir Landfrauen hellhörig, wenn durchsickert, dass auch unsere Arbeitnehmer-, Sozial-, Umwelt-, Verbraucher- und Tierschutzstandards zur Diskussion stehen und ausgehebelt werden sollen. Wir Landfrauen möchten, dass unsere deutschen und europäischen Standards für die Lebensmittelerzeugung nicht aufgegeben werden!“ Der Landfrauenverband fordere von der Politik, keinen Millimeter von den erreichten Qualitätsanforderungen abzurücken, sagte Schuster deutlich. Über den Stand der Verhandlungen bat sie Lucia Puttrich, Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, zu informieren.

„Was bedeutet TTIP für uns?“

„Europa ist Garant für die deutsche Landwirtschaft. Wir können hier erfolgreich produzieren. Dafür werden wir gemeinsam kämpfen“, versprach Staatsministerin Lucia Puttrich den Landfrauen. Die Verhandlungen im stillen Kämmerlein zu TTIP, der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft, seien nicht geschickt begonnen worden. Das Thema Transparenz sei allerdings inzwischen aufgegriffen worden. Jeder könne beispielsweise auf der Internetseite der Kommission alle Informationen zu TTIP abrufen, so Puttrich.

„In puncto Verbraucherschutz haben wir unterschiedliche Ansätze. Die USA geht von dem Prinzip aus: Solange nicht bewiesen ist, dass etwas schädlich ist, ist es nicht schädlich. Wir gehen von dem Vorsorgeprinzip aus: Alles muss so sicher sein, dass keine Gefahr von dem Produkt ausgeht. Auch diesen höheren Standard unseres Verbraucherschutzes wollen wir nicht aufgeben. Das ist ein weiterer Grundsatz unserer Verhandlungen“, sagte Puttrich. „Wir fordern deutliche Kennzeichnungen. Produkte, die die europäischen Verbraucher nicht haben wollen, lehnen wir in den Verhandlungen ab. Da sind wir mit unseren Forderungen ganz an Ihrer Seite.“ Aber nicht nur die deutschen Verbraucher würden gewisse Produkte wie Hormon- oder Klonfleisch ablehnen. „Die Amerikaner beispielsweise wollen keine Rohmilchprodukte haben. Oder nehmen Sie das Thema Medizinprodukte. Eine flourhaltige Zahnpasta ist in den USA ein Medikament. Kurz gesagt: Wir müssen gegenseitiges Verständnis aufbringen. Wir müssen zuhören und klären, was schützenswert ist und so die Verhandlungen führen“, erklärte Puttrich. Sie verwies darauf, dass Deutschland ein Exportland ist, „mit den USA als stärkstem Partner außerhalb Europas. Daher haben wir auch ein Interesse daran, mit diesem starken Partner geeignete Abkommen zu schließen. Vernünftig geregelt ist das Freihandelsabkommen eine tolle Chance.“

Im Anschluss überreichte Landfrauenpräsidentin Schuster der Staatsministerin eine Liste mit über 5 000 Unterschriften „für den Erhalt unserer Standards und für den fairen Wettbewerb in unserem Land. Wir Landfrauen werden uns auch weiterhin einmischen und die TTIP-Verhandlungen kritisch verfolgen!“, so Schuster.

Gemeinsam den ländlichen Raum stärken

HBV-Präsident Friedhelm Schneider sagte in seinem Grußwort: „Landfrauen sind eine Lobby des ländlichen Raumes. Wir wollen gerne und überall mit Ihnen zusammenarbeiten. Ich bin dankbar, dass die Landfrauen so engagiert sind. Gemeinsam erreichen wir es, dass der ländliche Raum stärker aufgewertet wird.“ Der kürzlich mit vielen weiteren Verbänden gemeinsam unterschriebene `Zukunftspakt Hessische Landwirtschaft´ trage auch dazu bei.

Festvortrag: „Was fühlst du?“

Den Festvortrag zum Thema `Gefühle´ hielt Moderatorin Bärbel Schäfer. „Sind nicht Gefühle das, was uns lebendig werden lässt?“, fragte sie. Man könne nach der gefühlsstarken Rede der Landfrauenpräsidentin auch fragen: „Haben Sie heute schon geschustert?“ Natürlich gäbe es Menschen, die temperamentvoller als andere seien und entsprechend auch unterschiedlich ihre Gefühle zeigen könnten, aber „wer ohne Gefühle ist, ist als Mensch einsam“, so Schäfer. „Wer will schon mit Menschen zusammen sein, die keine Gefühle zeigen?“ Dass man unter einer Gefühlskälte leiden kann, habe sie selbst in ihrer Fami­lie erlebt. In ihrer norddeutschen Familie habe sie da­runter gelitten, dass beispielsweise ihre Großmutter wenig Gefühle zeigen konnte. „An ihr sind alle Gefühle abgeprallt. Ihr Gesicht blieb immer eine Maske. Ich habe sie daher leider als Mensch nicht richtig kennengelernt. So wie sie, wollte ich nie werden!“, gab die Moderatorin bekannt.

Grundsätzlich sei ihre Erfahrung, dass Frauen meist emotionaler und empathischer seien als Männer. „Doch Männer lernen immer mehr, ihre Gefühle ebenfalls zu zeigen. Das sollte man schon in der Erziehung unterstützen. Lassen Sie Ihre Gefühle ruhig häufiger mal frei raus!“, forderte Bärbel Schäfer das Publikum in Hofgeismar auf.

Familiengipfel einrichten

Hildegard Schuster bedankte sich bei Ministerpräsident Volker Bouffier dafür, dass der Landfrauenverband, wie versprochen, an politischen Diskussion beteiligt wird. „Wir Landfrauen gestalten mit. So habe ich zum Beispiel den `Zukunftspakt Hessische Landwirtschaft´ im Namen von fast 50 000 hessischen Landfrauen Mitte Mai mit unterschreiben können“, sagte Schuster. Nachdem damit wichtige Regelungen geschaffen worden seien, bot die Landfrauenprä­sidentin an, auch die konkreten Umsetzungen gemeinsam anzugehen. „Wir hoffen dabei auch auf die notwendige finanzielle Unterstützung, um beispielsweise den Wert der Mittel zum Leben, also unserer Lebensmittel, in den Schulen besser vermitteln zu können. Zum Nulltarif können solche Einsätze von uns nicht geleistet werden!“, forderte Schuster vehement. Sie appellierte weiter: „Landwirtschaft ist keine Papierwirtschaft“. Sowohl für Bäuerinnen als auch für selbstständige Kleinstunternehmerinnen, wie bei den Servicebörsen, gelte es, bürokratische Entlastungen zu schaffen.

Erfreut stellte Schuster fest, dass der Landfrauenverband auch auf anderen Ebenen mit der Landesregierung zusammenarbeite: „Unser Anliegen, ein Fach `Alltagskompetenzen´ in allen Schulformen einzuführen, bringen wir Landfrauen im hessischen Bildungsgipfel mit ein. Und auch an der Nachhaltigkeitsstrategie arbeiten wir mit“, so Schuster. Aufgrund aktueller Daten zur geringen Geburtenrate in Deutschland forderte sie den Ministerpräsidenten auf: „Bilden Sie doch nach dem Nachhaltigkeitsgipfel einen Familiengipfel. Das wäre die nachhaltigste Tat, die Sie vollbringen können. Bringen Sie alle Verantwortlichen dazu an einen Tisch. Wir Landfrauen sind bereit, uns auch an diesem Gipfel zu beteiligen!“

In puncto Ehrenamt müsse es ein Umdenken in der Politik geben. „Es fehlt die Anerkennung des Ehrenamtes. Den Gemeinden muss es beispielsweise doch möglich sein, Räume kostenfrei zur Verfügung zu stellen!“ Auch müsse es eine Aufwandsentschädigung für die Ehrenamtlichen geben. Landfrauen würden außerdem viel Zeit investieren, um sich für die Vereinsführung zu qualifizieren. Diesbezüglich forderte Schus­ter auf, „auch über eine Anrechnung dieser ehrenamtlich investierten Zeit als Bildungsurlaub nachzudenken“. Ihr abschließender Appell an die Politiker: „Nehmen Sie unsere Anliegen mit!“

Starke Stimme in Hessen

Ministerpräsident Volker Bouffier erwiderte auf die fordernde Rede zunächst anerkennend: „Das war Frau Schuster!“ Er stellte dann fest, dass „die Landfrauen eine starke Stimme in Hessen sind, insbesondere im ländlichen Raum. Danke für das, was Sie tun. Wir sichern Ihnen für Ihre Arbeit weiter unsere Unterstützung zu!“ Die Anwesenheit der vielen Ehrengäste auf dem Landfrauentag beim Hessentag zeige die Verbundenheit zu den Landfrauen sowie deren Wertschätzung. „Ihre Arbeit ist unverzichtbar. Diese Gesellschaft wird im Kern zusammengehalten von Menschen, die mehr tun als sie müssen. Das ist das Ehrenamt, das Anerkennung und Hilfestellung braucht.“ Bouffier verwies auf die Ehrenamtsbörse im Internet, „die leider nur wenige kennen“. (www.gemeinsam-aktiv.de)

Der Ministerpräsident ging auf die Forderung nach einem Familiengipfel ein: „Unbestritten ist, dass wir für Familien viel tun müssen. Einen Familiengipfel wird es nicht geben, aber wir können uns zusammensetzen, um heraus­zu­finden, was man zusammen für die hessischen Familien tun kann.“ Dies habe schon gut beim `Zukunftspakt´ funktioniert, wo mit 27 Organisationen eine gemeinsame Verständigung für die hessische Landwirtschaft erzielt worden sei. „Wir wollen und werden im Miteinander eine Zukunft für den ländlichen Raum schaffen“, versprach Volker Bouffier.

Wiedersehen in Herborn

Wie es auf einem Landfrauentag üblich ist, stellte sich der gastgebende Bezirkslandfrauenverein (BV) vor. Waltraud Vialon und Anita Trinoga, Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende des BV Hofgeismar übernahmen dies „für unsere märchenhafte grüne Spitze im Norden Hessens. So vielfältig wie die Kräuter bei der Ausstellung `Natur auf der Spur´, so vielfältig sind auch unsere Landfrauenmitglieder“, sagten sie. Der BV Hofgeismar hat 750 Mitglieder in zehn Ortsvereinen.

Zum nächsten Landfrauentag auf dem Hessentag 2016 lud Daniela Rompf, Vorsitzende des BV Her­born, ein. „Unsere malerische Ferienstadt Herborn gehört zu den besterhaltenen Fachwerkstädten Deutschlands. Wir freuen uns auf Sie!“, sagte Rompf.

Gudrun Stumpf, 1. stellvertretende Vorsitzende des Landfrauenverbandes sprach das Schlusswort. Sie resümierte: „Wir haben eine Achterbahn der Gefühle an einem wundervollen Landfrauentag erlebt.“

SL – LW 24/2015
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