Mitten in Hungen (Landkreis Gießen) gibt es seit dem Sommer 2013 die „Hungener Käsescheune“. In dem imposanten, komplett sanierten Fachwerk-Ensemble steckt eine Vielzahl an Angeboten und Dienstleistungen – von der gläsernen Schaukäserei, über den Käseverkauf und weitere ausgewählte regionale Lebensmittel, eine Gastronomie drinnen und draußen bis hin zu einem Erlebnisraum über die Wetterauer Hutungen und einem Seminarraum für Käse-Verkostungen und andere Veranstaltungen. Das LW hat sich in der Erlebniskäserei während einer Führung umgeschaut.
Schon von außen kann man durch große gläserne Fronten beobachten, wie verschiedene Käsesorten aus Schafs- und Kuhmilch in handwerklicher Tradition entstehen. „Dabei sind wir hier in Hungen gar keine milchwirtschaftlich geprägte Ecke“, sagt Renate Hecht, die gerade eine Gruppe Interessierter durch die Erlebniskäserei führt. Die Bio-Kuhmilch komme von Betrieben aus dem Vogelsberg, die Schafsmilch von Schäferei Schmid aus Münzenberg. „Begonnen haben wir mit zwei Schäfereien, aber wir können mittlerweile die Menge an Schafsmilch von beiden Betrieben nicht mehr verarbeiten. Die Schäfer haben anfangs für die Käsescheune zusätzlich zu ihren Fleischschafen Milchschafe angeschafft und in dieses Zusatzstandbein investiert“, so Hecht. (Siehe dazu: Artikel über die Schäfereien unter www.lw-heute.de/schafkaese-hungener-kaesescheune.)
„Durch unsere nahen Kooperationspartner können wir regionaltypische Käsesorten herstellen und sogleich an der Ladentheke verkaufen. Außerdem unterstützen wir durch die Milchabnahme aus dem Hungener Umfeld die regionalen Wirtschaftskreisläufe“, betont die Mitarbeiterin.
Eine Besonderheit sei, dass die Kommune eine eigene Schafherde besitzt und die Stadt Hungen einen Stadtschäfer beschäftigt, erfährt die Besuchergruppe. Es gehe dabei sowohl um Landschaftspflege durch die Wanderschafhaltung als auch um Tradition und Tourismus, „denn Hungen trägt den Beinamen `Schäferstadt´. Alle zwei Jahre findet jeweils am letzten Augustwochenende das sogenannte Schäferfest statt. Und das seit 1922. Unser Stadtschäfer ist Ralf Meisezahl.“
Anlage für 5 000 Liter Milch
Während Molkereimeister Dirk Mette in der Schaukäserei gerade die Milchgallerte in einer 300 Liter fassenden Wanne mit einer Harfe teilt, informiert Renate Hecht die Besuchergruppe, die sich den Vorgang durch das Schaufenster nicht entgehen lässt, dass im Keller vier Tanks für Milch und Molke mit einem Fassungsvermögen von insgesamt 5 000 Liter stehen. „So viel verarbeiten wir allerdings nicht. Wir brauchen immer etwas Puffer nach oben“, sagt sie. Täglich würden derzeit etwa 1 500 Liter Bio-Kuhmilch angeliefert und wöchentlich circa 800 Liter Schafsmilch. Zudem werde Käse aus der Schweiz und Österreich zugekauft, der in der Käsescheune affiniert (veredelt und gepflegt) werde. „Wir hätten gar nicht den Platz in unseren Kellerräumen, so viel eigenen Käse über mehrere Monate reifen zu lassen“, erklärt Hecht den Zukauf.
Fragerunde mit dem Molkereimeister
Molkereimeister Dirk Mette hat mittlerweile etwas Zeit bis zum Abfüllen des Käsebruchs und steht der Besuchergruppe für Fragen zur Verfügung. Was er sich zuletzt an neuer Rezeptur ausgedacht habe, will eine Besucherin wissen. „Aktuell habe ich Käse mit Rosmarin, Chili und Bärlauch gewürzt. Was daraus geworden ist, erfahre ich allerdings erst nach der Reifung, die vier bis sechs Wochen dauern kann. Nicht alles, was wir ausprobieren, landet in der Käsetheke. Man muss Erfahrung und Geduld beim Ausprobieren haben“, so Mette, der auf 20 Jahre im Käsereigeschäft zurückblickt.
„Wie viele Mitarbeiter hat die Käsescheune?“, ist die nächste Frage. „Hier wurde für 20 Personen eine Arbeitsstelle geschaffen. Fünf arbeiten in der Käserei und 15 in der Gastronomie“, lautet die stolze Antwort.
„Wenn Sie Käse, wie wir ihn vorhin in der Verkostung probiert haben, mit Riesling affinieren, können diesen auch Kinder bedenkenlos essen?“, fragt eine Mutter. Dazu Dirk Mette: „Das erklärt sich alleine durch die Dosis: Wenn ich 280 Stück Käse während der Reifung zwei- bis dreimal mit dem Wein affiniere, dann habe ich insgesamt nur 300 ml Riesling versprüht. Das macht Kindern nichts.“
„Kann man den Käse auch noch woanders als hier in der Käsescheune kaufen?“ „Ja, natürlich“, so der Chefkäser. „Schauen Sie bei Landmarkt in Reweläden der Umgebung. Aber auch in einigen Feinkost- und Bioläden gibt es unseren Käse. Man kann sagen: von Frankfurt bis runter nach Kassel.“
Betrieb„Was zahlen Sie für die Milch?“, wollen die Besucher wissen. „Der Schäfer bekommt für seine Schafsmilch 1 Euro pro Kilogramm. Die Inhaltsstoffe werden dabei nicht bewertet. Die Biomilch wird von der Coburger Molkerei geliefert. Pro Liter zahlen wir 60 Cent“, informiert Mette.
Die letzte Frage, bevor der Fachmann wieder zur Käsewanne gehen muss, um den Käsebruch in Formen abzufüllen, lautet: „Was sind die Renner im Verkauf?“ „Seit 2015 ist unser Schafsschnittkäse ein Renner. Aber auch unsere Weichkäse und im Sommer der Feta-ähnliche Käse, der auch als Grillkäse eingesetzt werden kann, sind bei den Kunden beliebt“, lautet Mettes Einschätzung.
Zum Abfüllen des Weichkäses nach Camembert-Art arbeitet der Meister Hand in Hand mit Mitarbeiter Arno Haust. Ruckzuck haben sie den Käsebruch in den Formen verteilt. Zum Reifen bringen sie den Weichkäse in den Keller. „Er bleibt acht bis zehn Tage im Reiferaum. Dann können wir ihn verkaufen“, so Mette.
Der Blick in den Gewölbekeller ist beeindruckend. Chefkäser Dirk Mette verrät: „Hier lagert und reift Käse für rund 60 000 Euro.“
Erlebnisraum Schaf und Natur
Die Besucher werden weiter ins Obergeschoss des hofseitigen Anbaus geführt. „Hier kommen wir in den multimedialen `Erlebnisraum Schaf und Natur – unterwegs in den Wetterauer Hutungen´ mit Infos über die artenreiche Tier- und Pflanzenwelt in der Region“, erklärt Renate Hecht. Es gibt übersichtliche Schauwände mit kurzgefassten Informationen zum Thema, man kann Schafsfelle anfassen, sich Filme über die regionale Schafhaltung sowie eine Miniaturwelt einer Hutung anschauen. „Der Erlebnisraum gehört zum Life+ Projekt Wetterauer Hutungen und wurde von der Europäischen Union gefördert“, sagt Hecht. Projektziel sei es, die traditionell schafbeweideten Hutungen in ihrer Artenvielfalt zu erhalten und weiter zu entwickeln. Eine Grundvoraussetzung dafür sei die Sicherstellung der (Schaf-)Beweidung der Hutungen. Linktipp: www.wetterauer-hutungen.de.
Restaurant im modernen Landhausstil
Zurück im Gastraum im modernem Landhausstil werden die Speisekarten studiert. Neben den eigenen Käsesorten und weiteren regionalen Produkten fällt auf, dass Wert auf Saisonalität gelegt wird. Es gibt eine kleine Frühstückskarte sowie Karten für einen wöchentlich wechselnden Mittagstisch und eine monatlich wechselnde Abendkarte. Eine Getränkekarte rundet das Angebot ab.
Die Erlebniskäserei macht ihrem Namen auch alle Ehre bei den Veranstaltungs- und Seminarangeboten. Das kulinarisch-kulturelle Programm umfasst Termine für beispielsweise Cheese & Jazz, Wein- und Käsestammtisch, Käsefondueabende, Kunstausstellungen, Krimilesungen und diverse Seminare der Käseschule. Details gibt es auf der Website der Käsescheune (siehe Infokasten).
Übrigens: Wer die Hungener Käsescheune Donnerstagvormittags besucht, kann sich in unmittelbarer Nähe gleich noch mit landwirtschaftlichen Produkten aus der Region auf dem kleinen, aber feinen „Hungener Bauernmarkt“ eindecken.
SL – LW 15/2016