Niederwald – ein Konzept wird wieder interessant

Zur Ein-Mann-Brennholzgewinnung optimal geeignet

An den Wochenenden werden Hunderte von Motorsägen in den Forstrevieren angeworfen, um das hochwertige Brennholz aus den ehemaligen Niederwäldern zu ernten. Die Versorgung des eigenen Haushaltes mit Heizenergie aus Holz steht dabei für die Hobby-Waldarbeiter im Vordergrund. Der steil ansteigende Preis für Heizöl belebt ganz nebenbei eine Wirtschaftsform, die eine lange Tradition hat, den Niederwald.

Einst zur Lohegewinnung angelegt, eignet sich die Bewirtschaftung armer Standorte als Niederwald optimal zur Brennholzgewinnung.

Foto: Kratz

Über Jahrhunderte waren die ortsnah gelegenen Niederwälder die wesentliche Existenzgrundlage der Bevölkerung im ländlichen Raum. Entlang der großen Flussläufe von Rhein, Mosel, Saar, Nahe, Glan, Lahn und vieler kleinerer Wasserläufe in Rheinland-Pfalz sind heute noch große, zusammenhängende Wälder landschaftsprägend, die aus Stockausschlag entstanden sind. Auch wenn diese Wälder heute noch von der Bevölkerung als Niederwälder oder Hecken bezeichnet werden, haben sie nur selten mit der traditionellen Nutzungsform, der Lohegewinnung, zu tun.

83 000 ha Niederwald in Rheinland-Pfalz

Deutschlandweit dürfte in Rheinland-Pfalz der Flächenanteil der aus Stockausschlag entstandenen Wälder am größten sein. Eine aktuelle Auswertung der Forsteinrichtungsdaten ergibt eine Fläche von etwa 83 000 ha Wald, der aus Stockausschlag entstanden ist. Die tatsächliche Niederwaldfläche dürfte noch deutlich höher liegen. Der Anteil ist deswegen so hoch, da in Rheinland-Pfalz aufgrund des Waldreichtums die Niederwälder weniger in Hochwald umgewandelt wurden als andernorts. Das Alter der Bäume beträgt inzwischen im Durchschnitt zwischen 60 und 90 Jahren.

Im Wesentlichen befinden sich die Niederwälder im Gemeinde- und Privatbesitz. Nach dem Krieg bis etwa 1975 wurden die Wälder in Staatsbesitz entweder systematisch forstlich gepflegt und die wertvollsten Eichen herausgearbeitet oder in wüchsige Douglasien- oder Fichtenwälder umgewandelt. Dies geschah in Hessen in ausgepägtem Maße, sodass heute nur noch einige hundert Hektar Niederwald im Lahn-Dill-Kreis geblieben sind, wie Dr. Jürgen Willig von Hessen-Forst berichtete. Die Niederwälder werden von den Hauberggenossenschaften genutzt. Bei der Umwandlung in Hochwald spielte es oft keine Rolle, ob die Erschließung durch Wege ausreichend für eine planmäßige Bewirtschaftung war und ob die Steillagen eine wirtschaftliche Holzbringung ermöglichten.

Die Gemeindewaldbesitzer waren in ihren Entscheidungen und in ihrer Investitionsfreudigkeit deutlich zurückhaltender als der Staat. Städte wie Boppard am Rhein oder Ortsgemeinden wie Treis-Karden an der Mosel verfügten über Hunderte von Hektaren dieser Wälder. Sie überließen große Wälder vor ihrer Haustüre einer eigendynamischen Entwicklung und kümmerten sich fast ausschließlich um ihren Hochwald, der eine deutlich höhere Wirtschaftlichkeit in kürzerer Zeit versprach.

Eichen verdrängten die Buche

Eigentlich müsste in den meisten Niederwäldern die Buche waldbildend auftreten. Sie ist aber nur sehr begrenzt in der Lage, nach dem Hieb aus dem Stock wieder auszutreiben. Außerdem war die Buche für die Gerbstoffgewinnung aus der Rinde unbrauchbar. So wurde sie im Laufe der Jahrhunderte verdrängt und durch die weit gewinnbringendere Eiche ersetzt. Die Einbringung von Eichen in die Wälder dürfte das Standardverfahren über Jahrhunderte gewesen sein.

So ist die Baumartenzusammensetzung in Rheinland-Pfalz nach intensivster Waldnutzung über Jahrhunderte oft weit von der natürlichen Waldgesellschaft entfernt. Besonders die Eiche hat ihren Verbreitungsbereich erheblich vergrößern können. Das hängt mit ihrer natürlichen Fähigkeit zur Bildung von Stockausschlag zusammen. Aus Luxemburg berichtet Forstdirektor i.R. Marcel Decker von regem Handel mit Eicheln als Saatgut zur Nachzucht der Eiche. Dieses Saatgut wurde in Frankreich gewonnen, in Pflanzgärten ausgebracht und die Eichen anschließend in den Wäldern ausgepflanzt. Dabei wurde die Stieleiche bevorzugt, da sie eine deutlich bessere Spiegelrinde entwickelte als die Traubeneiche und damit von höherem Wert war.

War die Sorgfalt bei der Bewirtschaftung nicht allzu groß, nutzte die Hainbuche ihre Chance und etablierte sich. War sie einmal da, konnte sie sich durch ihre hervorragende Fähigkeit zum Stockausschlag in den Wäldern durchsetzen und blieb eine starke Konkurrenz zur beliebteren Eiche.

Lohegewinnung gehörte dazu

Über Jahrhunderte waren die Ernte des trockenen Brennholzes und die Lieferung von starkem Bauholz aus dem Niederwald ausgesprochen wirtschaftlich. Die Nutzung von Eichenlohe zum Gerben von Leder erlebte mehrere Blütezeiten und brachte dem Waldbesitz besonders reiche Erträge. Jede kriegerische Auseinandersetzung verlangte gegerbtes Leder für Sättel, Stiefel und Zaumzeug. Heute ist das Gerben von Leder mit Eichenrinde sehr selten und elitär geworden. So erzeugt die Firma Rendenbach im Herzen der Stadt Trier noch Leder nach altem Verfahren. Dieses besitzt eine einzigartig hohe Qualität und wird für hochwertige Schuhe und für Lederprodukte zu medizinischen Zwecken verwendet.

Die wertvollen Gerbstoffe lieferte die Spiegelrinde. Sie wurde mit dem scharfen Lohlöffel vom harten Holzkörper abgeschält und meist am stehenden Stamm getrocknet. Dann wurde sie geerntet und häufig direkt im Wald mit der Lohwaage gewogen und an Händler verkauft. Da sie leicht war, konnte die Rinde gut transportiert werden. Forstdirektor Decker berichtet: „Wer um 1900 in Luxemburg mehr als 30 Hektar Eichenschälwald sein eigen nennen konnte, musste selbst nicht mehr im Wald arbeiten. Als Zeichen des Wohlstandes trugen diese Waldbesitzer Schuhe aus hellem Leder. Wer arbeiten musste, ölte das Leder, um es zu schützen und färbte es auf diese Weise dunkel.“

Brenn- und Bauholzlieferant

Übrig blieb nun der ausgetrocknete und mit 20 bis 30 Jahren noch recht dünne Stamm. Die Ernte dieser Brennholzstangen war auf diese Weise gut möglich. Die Waldnutzung sogar auf extrem steilen und felsigen Waldstandorten lässt den großen Rohstoffbedarf in früheren Zeiten erahnen.Die Produkte des Niederwaldes waren im Vergleich zum Hochwald leicht und ließen sich mit Manneskraft gut durchführen. Meist erfolgte die Holz­ernte am Hang von oben nach unten. Die wenigen vorhandenen Wege waren durch die metallbereiften Fuhrwerke tief ausgefahren und dann ausgewaschen und sind heute nicht mehr brauchbar.

Zur historischen Bewirtschaftung gehörte auch, gut veranlagte Eichen mit dicken Kronen auf der Fläche zu belassen und in starke Dimensionen wachsen zu lassen (Lassreitel). Das so produzierte Holz konnte, wenn es dick genug war, geerntet und zum Beispiel zum Bau der Fachwerkhäuser verwendet werden. Gleichzeitig versetzten diese Bäume die Waldbesitzer in die Lage, bei Bedarf Saatgut zur weiteren Vermehrung der Eichen zu ernten. Wurde das Saatgut nicht oder nur teilweise benötigt, war es willkommenes Futter für die Hausschweine und das Wild.

Das Interesse der Waldbewirtschafter fand ein fast schlagartiges Ende, als zwischen 1910 und 1940 die Steinkohle an Beliebtheit gewann und das Heizöl außerhalb der Kriege zu äußerst günstigen Preisen gehandelt wurde. Brennholz wurde seitdem als Nebenprodukt der Hochwaldbewirtschaftung vermarktet. Zudem wurde die Gewinnung der Lohe seit den 20er Jahren durch die synthetische Herstellung von Gerbstoffen unrentabel. In die Niederwaldhänge wollte und musste kaum ein Brennholzwerber mehr klettern. Der größte Teil der Niederwälder wurde bis heute vernachlässigt und nahm eine eigendynamische Entwicklung an. In vielen Wäldern wurde nach dem letzten Stockschlag keinerlei Pflege mehr durchgeführt.

Die in früheren Zeiten starkkronigen Eichen geraten heute bei unterlassener Pflege zunehmend unter Konkurrenzdruck durch ihre Nachbarbäume. Die ausladenden Kronenäste können so durch Lichtmangel zum Absterben gebracht werden. Dies wird besonders bedrohlich, wenn der bedrängende Konkurrent eine Schatten ertragende Buche oder Hainbuche ist.

Die Leistungsfähigkeit ehemaliger Niederwälder wird beim heutigen schlechten Pflegezustand häufig unterschätzt. Finden sich in den Wäldern aber ältere Lassreitel, so lassen sich die tatsächlichen Potenziale in Qualität und Quantität belegen. Von größter Bedeutung ist auch heute die Ausbildung und Erhaltung einer großen, gesunden Baumkrone als Motor für das Wachstum und die Gesundheit des Einzelbaumes. Dies gilt nicht nur für die Eichen in den aus Stockausschlag entstandenen Wäldern, sondern auch für alle anderen Baumarten wie Linden, Ahorn oder Elsbeeren.

Die eigendynamische Wuchsentwicklung führt in einigen aus Stockausschlag entstandenen Wäldern zu erheblichen Stabilitätsproblemen. Diese treten besonders dort auf, wo die Hainbuche oder die Buche waldbildend auftreten. Ihr Ringen nach Licht in Kombination mit ihrem Höhenwachstum lässt viele Bäume, die als Einzelbaum nicht stabilisiert wurden, in Schieflage geraten. Der Nassschnee und Wind Anfang April diesen Jahres haben daher deutliche Spuren in den Niederwäldern hinterlassen.

Wild bereitet zusätzliche Probleme

Die Walderneuerung aus frischem Stockausschlag oder aus Naturverjüngung ist heute ausgesprochen schwierig. Ehemalige Niederwälder erstrecken sich auch heute noch über schwer zugängliche große Bergrücken und Täler, vor allem in Rheinland-Pfalz. In Hessen wurden vor einigen Jahren die vorhandenen Niederwälder zum Schutz für das Haselhuhn als FFH-Gebiete ausgewiesen.

Leider mögen diesen Lebensraum auch Rot- und Muffelwild, aber besonders das Schwarzwild. Durch Wildeinfluss kann sich trotz Tonnen von Samen kaum eine Naturverjüngung einstellen. Auch der Erhalt dieser schützenswerten Arten, wie des Haselhuhns, erweist sich als schwieriges Unterfangen: Bei den vor zehn bis fünfzehn Jahren zu seinem Schutz angelegten Kahlschlägen in den Niederwald ließen die Bewirtschafter oft das abgeschnittene Holz auf der Kahlfläche liegen. Dort fand das Schwarzwild ideale Einstände.

So ist es nachvollziehbar, dass es das Haselhuhn als Bodenbrüter schwer hat, eine Überlebensmöglichkeit zu finden. Technische Maßnahmen zum Schutz der Pflanzen im Niederwald sind meist von Anfang an zum Scheitern verurteilt, da diese besonders teuer sind und Zäune kaum dicht gehalten werden können.

Strategien zur Weiterentwicklung

Die Niederwälder werden künftig weiter an Bedeutung gewinnen: Neben den genannten Nutzungen dienen sie auch dem Erosionsschutz in Steillagen und damit auch dem Schutz von Infrastruktureinrichtungen, wie Straßen und Eisenbahnlinien entlang der Flusstäler. Der Beitrag zur Artenvielfalt und zum Klimaschutz ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Unter Umständen sind die Zellinformationen in einzelnen Bäumen zudem so alt, dass sie Auskunft über einen erfolgreich überstandenen Klimawandel geben können.

Im Rahmen von laufenden Forschungsprojekten der Landesforsten Rheinland-Pfalz wurden rund um Koblenz 21 Testflächen abgezäunt, um ein ungestörtes Wachstum untersuchen zu können. Sie gelten als Vorbild für die heute stark propagierten Kurzumtriebs­plantagen zur energetischen Holznutzung.

An vielen Stellen wurden derweil ältere Bestände professionell durchforstet, um die Qualität der Wälder zu erhöhen: Einzelbäume mit guter bis sehr guter Holzqualität wurden dazu als Zukunftsbäume ausgewählt. Sie bleiben stehen und können ihre Kronen kräftig ausbauen. Die bedrängenden Nachbarn wurden versuchsweise im Raum Ahrweiler unter Einsatz moderner Harvester-Technologie entnommen und als Brennholz vermarktet. Als Weiteres steht die Mobilisierung des Kleinst-Privatwaldes auf der Agenda der Forstwirtschaft an Rhein, Mosel, Glan und Nahe. Wolfgang Kratz, Landesforsten RLP, Martin Frey, Fachjournalist