Das Projekt der Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie Rheinland-Pfalz (GNOR) wurde 2019 ins Leben gerufen, um die letzten brütenden Kiebitze in Rheinland-Pfalz zu retten. Das erste Ziel dieses Projektes ist die Entwicklung und Erprobung von Schutzmaßnahmen für diese stark bedrohte Vogelart. Danach gilt es die Bestände in den Hauptverbreitungsgebieten zu erhalten und zu stabilisieren. Es soll ein gemeinsames Kooperationsnetzwerk aus Naturschutz, Landwirtschaft, Jägerschaft und Naturschutzmanagern für den Schutz dieser Art entstehen und gemeinsam ein nachhaltiges Schutzkonzept entwickelt werden.
Finanziert wird das Projekt aus den Geldern der „Aktion Grün“ des Ministeriums für Umwelt, Energie, Ernährung und Forsten Rheinland-Pfalz. Von Behördenseite unterstützt die Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, das Landesamt für Umweltschutz Rheinland-Pfalz und die Struktur- und Genehmigungsdirektionen das Projekt.
Kleine Bodentiere sind seine Leibspeise
Der taubengroße Kiebitz, ornithologisch Vanellus vanellus genannt, besitzt eine metallisch-grün schimmernde Oberseite mit einem violetten Schulterfleck. Im Flug wirkt er dagegen schwarz-weiß. Die Unterseite ist mit einem scharf, halbrundem schwarzen Brustschild ausgestattet. Das wohl markanteste Merkmal ist die abstehende Federhaube am Hinterkopf. In der Brutzeit ist diese beim Männchen größer als beim Weibchen. Der Kiebitz ernährt sich von kleinen Bodentieren wie Regenwürmern, Larven, Raupen, Heuschrecken, Spinnen, Tausendfüßern oder Asseln. Insbesondere die Jungvögel brauchen in den ersten Wochen große Mengen an kleinen Insekten, um zu überleben.
Die Brutzeit erstreckt sich von März bis Juni. Das Gelege umfasst in der Regel vier Eier. Wenn ein Gelege verloren geht, können Nachgelege in der Regel mit weniger Eier angelegt werden. Die olivbraunen Eier mit schwarzen Flecken müssen etwa einen Monat lang bebrütet werden, wobei sich die Alttiere beim Brüten abwechseln. Die Jungvögel schlüpfen ab Mitte April und bei Nachgelegen können Küken auch noch bis in den Juni beobachtet werden. Das Nest wird wenige Stunden nach dem Schlüpfen verlassen. In den folgenden Wochen laufen die Küken den führenden Elterntieren nach und werden meist in feuchte Senken mit Wasserstellen und reichlich Insekten geführt.
Der Kiebitz ist ein Kurz- bis Mittelstreckenzieher mit Winterquartieren in Westeuropa und im Mittelmeerraum. Der Heimzug beginnt verstärkt ab Mitte Februar und erstreckt sich über ein schmales Zeitfenster. In der ersten Märzwoche ist bereits der Höhepunkt erreicht und der Durchzug ist Ende März weitestgehend abgeschlossen.
Der ursprüngliche Brutlebensraum ist offenes und feuchtes Grünland mit niedriger und lückiger Vegetation. Heutzutage brüten jedoch viele Kiebitze auf Äckern. Fast immer werden Schwarzbrachen als Brutplatz ausgewählt, in die später Sommergetreide, Mais, Gemüsekulturen, Kartoffeln oder Zuckerrüben eingesät wird.
Kiebitzsituation in Rheinland-Pfalz
Der Kiebitzbestand in Rheinland-Pfalz war durch das Wegfallen vieler Feuchtgebiete sowie nährstoffarmer Weiden und Wiesen schon einmal vor über 100 Jahren stark zurückgegangen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert hat sich der Vogel an Ackerland angepasst und sein Bestand hat sich wieder stabilisiert, sodass er bis in die 1980er Jahre landesweit als Brutvogel anzutreffen war. Er war nicht gefährdet und wurde zum Charaktervogel feuchter, offener Ackerlandschaften. In der inoffiziellen Roten Liste von 1987 galt er als „nicht gefährdet“. Danach sind die Bestände kleiner geworden und nach kurzer Zeit gänzlich eingebrochen.
So ist der Kiebitz in vielen Gebieten als Brutvogel nicht mehr anzutreffen. In Rheinland-Pfalz zählt der Kiebitz heute mit nur noch 100 bis 200 Brutpaaren zu den vom Aussterben bedrohten Arten der Rote Liste (Kategorie 1). Aktuell gibt es nur noch kleinere Vorkommen in Rheinhessen und in der Pfalz und es wird von nur noch 50 bis 100 Brutpaaren landesweit ausgegangen. Aus diesem Grund ist es wichtig die Kiebitzbestände genau zu erfassen und gegebenenfalls Schutzmaßnahmen – in Form von Elektrozäunen, Nestschutzkörben oder der Markierung von Gelegen – durchzuführen. Deutschlandweit bemüht man sich derzeit um den Schutz dieses sympathischen großen Vogels, den viele noch aus ihrer Jugend kennen. Der deutsche Bestand ist im Zeitraum von 1992 bis 2016 um 88 Prozent zurückgegangen.
Durch die Entwicklungen in der Landwirtschaft haben sich die Bedingungen in den Brutlebensräumen der Kiebitze bei uns verändert. Viele ehemalige Brutplätze im Grünland werden vom Kiebitz nicht mehr angenommen.
Spätere Aussaat kann den Kiebitz retten
Durch die bessere Nährstoffversorgung ist der Aufwuchs im März schon zu hoch, sodass der Kiebitz diese nicht mehr annimmt. So werden oft Schwarzbrachen im März als Brutplatz ausgewählt, da sie einen guten Rundumblick bieten. Bei der maschinellen Bodenbearbeitung und Einsaat kommt es dann häufig zu Gelegeverlusten, da die Nester gut getarnt sind und regelmäßig übersehen werden. Besonders in der Pfalz kommt es nicht selten zu Bruten und Brutversuchen von Kiebitzen zwischen Abdeckfolien im Gemüsebau. Bei der Ernte werden die Nester manchmal zertreten, da zwar die Kiebitze, jedoch nicht ihre Gelege wahrgenommen werden. Die hohe Prädatorendichte in vielen Gebieten – von Fuchs und Waschbär –machen es den Bodenbrütern schwerer Bruterfolg zu haben, da viele Gelege diesen zum Opfer fallen. In anderen Fällen kommt es zu starken Störungen durch frei laufende Hunde, die zum Verlassen der Nester führen. Schließlich steht den Kiebitzen durch den Insektenrückgang weniger Nahrung zur Verfügung. Alle diese Faktoren haben zu einem drastischen Rückgang der hiesigen Kiebitzpopulationen geführt.
Um Schutzmaßnahmen einzuleiten, müssen zunächst die Brutplätze bekannt sein. Da Kiebitze gerne immer wieder an denselben Standorten brüten, sollen diese traditionellen Plätze in den ersten Jahren des Projektes genau lokalisiert werden. In Absprache mit den dortigen Landwirten sollen nötige Schutzmaßnahmen eingeleitet werden. In den meisten Fällen reicht eine Markierung der Gelege aus, damit bei der Bodenbearbeitung, Aussaat oder Ernte die Nester nicht „mitbearbeitet“ werden. In Gegenden mit hoher Prädatorendichte können die Gelege mit Nestschutzkörben oder Elektrozäunen vor Bodenprädatoren geschützt werden – wenn die Bewirtschaftung das zulässt. In anderen Fällen – wenn keine direkte Bedrohung von Bearbeitung oder Prädatoren ausgeht – wird das Brutpaar nur zur Kenntnis genommen und zu späteren Zeitpunkten erneut kontrolliert, da auch der Brutverlauf dokumentiert werden soll.
Entschädigung für die Ertragsverluste
Wenn durch die Schutzmaßnahmen bei den Landwirten Ertragsverluste entstehen, können mit der Struktur- und Genehmigungsbehörde Absprachen und vertragliche Vereinbarungen getroffen worden, um diese zu entschädigen. Um alle Kiebitze in Rheinland-Pfalz zu lokalisieren, ist das Kiebitzprojekt Rheinland-Pfalz auf Unterstützung aus Jägerschaft, Landwirtschaft, Naturschutz und Behörden angewiesen. Mittel- und langfristig sind vor Prädatoren geschützte „Kiebitzäcker“ und „Kiebitzweiden“ geplant, die zu „Hotspots“ für die Vermehrung der Kiebitze werden sollen.
In Rheinland-Pfalz steht das Kiebitzprojekt noch am Anfang. Die Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie Rheinland-Pfalz (GNOR) arbeitet daran ähnliche „Hotspots der Biodiversität“ in der Kulturlandschaft zu erschaffen, wie sie in Reichelsheim in der Wetterau oder im Hessischen Ried entstanden sind, um die Kiebitzpopulation auch in Rheinland-Pfalz für die nächsten Generationen zu erhalten.
Gerardo Unger Lafourcade – LW 10/2020