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Augen auf beim Saatgutkauf!

Grünland: Auf offiziell empfohlene Sorten setzen

Bisher konnte man sich als Grünlandbewirtschafter beim Saat­gutbezug auf die Angebote mit dem roten Etikett verlassen. Diese Möglichkeit besteht heute nicht mehr. Das LW hat darüber mit Katharina Weihrauch vom LLH gesprochen.

Katharina Weihrauch ist Beraterin für Grünland und Futterbau am Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen in Korbach. Foto: LLH

Frau Weihrauch, warum ist es so wichtig, im Grünland auf empfohlene Sorten zu setzen?

Weihrauch: Hochwertiges Dauergrünland zeichnet sich durch stabile Erträge mit hohen Qualitäten und Nutzungselastizitäten aus – möglichst über mehrere Vegetationen. Kon­kurrenzkraft und Ausdauer sind daher entscheidende Sorten-Merkmale. Schnellwachsende Ackerfuttergräser, wie etwa das Einjährige oder das Welsche Weidelgras, fallen in strengen Wintern oder Trockenjahren schnell aus. Dann ist nicht nur mit Ertragseinbußen bei der nächsten Nutzung zu rechnen – auch Problemarten wie Ampfer oder gemeine Rispe breiten sich dann aus. Vor einer Nachsaat müssen diese Lückenfüller dann wieder aus dem Bestand entfernt werden, in der Hoffnung, dass die Bedingungen günstig bleiben, um die dann folgende Nachsaat zu etablieren. Beispiel: Sorten, die 2021 späten Frösten oder Schneeschimmel zum Opfer fielen, also ausgewintert waren, hinterließen Lücken, die durch genügend Regen teils rasant mit Gemeiner Rispe wiederbesiedelt wurden. Bei anhaltend guter Wasserversorgung bot sich dann oft keine Gelegenheit mehr, die Gemeine Rispe mittels Striegel herauszukämmen und durch Futtergräser zu ersetzen.

Wie wird die Sorten-Ausdauer im Versuchswesen geprüft?

Weihrauch: In einer länder­über­greifenden Kooperation (AG Mittelgebirge) werden im Mittelgebirgsgürtel von Luxemburg/Belgien, über Rheinland-Pfalz, Hessen, bis nach Sachsen Sorten- und Mischungsvergleiche auf Praxisflächen angelegt, die über einen langen Zeitraum von rund zehn Jahren ausgewertet werden (Ausdauerprüfungen). Mittlerweile wurden die Prüfungen auf über 200 Standorten angelegt, sodass eine umfangreiche Datengrundlage entstanden ist, auf der die offizielle Empfehlung basiert. Die empfohlenen Sorten haben also nicht nur außergewöhnliche Witterungsverhältnisse (Dürre 2018 bis 2020), sondern auch Bewirtschaftung unter nicht immer idealen Praxisbedingungen (Befahren zu ungünstigen Zeiten, viel Gülle/wenig Düngung, Rasierschnitt/zu lang in den Winter etc.) überstanden, und dennoch stabile Erträge geliefert.

Das offizielle rote Etikett, mit dem lange Jahre empfohlenes Saatgut ausgezeichnet wurde, ist 2020 ausgelaufen. Es taucht nun nicht mehr auf der offiziellen Sortenempfehlung und auch nicht auf den Saatgutsäcken auf. Wie kann der Landwirt nun erkennen, ob Saatgut der Empfehlung entspricht?

Weihrauch: Zunächst sind die Mischungsanteile auf den Sack-anhängern mit der Zusammensetzung in der Empfehlung abzugleichen. Die bewährte Nachsaatmischung GV enthält zum Beispiel 25 Prozent frühes, 25 mittleres und 50 Prozent spätes Deutsches Weidelgras. Das frühe Deutsche Weidelgras erfüllt eine wichtige Funktion, vor allem in Sommertrockenlagen, aber nicht nur da, denn: Ein früher erster Schnitt ist nur möglich, wenn rechtzeitig angemessenes Massewachstum mit ausreichend Rohfasergehalt auf der Fläche steht. Die Siloreife ist erreicht, wenn 20 Prozent der Pflanzen beginnen, Samenstände zu schieben. Je Früher dies der Fall ist, desto eher kann geerntet werden und desto mehr des Bodenwasservorrates steht dem 2. Aufwuchs zur Verfügung. Landwirte, die seit Jahren ausschließlich späte Nachsaatmischungen verwenden, berichten oft, dass sich der Schnittzeitpunkt des ersten Schnittes um zwei Wochen nach hinten verschoben hat. Das bedeutet einen unnötigen Ertragsverlust, der sich nicht nur beim 2. Schnitt bemerkbar macht, sondern sich, bei zunehmenden Trockenphasen, zu erheblichen Einbußen über die gesamte Vegetation aufsummiert. Das Argument „höhere Ernte­elastizität der späten Mischungen“ wird dann eigentlich genutzt, um einen zu späten ersten Schnitt zu rechtfertigen. Wer die Ernteelastizität der Bestände wirklich erhöhen will, sollte durch passende pH-Werte sowie optimale P- und K-Versorgung den Leguminosen-Anteil fördern und auf Schnittflächen ausdauernde Rotkleesorten (Columba, Merula, Milvus) nachsäen. Wenn die Mischungsanteile im Saatgut der Empfehlung entsprechen, sind die Sorten zu vergleichen. Hier sollten möglichst zwei empfohlene Sorten je Art/Reifegruppe, zu je 50 Prozent, enthalten sein, um das Ertragsrisiko weiter zu minimieren. Der Ausfall der einen Sorte, kann dann im Zweifel durch eine andere ausgeglichen werden, denn jeder Mischungspartner erfüllt eine wichtige Funktion. Somit besteht eine gute GV ohne Klee aus drei Reifegruppen, mit genannten Anteilen, und sechs empfohlenen Sorten des Deutschen Weidelgrases.

Ganz schön viel Aufwand, ist das wirklich nötig? Und wenn ja, wo kann sich der Grünlandbewirtschafter über an Mittelgebirgslagen angepasste, empfohlene Sorten informieren?

Weihrauch: In der Praxis wird immer wieder deutlich, warum es sich gelohnt hätte, diesen Aufwand zu betreiben. Vergleiche der Sackanhänger verschiedener Mischungen, die mir auf Betrieben begegnet sind, zeigen, dass zum Teil die Versprechen, die auf den Säcken oder Hochglanzbroschüren der Händler gemacht werden, nicht erfüllt werden. Was gilt, ist also immer das Etikett auf dem Saatgutsack. Der Aufwand lohnt! Sortenversuche zeigen, dass nicht selten 25 Prozent Ertragsunterschied zwischen den Sorten liegen. Summiert auf die Dauergrünlandfläche ergibt dies einen erheblichen Ertragsunterschied, mit enormer wirtschaftlicher Bedeutung, besonders, wenn in Trockenjahren Futter zugekauft werden muss. Aber auch in extensiveren Produktionssystem wird die wirtschaftliche Bedeutung der Sortenfrage schnell deutlich. Man stelle sich zum Beispiel ein Rotkleegras vor, bei dem der Rotklee ausfällt, weil es sich um eine Kleekrebs-empfindliche Sorte handelt. Hier sind Ertragsverluste von über 50 Prozent schnell erreicht, wenn die fehlende Stickstoffassimilation des Klees nicht durch entsprechende Düngergaben kompensiert wird. Bei den aktuellen Mineraldüngerpreisen ist aber auch dies kein schönes Szenario.

Die Mischungs- und Sortenempfehlungen sind bei der Offizialberatung erhältlich (llh.hessen.de/pflanze/gruen...) oder auch in den Veröffentlichungen im LW Hessenbauer/Pfälzer Bauer/Der Landbote. Noch ein Tipp: Wer sich an Sammelbestellungen anschließt oder selbst welche organisiert, hat eine bessere Ausgangssituation, um mit dem Saatgut-Anbieter spezielle Wünsche zu verhandeln. Manche Firmen bieten zum Beispiel an, ab 200 kg Einkaufsmenge, Mischungen individuell zusammenzustellen.

Das Interview führte Karsten Becker – LW 8/2022
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