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Technisierung auf dem Acker erst seit weniger als 100 Jahren

25. IGHL-Brauchtumsschau auf dem Baiersröderhof

Die Demonstration alter Dresch- und Antriebstechnik gehörte zu den Attraktionen auf der Brauchtumsveranstaltung der Interessengemeinschaft Historische Landmaschinen Wetterau/Main-Kinzig (IGHL) Ende August auf der Hessischen Staatsdomäne Baiersröderhof in Hammerstbach bei Nidderau.

Die Interessengemeinschaft Historische Landmaschinen Wetterau/Main-Kinzig, kurz IGHL, führte kürzlich ihre traditionelle Brauchtumsveranstaltung auf der Hessischen Staatsdomäne Baiersröderhof durch. Foto: Michael Schlag
An die Gepflogenheiten auf den Dreschplätzen jener Zeit erinnerte ein altes Schild auf der alten Hummel. Foto: Michael Schlag

Marc Groth überprüft noch einmal sorgfältig alle Systeme: Stimmt der Wasserstand, ist der Druck ausreichend, aber nicht zu hoch, ist genug Reservewasser vorhanden, sitzt der Antriebsriemen richtig? Er betätigt verschiedene Hebel, zuletzt gibt es einen lauten Warnpfiff und langsam, ganz gemächlich setzt sich der Antriebskolben auf dem Lokomobil in Bewegung. Eine Kurbelwelle übersetzt die stoßende Energie in eine Drehbewegung, der Riemen auf einem Schwungrad nimmt Zug auf und setzt ein Stück weiter scheppernd eine Dreschmaschine in Gang.

Die Mannschaft dort geht an die Arbeit, wirft Garbe um Garbe oben in die Dreschmaschine, unten werden die Säcke mit Korn abgepackt, hinter der Dreschmaschine das Stroh lose gepresst.

Lokomobil aus dem Baujahr 1923 im Einsatz zu sehen

Zum Einsatz kam ein selten zu sehendes Lokomobil der Maschi­nenfabrik Badenia aus Weinheim an der Bergstraße aus dem Baujahr 1923 heute im Besitz des För­dervereins Dampfmaschinenmuseum in Hanau-Großauheim. „Lokomobil bedeutet ortsveränderlich“, erklärt Marc Groth vom Förderverein, damit wurde starke Antriebenergie beweglich und man konnte sie überall dort platzieren, wo man sie brauchte. Für die Dreschmaschinen war das gleich auf dem Getreidefeld, welches praktischerweise auch Energie zum Antrieb liefern konnte. „Die Feuerbüchse ist auch für minderwertige Brennstoffe geeignet“, sagt Groth, man konnte sie mit Stroh heizen, bei der Demonstration auf dem Baiersröderhof kam indes gutes Buchenholz zum Einsatz. Zwar konnten die Lokomobile ihren Einsatzort wechseln, zum Betrieb und zur Kraftentwicklung mussten sie aber wieder fest stehen. In der Regel Antriebsmaschinen waren sie im Besitz von Lohndreschern, die damit zu den Erntezeiten vor einem Jahrhundert von Hof zu Hof fuhren. Damals waren sie weit verbreitet, „allein Badenia hat einige Tausend gebaut“, sagt Marc Groth.

Das grün-schwarze Lokomobil mit der Nummer 5 329 hat etwa 14 PS, indes sei Dampfkraft etwas völlig anderes als Dieselkraft, wie Groth erklärt. Beim Verbrennungsmotor entsteht die Energie als Abfolge von Explosionen, der Dampfmotor dagegen baut einen konstanten Druck auf und wandelt so Wärmeenergie in mechanische Energie um. „Dampf hat Energie durch Spannung“, sagt Groth, die Energie wird nutzbar, wenn der Dampf sich ausdehnen kann. Eine angenehme Folge dieses Prinzips: Das Lokomobil arbeitet fast geräuschlos. „Dampf ist was Feines,“ schwärmt Ralf Falkenstein von der IGHL. Selbst wenn das Lokomobil mit voller Kraft den Riemen zur Dreschmaschine antreibt, kann man sich in unmittelbarer Nähe noch unterhalten, ohne die Stimme heben zu müssen.

Dampfmaschinen betreiben kann und darf nicht jeder

Das änderte sich sofort, als ein paar Meter weiter mit Ohren betäubendem Lärm ein historischer Lanz Bulldog startet, der auf der Ausstellung eine zweite Dreschmaschine antrieb. Dennoch sollte später den Verbrennungsmotoren in der Landwirtschaft die Zukunft gehören.

Im Einsatz waren Lokomobile noch bis zum Beginn der 60er Jahre, diese verrichteten die schwersten stationären Arbeiten. Außer Dreschmaschinen trieben sie auch Buschholzhacker oder Steinbrecher an. Doch sie sind viel aufwendiger zu bedienen als die späteren Traktoren. Dampfmaschinen betreiben kann nicht jeder, und es darf auch nicht jeder. Bis heute muss man beim TÜV eine Kesselheizerprüfung ablegen, und „die ist leider sehr teuer,“ sagt Groth. Seine Prüfung dauerte einen ganzen Tag und kostete ihn um 1 000 Euro, nachdem er sich die nötigen Kenntnisse komplett selbst beigebracht hatte. Der TÜV bietet damit weiterhin eine Leistung aus seiner Gründerzeit. Denn ursprünglich ins Leben gerufen wurden die heutigen Technischen Überwachungsvereine ab 1866 als „Dampfkessel Überwachungs- und Revisions-Vereine“ (DÜV), um gegen die vielen Unfälle mit den damals neuen Dampfmaschinen vorzugehen.

Wie das ausgeklügelte System funktionierte

„Alle sicherheitsrelevanten Systeme sind doppelt vorhanden“, sagte Marc Groth. Der Wasserstand wird zum einen über ein Glasröhrchen kontrolliert, das mit dem Wasser im Innern des Kessels verbunden ist. Falls dieses ausfällt, sind zusätzlich zwei Zapfhähne an der Front­seite der Feuerbüchse angebracht. Groth öffnete kurz den oberen Hahn, heraus schießt heißer Dampf. Aus dem unteren drückt heißes Wasser, der Wasserstand liegt also genau dazwischen und damit richtig. Bevor der heiße Dampf in den Zylinder über dem Brennraum geleitet wird, öffnet Groth noch kurz einen Zischhahn am Zylindergehäuse, das auf dem Kessel montiert ist.

Um keinen Temperaturbruch zu riskieren, wird der Zylinder nämlich auf die gleiche Temperatur wie der Kessel aufgewärmt. Indes schlägt sich in den Röhren auch abgekühltes Kondenswasser nieder, das keinesfalls auf die heißen Zylinderteile kommen darf. Es muss deshalb vor dem Start aus dem System geblasen werden.

Der ganze Zylinder steht unter hohem Druck, wenngleich er nicht mehr mit voller Last betrieben wird. Bei der Auslieferung ab Werk Weinheim 1 923 war das Lokomobil Nr. 5 329 bis 10 Atü („Technische Atmosphären über Bezugsniveau“) zugelassen, heute erlaubt der TÜV nur noch maximal die Hälfte. Der Grund: Beim Verdampfen des Wassers bleibt im Innern auf dem Metall Kesselstein zurück, der regelmäßig abgeklopft werden muss. Zu dem Zweck sind in den Kessel mehrere runde, im Betrieb dicht verschlossene Handlöcher eingelassen. Aber „beim Reinigen geht immer etwas Metall ab,“ sagte Groth, die Hülle des Lokomobils wird mit der Zeit dünner. So setzte der TÜV den maximal zulässigen Druck erst auf 8, schließlich auf 5 Atü herab. Irgendwann werde ein Austausch des Kessels nötig, was aber extrem teuer und für einen Museumsverein kaum zu finanzieren sei.

Getreide hatte mehr Stroh, aber nur halb soviel Korn

Bei der Schau auf dem Baiersröderhof trieb das Lokomobil eine ungefähr gleichaltrige Dreschmaschine der Marke Hummel an, für die sich Ralf Falkenstein von der Interessengemeinschaft Historische Landmaschinen nicht weniger begeistern kann. Sie wurde damals schon als Schlagleistendreschmaschine konstruiert, mit einer Dreschtrommel, die mit 1 200 Umdrehungen pro Minute läuft, wie er an einer Konstruktionszeichnung zeigt. Bis vor zehn Jahren sei dies noch das gängige Prinzip in allen Mähdreschern gewesen, sagte Falkenstein, und er findet es „faszinierend, dass damals entwickelte Technik sich so lange gehalten hat.“ Ausgelegt war die Maschine auf eine Druschleistung von einem Morgen Getreide pro Stunde, aber „das ging damals nicht so schnell wie bei uns heute“, sagt Falkenstein, denn das Getreide hatte in dieser Zeit viel mehr Stroh, aber nur halb so viel Korn. An die Gepflogenheiten auf den Dreschplätzen jener Zeit erinnerte ein altes Schild auf der alten Hummel: Gedroschen wurde nur gegen Barzahlung.

Was führte letztlich zum Ende der Lokomobile?

Zum einen erwiesen sie sich verglichen mit Traktoren als unflexibel. Sie brauchen eine Stunde zum Anheizen, bis der Dampfdruck ausreichend ist, während Verbrennungsmotoren ihre volle Kraft sofort mit dem Start haben. Selbst ein alter Lanz mit Glühkopf ist in ein paar Minuten betriebsbereit. Zudem können Traktoren nach Belieben den Ort mit eigenem Antrieb wechseln, während die schweren Lokomobile damals mit Pferden von einem Einsatzort zum anderen gezogen wurden. Außerdem: „Der Wirkungsgrad ist gering,“ sagte Marc Groth. Pro Tag verbraucht das Lokomobil zum Antrieb der Dreschmaschine einen Festmeter Buchenholz. Zum Vergleich: Die Heizung eines Einfamilienhauses kann ein ganzes Jahr mit zehn Festmetern auskommen. Zudem braucht die Dampfmaschine laufend Nachschub an frischem Wasser, pro Stunde sind es 100 Liter, die damals mit Pferden herangeschafft wurden.

Übrig geblieben sind nur ganz wenige Lokomobile, für Tonnen von Altmetall gab es immer neue Verwendungen und „die meisten wurden verschrottet“, bedauert Marc Groth. Ihn selbst begleitet die Dampftechnik schon sein ganzes Leben; der Großvater besaß ein Sägewerk, dass mit einer Dampfmaschine betrieben wurde, schon als Kind hatte er kleine Dampfmaschinen als Spielzeug und heute sind es die wirklich großen Originale. Hauptberuflich arbeitet Groth übrigens als Informatiker in Wetzlar.

Michael Schlag – LW 38/2013
Anheizen der Lanz-Einzylinder IGHL-Brauchtumsveranstaltung auf Baiersröderhof