Mit der zukünftigen Ausrichtung der Landwirtschaft und konkre- ten innovativen Unternehmens-Strategien beschäftigte sich die 29. Landwirtschaftliche Fachtagung im Nassauer Land. Der ausrichtende Verein für Landwirtschaftliche Fortbildung (VLF) hatte zur zentralen Veranstaltung unter dem Motto „Der Blick geht nach vorn“ in die Stadthalle nach Idstein eingeladen.
Der Vorsitzende des VLF im Nassauer Land, Jürgen Dexheimer, begrüßte im gut besetzten Saal zahlreiche Gäste aus der Agrarbranche und Politik. „Die Vergangenheit ist dazu da, um daraus zu lernen“, sagte er ergänzend zum Motto der Tagung. Nach Grußworten des Idsteiner Bürgermeisters Christian Herfurth und Landrat Sandro Zehner beschäftigte sich der erste Fachvortrag mit globalen Fragen der Ernährungssicherung.
Die planetare Grenze ist mindestens erreicht
Dr. Andreas Gattinger, Professor für Ökologischen Landbau an der Justus-Liebig-Universität Gießen, referierte zum Thema „Klimaresiliente Agrar- und Ernährungssysteme innerhalb der planetaren Grenzen“. Er beschrieb die Landwirtschaft als vom Klimawandel betroffen, ihn mitverursachende und klimaschützende Branche in einem. „Die planetaren Grenzen des menschlichen Wirtschaftens sind heute mindestens erreicht“, verdeutlichte er die Situation. Und Effizienz sei zwar wichtig, „wird uns aber nicht alleine retten“. Gattinger forderte diesbezüglich, dass man eben auch über Suffizienz reden müsse, also über die Frage „wie viel ist genug?“ und darüber, wie der Verbrauch an Energie und Rohstoffen begrenzt werden kann.
Er nannte den ökologischen Anbau zwar als Leitbild, sagte aber auch, dass es in Zukunft eine Mischung aus ökologischem und konventionellem Anbau geben werde; beide Wirtschaftsweisen könnten voneinander lernen. „Die reine Lehre wird uns nicht weiterbringen“, so der Experte.
Ein Ziel müsse sein, die Ertragslücke zwischen ökologisch und konventionell zu schließen; ein weiteres die Anpassung an Klimaveränderungen, die beispielsweise durch Wetterextreme die Gefahr von Bodenerosionen noch erhöhen. Ansätze hierfür seien Ackerbausysteme im Streifenanbau, die nicht zu Mindererträgen führten und außerdem die Biodiversität förderten.
Moderator und Vizepräsident des Hessischen Bauernverbandes Thomas Kunz brachte in der Diskussion zum Ausdruck, dass gerade die Effizienz ein entscheidender Faktor zur Wirtschaftlichkeit sei. „Bei uns im Taunus beispielsweise ist bezüglich der Schlaggrößen noch einiges zu verbessern.“
Wie sehen zukünftige Fruchtfolgen aus?
Über „Pflanzenbau und Klimawandel“ referierte Ferenc Kornis, Berater bei NU Agrar. Hinsichtlich der Fruchtfolgen werden höhere Temperaturen dazu führen, dass mehr Mais und Soja angebaut werden; mildere Winter werden den Anbau frosttoleranter Sommerungen fördern und ein Anstieg der Hitzetage frühräumende Kulturen wie Gerste und Raps.
„Auch eine veränderte Niederschlagsverteilung werde zu Anpassungen führen. Früchte mit geringerem Wasserbedarf wie Gerste oder Roggen werden im Vorteil sein. Höhere Niederschläge im Winter erfordern Anpassungen wie die Nutzung der Winterfeuchte, Vermeidung von Oberflächenabfluss und die Verhinderung von Nährstoffverlusten, beispielsweise mit Zweitfruchtsystemen“, so der Referent.
Die große Unbekannte sei die Stickstoffmobilisierung. „Man muss als Bewirtschafter immer die Nährstoffdynamik und Bestandesentwicklung im Auge haben. Wie hoch ist die N-Mobilisierung und wie gut sind die Wurzeln entwickelt.“ Entscheidende Faktoren hierzu seien Trockenheit und Nässe, die sich je nach Bodentyp mehr oder weniger stark negativ auswirkten.
Minister: „Wir müssen den Landwirten mehr zutrauen“
Nach der Mittagspause bezog der hessische Landwirtschaftsminister Ingmar Jung Stellung zu verschiedenen agrarpolitischen Themen. „Wir haben mit Bedacht bei der Benennung des Ministeriums die Landwirtschaft an erste Stelle gesetzt. Dass der Bereich Umwelt ebenfalls im Ministerium angesiedelt ist, erscheint mir sinnvoll, weil beide sich stark gegenseitig beeinflussen“, so Jung.
Zu HALM und GAP bemerkte er, dass hier eine gewisse Überregulierung stattgefunden habe. „Wir müssen den Landwirten mehr zutrauen“, betonte er. Gab aber auch zu bedenken, dass es bei Vereinfachungen immer auch einige Verlierer geben werde.
Zur Unterstützung der Betriebe bei Mehrgefahrenversicherungen schränkte er ein, dass hier die Finanzierung noch zur Diskussion stehe. „Es muss aber auch klar sein, dass Betriebe, die sich trotz Förderung nicht versichert haben, ihre Schäden selbst tragen müssen und nicht mehr auf eine Solidarisierung hoffen können“, stellte der Minister klar.
Zur ASP stellte er fest, dass man in Hessen die Lage aufgrund entschlossener und flexibler Maßnahmen im Griff habe. „Die Situation ist statisch, seit drei Monaten wurde kein Hausschwein mehr positiv getestet. Unser Ziel ist es, dass die Schweinehaltung in Hessen gehalten werden kann.“
In der Diskussion ging es unter anderem um Bürokratieabbau und Ausgleichsflächen. Jung: „PV gehört zuerst aufs Dach.“ Zur Frage, ob die Ernährungssicherheit, wie auch der Tierschutz, ins Grundgesetz aufgenommen werden sollte, sagte Jung: „Da muss man genau abwägen. Wenn dies ein Staatsziel wird, ist das schwerwiegend und könnte etwa auch dazu führen, dass sie als Landwirt im Außenbereich nicht mehr auf Ackerflächen bauen können.“
Zwei Unternehmerinnen stellen ihre Konzepte vor
Über den Anbau von Mulchgemüse außerhalb der klimatisch begünstigten Gemüsebauregionen berichtete Anne Fay vom Hof Obersteinberg in Pohlheim bei Gießen. Sie vermarktet mit ihrem Partner Jonas Weisel aus Lich-Eberstadt unter dem Label „NatürLich“ die Produkte über die Hofläden in Pohlheim und Eberstadt sowie Wochenmärkte und die Gastronomie.
Der Anbau erfolgt vor allem in Lich-Eberstadt. „Die Mulchgemüse-Erzeugung soll eine regionale Versorgungslücke schließen“, so die Referentin. Am Anfang stand ein Projekt in Zusammenarbeit mit der Uni Gießen, aus dem 2022 die NatürLich GbR hervorging.
Fay umreißt die Vorteile des Systems wie folgt: „Die Mulchdecke hält als Verdunstungsschutz Wasser im Boden, schützt diesen aber auch vor Starkregen. Außerdem werden samenbürtige Unkräuter unterdrückt und die Bodenfruchtbarkeit durch die zugeführte organische Substanz erhöht. Im Sommer bleibt der Boden kühl und im Winter warm.“ Einziger Nachteil sei eine verzögerte Erwärmung im Frühjahr.
Die Unkrautbekämpfung erfolgt im Biobetrieb von Hand; als biologisches Insektizid wird Neem Azal eingesetzt, und es werden Kulturschutznetze verwendet. Die Düngung erfolgt außer über das Mulchmaterial mittels Haarmehlpellets.
„Wir betreiben ein Kombi-Mulchverfahren, bei dem auf der Fläche eine Leguminosen-Zwischenfrucht angebaut wird. Diese wird nach dem Mulchen durch weiteres Mulchmaterial von anderen Flächen ergänzt. Ziel ist eine etwa 10 cm dicke Mulchschicht. Die Gemüsepflanzen werden dann mit einer Pflanzmaschine gesetzt“, beschreibt Anne Fay die Produktionstechnik, die allerdings auch hohe Investitionskosten verlange.
Einen völlig anderen unternehmerischen Ansatz verfolgt die Konditormeisterin Nanetta Ruf, die über ihre „KondiTOURei – mobile Produktveredelung am Hof“ berichtete. Ihre Basis ist die elterliche Rosenschule Ruf in Bad Nauheim-Steinfurth. Die Unternehmerin bietet landwirtschaftlichen Betrieben mit Direktvermarktung die Möglichkeit, ohne eigene Investitionen in Technik, Ausbildung oder Personal ihre Produkte auf dem Hof verarbeiten zu lassen.
Dazu hat sie einen LKW nach eigenen Vorgaben umbauen lassen. Ein abstellbarer Container ist mit einer kompletten Konditorei ausgestattet. „So kann ich auch arbeiten, wenn etwa der LKW in der Werkstatt ist.“ Das Startkapital hat Ruf sich unter anderem über Crowdfunding beschafft.
Vor Ort angekommen benötigt sie nur einen Wasser-, Abwasser- und Stromanschluss, um die Vorprodukte des Kundenbetriebes zu Kuchen, Gebäck, Aufstrichen oder Pesto zu verarbeiten. Am Hof nicht vorhandene Rohstoffe bringt sie mit. Die Betriebe können dann ihre weiterverarbeiteten Produkte im eigenen Hofladen verkaufen. Da Ruf ausgebildete Bio-Konditorin ist, können Biobetriebe ihre Produkte auch mit dem EU-Biosiegel versehen.
KB – LW 49/2024