Draußen fahren über 1 000 Traktoren von Landwirten und Winzern bei eisiger Kälte Sternfahrten nach Alzey, Neustadt an der Weinstraße und Kaiserslautern. Sie nehmen das auf sich, weil es um ihre Existenz geht. Weinberge, Obstplantagen und Ackerland sollen in Vogelschutz-, FFH- und Natura-2000-Gebieten ohne Pflanzenschutzmittel zurechtkommen.
Der Präsident des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd (BWV), Eberhard Hartelt, kritisiert bei der Pressekonferenz aus dem Haus der Landwirtschaft in Alzey, die von der Bundesregierung geplante Umsetzung des Aktionsprogramms Insektenschutz in aller Deutlichkeit.
Große Bereitschaft der Landwirte zu Insektenschutz
Gleichzeitig betont er, dass der Berufsstand zum Insektenschutz steht und mit großer Bereitschaft bereits zahlreiche Maßnahmen in diesem Bereich umsetzt. Tobias Diehl, Betriebsleiter in Heidesheim, setzt im Rahmen des FRANZ-Projekts Maßnahmen zum Insekten- und Vogelschutz um: Blühstreifen, Lerchenfenster, Erbsenfenster, Käferbank und extensiver Getreideanbau in weiten Reihen. Er und seine Obstbaukollegen schrieben einen offenen Brief an die Abgeordneten. Darin wird auch die Rechtsverordnung über das Naturschutzgebiet Höllenberg zitiert: „Schutzziel ist die Erhaltung und Entwicklung des Gebietes, insbesondere von... obstbaulich genutzten Flächen.“
Die vorliegenden Entwürfe des Insektenschutzgesetzes und der geänderten Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung würde dieses Engagement allerdings akut gefährden. Massive Einschränkungen beim Pflanzenschutz in großflächigen Schutzgebieten und entlang bestimmter Gewässer würden eine Bewirtschaftung nicht mehr zulassen und kämen damit faktisch einer entschädigungslosen Enteignung gleich, sagte Hartelt.
Nur Verlierer bei derzeitiger Gesetzesversion
Falls das Gesetzespaket wie vom Bundesumweltministerium gewünscht, verabschiedet wird, gebe es laut Hartelt nur Verlierer. Vielen Landwirten, Winzern, Obst- und Gemüsebauern werde die betriebliche Zukunft verbaut, erfolgreiche Kooperationen zwischen Naturschutz und Landwirtschaft würden aufs Spiel gesetzt, zielführende Fördermöglichkeiten zerstört. In der Konsequenz sei die vom Verbraucher gewünschte regionale Produktion von Lebensmitteln in Gefahr. Und das alles, ohne dem Insektenschutz wirklich zu dienen. „Wir stehen zum Insektenschutz, und gerade deshalb lehnen wir das Insektenschutzpaket der Bundesregierung ab. Dabei geht es nicht um die Frage, ob wir uns engagieren, sondern wie wir die besten Ergebnisse erzielen können“, stellte Präsident Hartelt klar.
Naturschutz geht nur mit der Landwirtschaft
Insektenschutz geht nur gemeinsam mit der Landwirtschaft. Das wollen auch die Landwirte und Winzer bei den heutigen Traktoren-Demos in Alzey, Neustadt und Kaiserslautern zum Ausdruck bringen. Hierzu aufgerufen hat der BWV gemeinsam mit Land schafft Verbindung (LSV). Die große Beteiligung aus allen Produktionsrichtungen zeigt die Betroffenheit innerhalb des Berufsstandes, aber auch die Bereitschaft sich insgesamt im Bereich Biodiversität noch stärker einzubringen.
Der BWV-Präsident fordert die politisch Verantwortlichen mit Nachdruck dazu auf, die Belange der Landwirtschaft im Sinne des Insektenschutzes zu berücksichtigen. Viel besser und zielführender als starres Ordnungsrecht sei es, wenn die Bundesregierung freiwillige, kooperative Maßnahmen unterstützen und fördern würde, statt pauschale Verbote zu erlassen. Im Hinblick darauf gibt Hartelt auch zu bedenken, dass der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln Ernten sichert, daher dürfe Insektenschutz nicht zum Schädlingsschutz verkommen. Pragmatische und lokal angepasste Regelungen, die in den Betrieben auch umgesetzt werden können, seien gefragt.
Damit auch die Umsetzung vor Ort funktionieren kann, werden im Projekt FRANZ alle ökologischen Maßnahmen auf ihre ökonomische und arbeitswirtschaftliche Wirkung im Betrieb untersucht, erklärt Diehl. Auf seinem Betrieb zeigt sich, dass ökologische Maßnahmen möglich sind, wenn die Ernteverluste finanziell ausgeglichen werden. Die Ergebnisse des Projektes werden sehnlichst erwartet, denn die Umsetzung zahlreicher untersuchter Maßnahmen soll letztlich bundesweit auf die Betriebe erfolgen.
Winzer und Landwirte sind bereits auf gutem Weg
Reinhold Hörner, der Weinbaupräsident der Pfalz, war zur Pressekonferenz zugeschaltet aus Hochstadt in der Südpfalz. Er rechnet vor, dass 2 000 ha Naturschutzgebiete und 2 500 ha Vogelschutzgebiete in der Südpfalz vom Insektenschutzpaket betroffen sind. „Die chemische Unkrautbekämpfung haben wir schon um 50 Prozent halbiert und führen hier die mechanische Unkrautbekämpfung durch“, so Hörner. Wobei er ergänzt, dass die mechanische Unkrautbekämpfung auch ökologische Nachteile mit sich bringt.
Auch er setzt sich vehement gegen ein totales Insektizidverbot ein, da immer neue Schädlinge mit dem Klimawandel in die heimischen Regionen einwandern.
Dass auch in der Südpfalz zahlreiche Projekte zur Steigerung der Biodiversität von den Landwirten angestoßen wurden, darauf weist Hörner hin. So wurden im Rahmen des Projekts „FarmNetzwerk“ rund 200 ha Blühstreifen angelegt, die gemeinsam mit dem Maschinenring, dem Naturschutzverband Südpfalz sowie den örtlichen BWV-Ortsgruppen gepflegt werden. Dafür wurde im vergangenen Jahr ein Balkenmähwerk angeschafft, um die Pflege insektenschonend zu gestalten. Mit im Boot ist die AgroScience, die sich wissenschaftlich um die Entwicklung der Artenvielfalt kümmert, sowie die BASF, die das Monitoring von Laufkäfern, Spinnen, Wildbienen und Vögeln finanziert.
Thilo Ruzycki von der LSV Rheinhessen verdeutlicht, dass die Betroffenheit der Betriebe von Null bis 100 Prozent reiche. Die Resonanz auf den heutigen Aufruf unter den Landwirten und Winzern war groß. Teils 60 bis 80 Prozent der landwirtschaftlichen Bevölkerung der Dörfer habe sich an den Sternfahrten in Rheinhessen beteiligt.
Christian Kau, Landwirt vom Stockbornerhof, im Kreis Südwestpfalz war in Kaiserslautern dabei. „Wenn das so kommt wie vorgesehen, haben wir hier eine Enteignung. Ich bewirtschafte 20 Hektar im Naturschutzgebiet. Die muss ich dann praktisch aus der Produktion nehmen. Ein Teil des Landes ist gepachtet, das werde ich dann zurückgeben.“
Nun hoffen alle auf eine für ihre Betriebe positive Entscheidung. „Wir wollen Insektenschutz auf Teilflächen umsetzen. Das lässt Perspektiven für die Betriebe und den Insektenschutz offen“, bemerkt Hartelt zum Abschluss der PK in Alzey.
bwv/zep – LW 6/2021