Der Bauernverband Gießen/Wetzlar/Dill führte vorigen Mittwoch in den Hüttenberger Bürgerstuben seine Vertreterversammlung durch. Nach den Regularien sprach der Präsident des Hessischen Bauernverbandes, Karsten Schmal, zum Thema „Wo bleiben die verlässlichen Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft?“
Die Menschheit wächst, die Herausforderungen an die Landwirte, die Welt zu ernähren, werden immer größer. Lag die Erdbevölkerung 1950 bei 2,5 Mrd., sind es nun 7,5 Mrd. Menschen und im Jahr 2050 wird sie auf circa 9,5 Mrd. Menschen prognostiziert. Nur noch 1 300 Quadratmeter Acker stehen rechnerisch dann für die Ernährung zur Verfügung. Erschreckend sei zugleich, dass nur ein sehr geringer Teil der Fläche auf der Erde landwirtschaftlich nutzbar sei. Vielen Menschen fehle die Existenzgrundlage, die Wüsten in der Welt werden größer. Staaten in Asien müssten bis zu 75 Prozent der Lebensmittel einführen. In den nächsten 13 Jahren geht weltweit gesehen so viel Land verloren, was der Ackerfläche von Deutschland mit 12 Mio. ha zusammen mit der von Frankreich (18 Mio. ha) entspricht.
Mit diesem Statement eröffnete der HBV-Präsident seinen Vortrag beim Gießener Bauernverband. Warum? Weil Schmal deutlich machte, dass Deutschlands Landwirtschaft benötigt werde. Hier gebe Verantwortung für die Weltbevölkerung. Zugleich sind die Erwartungen an die Landwirtschaft sehr hoch, stellte er fest. „Wir sollen sicher und sauber „natürliche“ Lebensmittel erzeugen. Wenn wir Bauern das alles leisten sollen, müssen wir Rahmenbedingungen haben, Leitplanken wie ich es nenne, die es uns erlauben zu planen“, so der HBV-Präsident.
Hessen habe 289 000 ha Grünland, das gepflegt werden müsse, aber die Zahl der Rinder werde immer weniger. Die Lebensmittelpreise sind hier sehr niedrig, in Norwegen seien sie dreimal so hoch. „Der Verbraucher stimmt mit Füßen ab, an der Kasse wird entschieden“, so Schmal. Hingegen die öffentliche Diskussion zur Landwirtschaft nur schwer zu führen ist, besonders wenn es um Tierhaltung und Lebensmittel geht. „Wir müssen uns immer vorwerfen lassen, dass alles was wir machen nicht richtig ist.“ Kampagnen von Naturschutzorganisationen, wie Bund oder Nabu, seien groß: „Die Kassen der Tierschützer sind voll. Im Vergleich dazu sind die Mittel zur Imagewerbung, die der Bauernverband zur Verfügung hat, verschwindend niedrig.“ Dass es die Centrale Marketing-Gesellschaft als Werbeagentur der deutschen Agrarwirtschaft nicht mehr gibt, sei bedauerlich. In Österreich gebe es noch ein derartiges Instrument.
In der Öffentlichkeit sind viele Dinge anzusprechen
Seiner Ansicht nach gibt es aber Möglichkeiten zur Öffentlichkeitsarbeit, die der Berufsstand stemmen kann. Schmal sieht diese vor allem in Hoffeste oder auch in Bauerntagen und ergänzte „Werbung ist authentisch, wenn die Betriebsleiter es selbst machen. Als Verbandspräsident werde ich in den Medien als Lobbyist gesehen.“ Wichtig ist für ihn ebenfalls, Schüler zu erreichen, Lehrer seien Meinungsbildner für junge Menschen. „An die Pädagogen müssen wir ran. Dass das schwierig ist, wissen wir.“ Die Landwirtschaft stehe vor vielen weiteren Herausforderungen. Zum Lebensmittelhandel stellte Schmal kritisch fest, dass die Spanne zwischen Erzeuger- und Lebensmittelpreisen trotz gesunkener Erzeugerpreise gestiegen ist. Dieses müsse der Berufsstand in der Gesellschaft offen ansprechen. Im Grundsatz geht es seiner Ansicht nach um die Wertschätzung der Arbeit des Landwirts. Er ist der Ansicht, dass die Landwirtschaft mehr Mut haben sollte, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen, auf Kritik zu reagieren und eigene Vorschläge zu machen, um gesellschaftliche Forderungen zu erfüllen. „Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir selbst Vorschläge machen. Wenn wir sie nicht machen, macht sie der Lebensmitteleinzelhandel oder die Politik. Wir sollten offensiv vorgehen und es uns nicht diktieren lassen“, meint Schmal.
Schmal griff die künftige Düngeverordnung auf. Hier gibt es eine Differenzierung nach Regionen. Der HBV-Präsident sagte „Wir bekommen in Deutschland 16 Düngeverordnungen.“ In Hessen sei die Situation zur Einordnung der Bodennitratwerte mit 0,4 GV/ha eine völlig andere, als beispielsweise in Niedersachsen mit 4 GV/ha. Hier gehe es im Wesentlichen um „Hotspots bei Nitrat.“ Verlängerte Sperrfristen führten dazu, dass höhere Lagerkapazitäten geschaffen werden müssen. Denn „Viele von uns wissen nicht, dass sie noch in diesem Jahr einen neuen Güllebehälter bauen müssen“, gab er zu bedenken. In Bezug auf die Umsetzung der Auflagen zur Kastenstandhaltung stellte er fest, dass es in Hessen inzwischen nur noch 400 hauptberufliche Sauenhalter gibt. Wenn die Betriebe das Kastenstandurteil umsetzen müssen, bedeute das schnell Umbaukosten von 300 000 Euro und mehr für einen Sauenbetrieb. Dann befürchtet er, dass von den 400 Ferkelerzeugern, die wir noch haben, 200 sagen „ohne mich.“
Auf die Betriebe kommt eine Menge zu
Was kommt noch auf die Betriebe zu? Unter anderem Anforderungen in Bezug auf mehr Tierwohl, wie das Verbot der Anbindehaltung von Rindern, das Schnäbelkürzen bei Hühnern oder das der betäubungslosen Kastration von Ferkeln. Die Ebermast führt aber dazu, dass der Handel, insbesondere kleinere Metzgereien, mit dem Eberfleisch kaum etwas anfangen können, erläuterte Schmal beispielhaft negative Folgen von Beschlüssen auf die Betriebe. Weiterhin sei das Enthornen von Rindern nicht geklärt. Auch werde es um die Weidehaltung von Kühen gehen. Denn Milcherzeugern würde das Halten von „Turbokühen“ vorgeworfen, obwohl erwiesen sei, dass sich Leistung und Tiergesundheit nicht widersprechen. „Fachlichkeit muss eine Rolle spielen und nicht Ideologie“, lautet Schmals Fazit. Schmal, der auch Milchpräsident im Deutschen Bauernverband ist, ging auf Entwicklungen am Milchmarkt ein. Er meint, dass es eine Form der Mengensteuerung geben muss, denn die leicht angezogenen Milchpreise beruhen seinen Beschreibungen nach lediglich auf einer niedrigeren Liefermenge gegenüber dem Vorjahr und nicht auf einer Erhöhung der Nachfrage.
Milch braucht Leitplanken, aber keine durch die Politik
Gleichzeitig ist er davon überzeugt, dass für eine Mengenregulierung am Milchmarkt nicht die Politik in Frage kommt, sie daran auch kein Interesse hat, sondern , dass es die Akteure am Markt selbst regeln sollten. „Molkereien merken lange vorher, wenn die nächste Krise kommt“, so Schmal. Hinsichtlich der Frage, wer das Risiko für die zusätzliche Milchmenge zu tragen hat, stellte Schmal einen Vergleich zur Legehennenhaltung her, wo sich der Betrieb vor der Investition selbst um Marktpartner und Absatz kümmern muss. Der Unternehmer muss mit sämtlichen Unwegsamkeiten am Markt rechnen. Interessant, dass in Bayern während der jüngsten Milchkrise mit 3 Prozent relativ wenig Betriebe aufgaben, in Schleswig-Holstein waren es 10 Prozent. In Bayern sei das ein fast normaler Strukturwandel gewesen. Die Betriebe hätten die Krise besser bewältigen können, weil sie häufig breit aufgestellt seien und beispielsweise mit Urlaub auf dem Bauernhof ein zusätzliches Standbein haben, war seine Analyse.
Schmal ging auch auf die künftige Agrarpolitik ein und meinte, es dürfe keine Umverteilung von Mitteln innerhalb der Landwirtschaft, also von der ersten in die zweite Säule der gemeinsamen Agrarpolitik geben. Auch solle sie den Anliegen der Junglandwirte Rechnung tragen und sagte „Nur wenn die jungen Leute eine Perspektive in unseren Beruf sehen, werden sie weiter machen.“ Schließlich gab er eine Einschätzung möglicher Folgen des Brexits von Großbritannien für die EU-Landwirtschaft und meinte, dass die EU etwa dreimal soviel Lebensmittel nach Großbritannien liefert, wie umgekehrt. Außerdem sei Großbritannien Nettozahler, „Das wird uns weh tun. Ich glaube aber dass der Brexit Großbritannien mehr schadet als uns“, konstatierte der HBV-Präsident.
In Oberhessen bricht der Viehbesatz weg
Manfred Paul, Vorsitzender des Bauernverbandes Gießen/Wetzlar/Dill, eröffnete zuvor die Vertreterversammlung vor circa 60 Landwirten und gab einen Rückblick auf besondere Ereignisse im Berufsstand im vergangenen Jahr. In der Region sei es teilweise zu Auflaufschäden beim Raps im Herbst gekommen und Flächen mussten umgebrochen und im Frühjahr, unter anderem mit Sommergerste, bestellt werden. Paul sprach auch von einem Wegbrechen des Viehbesatzes in der Region, dadurch gehe der Landwirtschaft Wertschöpfung verloren. Initiativen, wie „Bauer sucht Metzger“ (Infoveranstaltung im Februar in Hüttenberg) begrüßt der Vorsitzende, gab aber zu bedenken, dass es schwer sei, die Tierhaltung samt ihrer Struktur mit den vor- und nachgelagerten Betrieben „wieder in Gang zu bringen.“ Wichtig ist Paul der Austausch mit den Politikern in der Region. Mit Vertretern aller Fraktionen führt der BV Gespräche, um die Anliegen der Landwirte zu transportieren. Hans-Martin Sames erläuterte, wie sich der Berufsstand in der heimischen Presse um sachliche Darstellung der Landwirtschaft bemüht und dabei erfolgreich ist, wie beispielsweise der Bericht „Ein Bauer, ein Jahr“, erschienen in der Gießener Allgemeinen. Auch die Junglandwirtestammtische seien wichtige Einrichtungen und würden gut angenommen von jungen Leuten und weiteren Interessierten. Der Geschäftsführer stellte einen stabilen Verbandshaushalt vor und erläuterte das sehr umfangreiche Leistungsangebot des Verbandes für seine Mitgliedsbetriebe.
Wahlen zum Vorstand des Regionalbauernverbandes
Turnusgemäß standen Wahlen zum Vorstand an. Mathias Fritz aus Odenhausen, Peter Fay aus Watzenborn-Steinberg, Anneliese Jung aus Holzheim und Ingo Schmalz aus Hungen wurden von den Vertretern einstimmig in ihren Ämtern bestätigt. Ebenfalls einstimmig wiedergewählt wurden die Landesvertreter zur Vertreterversammlung des Hessischen Bauernverbandes.
Moe – LW 14/2017