Vor zusätzlichen bürokratischen Belastungen der Saatgutvermehrer hat der Bundesverband der VO-Firmen (BVO) gewarnt. Auf dem diesjährigen Saatguthandelstag wies BVO-Geschäftsführer Martin Courbier Ende Mai in Magdeburg darauf hin, dass der vom Markt ausgehende, aber auch der politische und gesellschaftspolitische Anpassungsdruck eine enorme Herausforderung für die Saatgutbranche darstelle.
Wegen des enormen Zulassungsstaus bei Pflanzenschutzmitteln sowie wegen weiterer absehbarer Restriktionen wie bei den Neonikotinoiden seien die vorwiegend mittelständischen Saatgutproduktions- und Saatgutvertriebsfirmen gezwungen, nach alternativen Ansätzen zu suchen.
Dies betreffe den Bereich der chemischen, biologischen und elektronischen Saatgutbehandlung oder auch Mikronährstoffe, Mikroorganismen sowie Enzyme zur Ergänzung der chemischen Standardbeizung, erläuterte Courbier. Er monierte allerdings, dass diese Innovationen gerade in der sensiblen Einführungsphase auf teils überzogene bürokratische und logistische Anforderungen träfen.
Misstrauen beklagt
Courbier wie auch der BVO-Vorsitzende Jörg Hartmann warben deshalb dafür, dass Gesellschaft und Politik sachlich und innovationsfreundlich mit neuen Methoden und Technologien umgehen sollten. Auf dem Saatguthandelstag machte der Geschäftsführende Vorstand vom Forum Moderne Landwirtschaft (FORUM), Dr. Christoph Amberger, allerdings deutlich, dass das oft beklagte Misstrauen zwischen Gesellschaft und Agrarsektor nicht zuletzt daher rühre, dass die Ernährungsbranche den Kontakt zur städtischen Bevölkerung und damit zum Großteil ihrer Kunden verloren habe. An einer besseren Öffentlichkeitsarbeit, gerade bei der urbanen Bevölkerung, führt daher nach seiner Ansicht kein Weg vorbei, wenn die Branche wieder mehr Verständnis für ihre modernen Produktionsmethoden wecken wolle. Welches Potenzial solche Innovationen bergen, zeigten die Vorträge des Vizepräsidenten der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), Hubertus Paetow, und von Dr. Ricardo Gent von der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie.
Mikronährstoffe nicht wie Dünger behandeln
Zuvor hatte Courbier vor Journalisten bemängelt, dass zusätzlich ans Saatgut angebeizte Mikronährstoffe seitens der Länderkontrollbehörden als in Verkehr gebrachte Düngemittel behandelt würden. Dies ziehe erhebliche Konsequenzen nach sich, beispielsweise bei der Kennzeichnung der Saatgutverpackungen, warnte der BVO-Geschäftsführer. Dabei entspreche die mit dem Saatgut in den Boden eingebrachte Menge an Mikronährstoffen rechnerisch nicht mehr als etwa 50 g/ha. Courbier drängt deshalb an dieser Stelle auf eine praxisfreundlichere Lösung.
Noch problematischer ist nach seiner Auffassung die geplante Einbeziehung von Saatgut in die Stoffstrombilanzierung. Diese sei nur mit einem hohen Aufwand umsetzbar und zudem aufgrund der geringen Nährstoffmengen nicht verhältnismäßig. Laut Courbier geht es bei der Bilanzierung der Nährstoffmengen im Saatgut allenfalls um 3 kg Stickstoff pro Hektar. In Anbetracht der üblichen Düngergabe von rund 180 kg N/ha werde deutlich, dass die logistische und technische Mehrbelastung nicht nachvollziehbar sei, so der Geschäftsführer.
„Bürokratisches Monster“ befürchtet
Hartmann monierte in diesem Zusammenhang, dass der Referentenentwurf zur Stoffstrombilanzierung Daten voraussetze, die in der Praxis gar nicht zur Verfügung stünden. So solle die Bilanzierung unter anderem nach Fruchtart und insbesondere nach Rohproteingehalt erfolgen. Letzterer werde beim Getreidesaatgut aber beispielsweise nicht erhoben. Wolle der Gesetzgeber dies so umsetzen, müsse jede Saatgutpartie gesondert beprobt und analysiert werden. Damit drohe ein neues „bürokratisches Monster“, warnte der BVO-Vorsitzende.
Nach seiner Darstellung begrüßt die Saatgutbranche grundsätzlich den politischen Ansatz zur Bilanzierung der Nährstoffströme in der Landwirtschaft. Ebenso stehe man zu dem Ansatz, den Nährstoffeinsatz so effizient wie möglich zu gestalten. Die dafür ergriffenen Maßnahmen müssten aber verhältnismäßig und fachlich umsetzbar sein, forderte Hartmann. Deshalb lehne der BVO die geplante Einbeziehung von Saatgut in der Stoffstrombilanzierung ab.
Digitalisierung als Chance
Paetow bewertet die Digitalisierung als enorme Chance für die Landwirtschaft, ihre Produktivität bei einer verbesserten Ressourceneffizienz zu steigern. Dabei könnten einzelne Prozesse wie beispielsweise das Lenksystem der Maschine auf dem Acker automatisiert oder gleich ganze Prozessketten miteinander vernetzt werden. Neben der verbesserten Koordinierung der Produktionskette biete die Digitalisierung damit auch eine deutlich höhere Transparenz auf allen Ebenen des Produktionsprozesses, betonte Paetow.
Damit könnten Betriebsleiter bessere und schnellere Entscheidungen treffen, ihr Controlling optimieren und aufgrund der verfügbaren Daten eine höhere Produktsicherheit und Nachverfolgbarkeit anbieten. Die Implementierung der notwendigen Technik erfordert laut dem DLG-Vize allerdings hohe Start-Investitionen und stellt auch eine Herausforderung für den Landwirt und dessen Mitarbeiter dar. Zudem seien technische Fragen der Vernetzung unterschiedlicher Maschinentypen und der Datenhoheit zu beachten.
„Gentechnik“ präziser definieren
Gent wies darauf hin, dass neue Zuchtmethoden, wie das Genome Editing und insbesondere die Verfahren CRISPR/Cas, die Chance für die punktgenaue und noch schnellere
Entwicklung besserer Kulturpflanzen böten. Sie seien im Vergleich zu anderen Methoden präziser, preiswerter und einfacher. Zudem seien
die Methoden in der Gesundheitswirtschaft, Tiermedizin und der Biotechnologie bereits etabliert und akzeptiert.
Ein großes Problem für deren Einsatz in der Pflanzenzucht besteht laut Gent aber in der unscharfen Definition von Gentechnik und gentechnisch veränderten Organismen (GVO). Da insbesondere CRISPR/Cas in der Praxis natürlichen Mutationen im Pflanzengenom entspreche, könne bei diesen Verfahren nicht ohne weiteres von Gentechnik gesprochen werden. Gent sieht daher die Politik gefordert, hier mit einer präziseren Definition von „Gentechnik“ für Klarheit zu sorgen.