Wettbewerb um Reglementierung

Wenn jemand einem Unternehmerverband beitritt, erwartet er, dass seine Interessen vertreten werden und sich der Verband bei Politik und Gesellschaft für ein wirtschaftsfreundliches Umfeld einsetzt. Der Unternehmer ist darüber hinaus bereit, sich zu einem vom Verband vertretenen Leitbild zu bekennen. Geht der Verband, wie es jetzt der Westfälisch-Lippische Landwirtschaftsverband (WLV) vorhat, darüber hinaus und gibt seinen Mitgliedern vor, wie sie in zehn oder fünfzehn Jahren wirtschaften sollen, wird es schon problematisch. Der WLV erwartet selbst, dass es bei den jetzt bevorstehenden Diskussionen um die von ihm angestrebte Initiative „Offensive Nachhaltigkeit“ auch Ablehnung geben wird. Die Frage ist, ob ein Verband seinen Mitgliedern eigene Ausstiegstermine für landwirtschaftliche Verfahren und „freiwillige“ Verzichte vorgeben sollte. Er tritt hier in den Wettbewerb mit dem Gesetzgeber, der aber letztlich maßgebend sein muss, weil seine Normen allgemeinverbindlich sind. In diesem Zusammenhang ist das in der Initiative formulierte Ziel, bis 2030 auf das routinemäßige Kürzen der Schweineschwänze zu verzichten, besonders abstrus. Laut geltendem Tierschutzgesetz ist dies ohnehin nur aufgrund tierärztlicher Vorgabe erlaubt. Wenn davon die Rede ist, dass die Initiative dann ein Erfolg sei, wenn mindestens drei Viertel der Betriebe künftig ein verändertes Verhalten in der Praxis zeigen, stellt sich zudem die Frage, wie mit dem restlichen Viertel der Mitgliedschaft künftig umgegangen wird.

Klar ist, dass sich die Landwirtschaft im Tier-, Umwelt- und Naturschutz wie in den vergangenen Jahren weiterentwickeln muss, um die Akzeptanz der Bevölkerung zu erhalten oder wiederzugewinnen. In Westfalen mit seiner hohen Viehdichte besteht mehr Handlungsbedarf als in anderen Regionen. Landwirte in viehärmeren Gegenden klagen zu Recht, dass die zunehmenden gesetzgeberischen Einschränkungen gerade aus den Verhältnissen in den Intensivgebieten resultieren. Deshalb ist die Initiative der Westfalen nicht fortschrittlicher als das Bestreben in anderen Regionen, und man kann sie auch nicht als Giftpfeil gegen den vermeintlich bremsenden Deutschen Bauernverband interpretieren, wie es schon in den Medien zu lesen war.

Cornelius Mohr – LW 48/2016