Ausgelastet, überlastet, ausgebrannt

Waldeck-Frankenberger Rindertag zur Burn-out-Gefahr

Moderne Landwirtschaft ist alles andere als ein Kinderspiel. Wer den Betrieb erhalten und im Geschäft bleiben will, muss Profi sein und wachsen wollen. Leichtfertig werden dann die eigenen körperlichen Leistungsgrenzen überfordert. Zu viel Arbeit ist aber meist nicht der Grund, dass es immer öfter die Psyche des Landwirts erwischt. Das meinte die Arbeitsmedizinerin Dr. Magdalena Peinecke, die beim 17. Waldeck-Frankenberger Rindertag vorige Woche in Willingen im Upland den Symptomen des Ausgebranntseins auf der Spur war.

Die meisten Milchbauern haben an 365 Ta­­gen im Jahr Arbeit. Selbst bei allerbes­ter Organi­sation müssen sie wenigstens immer er­reichbar sein, wenn sich der Melk­ro­bo­­ter auf dem Handy meldet. Hinzu kommt der seit Jahren extrem hohe wirtschaftliche Druck auf die Betriebe.

„Dann besteht die Gefahr, dass man als Landwirt den Blick für Beruf, Familie und Betrieb verliert“, ging Friedrich Schäfer, Kreisland­wirt Waldeck-Fran­kenberg, auf den Vortrag beim diesjährigen Rindertag ein, den circa 150 Landwirte in der Schützenhalle von Us­seln hörten.

Die Veranstalter hatten unter Leitung von Ute Ermentraudt und Arnt Schäfers vom Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen die temperamentvolle Arbeitsmedizinerin zum Vortrag über dieses Topthema gebeten, die auch für die landwirtschaftliche Sozialversicherung (SVLFG) sowie die Kreisbauernverbän­de in Schleswig-Holstein Beratungsarbeit geleistet hat.

Zur Anspannung gehört die Entspannung

Die Landwirtschaft genießt heute durch die Technik eine sehr große Arbeitserleichterung in sämtlichen Bereichen. Und doch haben Landwirte immer weniger Zeit für ihre Familie und für sich selbst.

Dr. Magdalena Peinecke war die Gastreferentin des Rindertages.

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Friedrich Schäfer, Kreislandwirt von Waldeck-Frankenberg.

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Ute Ermentraudt vom Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen.

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Was passiert mit Menschen, auf die eine Belastung einwirkt? „Ist der Landwirt von heute ausgebrannt oder „nur“ erschöpft?“, fragte die Ärztin. Das sei von zentraler Bedeutung für die Dia­gnose des Burn-out-Syndroms.

Ihrer Ansicht nach ist es nicht die viele Arbeit, die Landwirte häufig haben, damit der Betrieb erfolgreich läuft. Im Gegenteil, der Mensch brauche die Arbeit, um zufrieden und gesund zu sein. Erschöpft zu sein, zum Beispiel nach einem sehr anstrengenden Arbeitstag oder in der Hauptsaison, ist vom tatsächlichen Ausgebranntsein zu unterscheiden.

Zum aktiven Leben gehört auch die Erschöpfung, um lange fit zu bleiben. Aber man braucht die Phase zum Erholen. „Am siebten Tage sollst Du ruhen“, zitierte die Medizinerin, die zusätzlich einige Semester Theologie studiert hat, aus dem Buch Genesis im Alten Testament.

Hormonhaushalt gerät aus dem Gleichgewicht

„Wir Menschen können spielend viel leisten, aber wir können es nicht auf Dauer. In den letzten 30 Jahren hat sich dies geändert, wir haben fast keine Entlastungsphasen mehr“, erläuterte die Referentin die Zusammenhänge als Reaktion des Organismus auf Stress. Stress löst eine Kette biochemischer Abläufe im Körper aus: die Nervenstränge schüt­ten das Hormon Cor­tisol aus.

Bei Dauerstress ist die Cortisolausschüttung zu stark. Das hat Folgen für den Hormonhaus­halt. Zum Beispiel, dass andere Botenstoffe, wie die Ge­schlechts­­­­hor­­mo­ne Testos­te­ron oder Ös­tro­­­gen weniger produziert werden. Östrogenmangel wirkt bei Frau­en negativ auf ihre Frucht­bar­keit. Die Ovulation, Eisprung, wird nicht mehr ausgelöst.

Werden psychische Belastungen rechtlich als Krankheit anerkannt? Dazu wies Dr. Peinecke auf das Arbeitsschutzgesetz hin und sagte, dass der Paragraf fünf die Gefährdungsbeurteilung von Mitar­beitern in Betrieben regelt. Schwierig sei als Landwirt aber nachzuweisen, dass man die psychische Erkrankung infolge der Arbeit bekommen habe. Normalerweise diese nicht bekommen hätte. Den Beweis zu erbringen, gelinge häufig nicht.

Bedingungen in Betrieben haben sich geändert

Dabei sind auch die Themen Erschöpfung, Nervenzusammen­bruch oder Burn-out mitten in den Kreisen der Landwirte angekommen. Auch wenn darüber nicht gespro­chen wird.

Die Bedingungen, unter denen heute die Betriebe wirtschaften, haben sich geändert. „Das Thema der Psyche war vor 15 Jahren noch nicht relevant für die Landwirtschaft. Bei Landwirten ist die Suizidrate in den letzten Jahren aber hoch gegangen, das ist alarmierend“, stellte die Arbeitsmedizinerin fest.

„Flut an Vorschriften ist belastend“

Ihrer Meinung nach liegen die Ursachen nicht in der physischen Ãœberforderung. Neben einer Dauerbelastung, die praktisch keine Erholung mehr zulasse, sieht sie die „zunehmend belastende Flut an Vorschriften für Landwirte“ als Ursache. Sie sagte, wenn man etwas über lange Zeit sehr ungern macht, be­lastet es die Psyche. „Sie sind immer weniger dort unterwegs, wo sie als Landwirt ihre Stärke haben“, sagte Peinecke. Ein Landwirt sei inzwischen zu 50 Prozent seiner Arbeitszeit mit Bürokratie und Verwaltung oder Dokumentation beschäftigt. Man kom­me also aus der Dauerbelastung nicht raus. „Wenn Sie eine Verordnung nach der anderen schlucken, dann ist das nicht ihre Vorstellung über ihren Beruf. Aber sie müssen es tun, sonst folgen Sanktionen“, ist ihr Fazit.

Nicht immer nur „funktionieren“

Anzeichen für den drohenden Nervenzusammenbruch kann zum Beispiel dauerhaft schlechter Schlaf sein. Aber nicht ab und zu, das komme bei jedem vor.

Außerdem sind Panikattacken ein Alamarsignal. Auch hier gilt, ab und zu ist das nicht außergewöhnlich. „Wird man aber fünf Mal in der Woche mit Schweißausbrüchen im Bett wach, dann muss das Gehirn etwas verarbeiten. Das sind Vorboten einer Erschöpfung.“

Man brauche nicht immer nur „funktionieren“, sondern solle sich auch die Fra­ge stellen: „Warum mache ich es immer allen recht, mir selbst aber am wenigsten? Oder: Warum mache ich meinem Ärger nicht Luft?“ Das könne helfen.

Moe – LW 48/2016