Mit Blick auf die Demonstration von Landwirten diese Woche während der Agrarministerkonferenz in Bad Homburg forderte Hessens Bauernpräsident Friedhelm Schneider, Politik und Gesellschaft auf, die Landwirte nicht mit überzogener Bürokratiepflicht noch stärker zu belasten. Schneider sprach bei der Vertreterversammlung des Bauernverbandes Gießen/Wetzlar/Dill am vergangenen Mittwoch in den Hüttenberger Bürgerstuben.
„Agrarpolitik ist heute mehr denn je Gesellschaftspolitik. Denn jeder kann und will heute etwas zur Landwirtschaft sagen, ohne in unsere Ställe geschaut zu haben. Das heißt für uns Landwirte, dass wir am Klavier des öffentlichen Lebens mitspielen und uns zum Beispiel mehr in der Kommunalpolitik einbringen müssen, damit nicht andere über die Zukunft unserer Familienbetriebe entscheiden.“ Mit diesem Statement eröffnete der HBV-Präsident den Gastvortrag, der sich mit der aktuellen Diskussion zur Umsetzung der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU befasste.
Die berufliche Qualifikation der Landwirte sei ausgesprochen hoch. Dieses Pfund dürfe nicht durch die überzogenen Bürokratieanforderungen an die Landwirte zunichte gemacht werden, so der Repräsentant der Landwirte in Hessen. Bei allen Anforderungen der heutigen Zeit zur Aufzeichnung der Erzeugung sei auch darauf zu achten, dass die Betriebe wirtschaftlich fortgeführt werden können. Der HBV-Präsident sieht vor allem die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Landwirtschaft wegen der Auflagen zum Greening gefährdet. Sein Eindruck ist, dass dieses in Frankreich konstruktiver mit Rücksicht auf die Betriebe umgesetzt wird im Vergleich zu Deutschland. Weiteres Beispiel sei die Ackerfutter- sowie Grünland-Deklaration im Gemeinsamen Antrag auf Flächen.
Schneider informierte über die Einflussnahme des Berufsverbandes auf agrarpolitische Entscheidungen und stellte fest, es helfe nichts, wenn man auf die aus landwirtschaftlicher Sicht häufig zu Unrecht empfundene Kritik am Berufsstand nicht reagiere. Ziel müsse sein, beim Verbraucher mehr Verständnis für das Tun der Landwirte zu bekommen. „Auch wenn wir wissen: Die Sonntagsreden von wertvoller regionaler Produktion passen oft nicht zum Sonntagsbraten.“ Denn je weiter die Produktion vom eigenen Haus sei, umso mehr werde über regionale Erzeugung gesprochen. Gleichzeitig wolle niemand einen Stall in der Nachbarschaft stehen haben, geschweige denn eine Biogasanlage oder Windanlage im Dorf. „Aber wie soll es sonst funktionieren?“, fragte Schneider weiter und sagte „der Regenwald in Übersee fällt gnadenlos den Konsumwünschen der Deutschen und Europäer zum Opfer – das muss bei Diskussionen um Extensivierung, Landromantik und günstige Lebensmittel auch gesagt werden. Mit vollem Bauch lässt sich gut Agrarpolitik machen“, kommentierte der HBV-Präsident diese widersprüchlich in unserer Gesellschaft geführte Diskussion zur Erzeugung von Nahrungsmitteln.
Nachhaltige Landwirtschaft braucht die Nutztierhaltung
Für den HBV-Präsidenten gehören Landwirtschaft und eine flächendeckende Nutztierhaltung im Sinne der Kreislaufwirtschaft zusammen. Mit weniger als eine Großvieheinheit pro ha sei in Hessen die Tierhaltung aber deutlich zu gering. „Ohne Tierhaltung ist zugleich jedes Konzept zur Offenhaltung der Natur nur Makulatur. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Tierhaltung in Hessen“, so Schneider. Man habe seitens des Berufsstandes viel zu besprechen: „Wir stehen zugleich mitten in der Tierwohldebatte. Der Bundeslandwirtschaftsminister hat mit der Tierwohlinitiative einen vernünftigen Vorschlag gemacht“, so Schneider.
Auch sprach Schneider zum Mindestlohn. Der Bauernverband müsse gegenüber der Politik erreichen, dass dieses Gesetz praktikabel in den Betrieben umgesetzt werden könne. Damit einhergehende Aufzeichnungspflichten beispielsweise auch für Familienarbeitskräfte hält er für völlig überzogen. „Diesen Bürokratiewahnsinn zu Ungunsten der Landwirtschaft müssen wir aufzeigen.“ Mit dem Bundesminister Christian Schmidt habe er in Friedrichsdorf vor kurzem ein Gespräch geführt und auch dieses Thema angesprochen. Die künftige Angleichung der Flächenprämie auf Bundesebene sieht Schneider als Erfolg des Berufsstandes in Hessen. Unzufrieden ist er mit der Veröffentlichung der Direktzahlungen im Internet.
Der Bauernchef wagte einen Ausblick auf die Marktentwicklung der wichtigsten landwirtschaftlichen Erzeugnisse in Hessen. Bei Milch erwartet er auch nach der Quotenregelung, also nach dem 31. März 2015, dass keine „Milchseen“ in Europa entstehen. „Insgesamt wird das Ende der Quote den Betrieben nicht weh tun“, schätzt Schneider die Lage ein. Die Freiheit, unternehmerisch auf dem Markt aufzutreten und unsere Betriebe erfolgreich fortzuführen, brauchen wir. Wir prägen den ländlichen Raum, wir sind die Gesellschaft in den ländlichen Räumen. Das müssen wir immer wieder in der Öffentlichkeit deutlich machen“, lautete das Fazit des engagierten Redners für seine Kollegen auf Landesebene.
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