Praxis der Entschädigung bei Energieversorgungsleitungen

HLBS-Leitungsbausymposium in Kassel durchgeführt

Zum vierten Mal in Folge veranstaltete der Hauptverband der landwirtschaftlichen Buchstellen und Sachverständigen e.V. (HLBS) sein Seminar zum Leitungsbau, das in diesem Jahr in Kassel stattfand.

Dr. Wolfram, öbv Sachverständiger, Guxhagen.

Foto: Corinna Grebing

Dazu trafen sich 80 Sachverständige, Vertreter der Energieversorgung sowie Planungs- und Ingenieurbüros, um Aktuelles zum Thema Leitungsbau zu erfahren. Im Rahmen der Umsetzung der Energiewende wurden eine Vielzahl an Gesetzen und Gesetzesänderungen verabschiedet (wie NABEG, EnWG, EnLAG, EEG) auf deren Basis in den nächsten 20 Jahren 5 700 km an Energieversorgungsleitungen neu gebaut und erneuert werden sollen.

Die Auswirkungen des Baus von ober- und unterirdischen Leitungen sowie deren Baubegleitung durch öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige waren das zentrale Thema der Veranstaltung.

Dr. Volker Wolfram (öbv SV, Vorsitzender der HLBS-Fachgruppe Landwirtschaft Hessen) leitete das Seminar mit Teilnehmern aus ganz Deutschland. Er gab einen Ãœberblick über die Historie der Entschädigungspraxis bei Leitungsverlegung. Schon in den 1960er Jahren etablierte sich der Regelsatz von 20 Prozent vom Verkehrswert für die Dienstbarkeitsentschädigung, der bis heute Anwendung findet. Auswertungen aus den Rahmenvereinbarungen zwischen Berufstand und Energieversorgern ergeben eine Spannbreite zwischen 0,20 bis 1,50 Euro pro m2 Schutzstreifen für enteignungsfähige Stromleitungen. In jüngster Zeit werden individu­elle Vereinbarungen verhandelt, welche die Erhöhung des Prozentsatzes und steigende Verkehrswerte beinhalten. Entschädigungszahlungen für den Rohertragsausfall durch Ackerfolgeschäden fanden erst Mitte der 1970er Jahre mit 50 Prozent Anerkennung. Diese wurden etwa zehn Jahre später auf 100 bis 150 Prozent angehoben. Inzwischen liegen umfangreiche Auswertungen zu Ackerfolgeschäden vor, die belegen, dass bis zu 20 Prozent der Ackerfolgeschäden als Dauerschäden verbleiben. Dies müsse den Landwirten auch entsprechend entschädigt werden, forderte Dr. Wolfram.

Neujustierung der Entschädigungsgrundsätze

Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Krüger vom Deutschen Bauernverband, Berlin, zielte auf die Grundsatzposition „Neujustierung der Entschädigungsgrundsätze unter Einführung einer Wiederkehrenden Zahlung“ ab.

Er ging auf den Netzausbau anhand der Planungsstufen Bedarfsplanung, Bundefachplanung – mit sechs Verfahrensschritten – und Planfeststellungsverfahren ein. Die vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) TenneT, Elia (50Hertz), Commerz real (Amprion) und EnBW müssen dabei umfangreiche Unterlagen erarbeiten und diese nach verschiedenen Öffentlichkeits- und Be­hör­denbeteiligungen der Bun­desnetzagentur vorlegen, deren Zustimmung Voraussetzung für die Umsetzung der geplanten Projekte ist.

Dr. Wolfgang Krüger, Deutscher Bauernverband, Berlin.

Foto: Corinna Grebing

Da eine Beteiligung des Bauernverbandes und Interessenvertretung im frühen Stadium nahezu nicht gegeben sei, müssen agrarstrukturelle Belange in zukünftigen Gesetzesänderungen zum Energieleitungsbau unbedingt mehr Berücksichtigung finden, bekräftigt Dr. Krüger. Demnach ist zum Beispiel der Eingriff in das Landschaftsbild durch oberirdische Leitungen und Masten ausschließlich durch Ersatzgeld zu kompensieren. Dies solle vorrangig für Entsiegelungsmaßnahmen oder in bestehende Naturschutzprojekte investiert werden und nicht zum Kauf von landwirtschaftlichen Flächen, die dann für Naturschutzzwecke genutzt werden, verwendet werden.

Dr. Krüger kritisierte die derzeitige durch Landesrecht bestimmte Entschädigungspraxis bei Dienstbarkeiten, deren Wertzuspruch durch Rechtsprechung nach der Differenzmethode erfolgt und die sich ausschließlich am Bodenverkehrswert orientiert. Angemessen sei es, dem Grundstückseigentümer zukünftig bei der Bestellung von Dienstbarkeiten aufgrund einer Durchleitung oder Überspannung zusätzlich zur Dienstbarkeitsentschädigung von 20 Prozent des Verkehrswertes eine jährliche Nutzungsvergütung von 9 Prozent vom Verkehrswert des Dienstbarkeitsstreifens zu zahlen. Diese Entgelte würden zwar den Endstrompreis belasten, aber lediglich mit etwa 0,008 Cent/kWh im Jahre 2020 zu Buche schlagen. Er wies auf die neu­en Berechnungsansätze bei Eingriffen durch Hochspannungsmasten auf Basis des Gutachtens von Jenissen/Wollbrink aus dem Jahre 2010 hin. Sie liegen um das 2 bis 2,4-Fache höher als die vorgehenden veralteten Berechnungsgrundlagen und sollten bei der Ermittlung der Maststandortentschädigung regelmäßig angewendet werden.

Erdkabelabschnitt einer 380 kV-Leitung als Beispiel

Am Beispiel des Erdkabelabschnittes der 380 kV-Leitung im Raum Raesfeld, Kreis Borken, NRW, stellte Ludger Jungnitz, Projektleiter der Firma Amprion GmbH, das 3,4 km lange Pilotprojekt vor dem Hintergrund des Konzeptes „bodenschonende Bauweise“ vor. Auf einer Trassenbreite von 41,50 m (Schutzstreifen: 22,60 m) werden zwei Gräben bis zu einer Tiefe von 2,20 m und je 5,50 m Breite ausgehoben. Zwischen den Gräben verläuft eine 10 m breite Baustraße. In jedem Graben werden drei 14 cm dicke isolierte Kupferkabel in Schutzrohren verlegt. Die Einbettung erfolgt in Flüssigboden, der aus einer Mischung von 95 Prozent Unterboden sowie 5 Prozent Kalk, Sand und Ton besteht. Dieser bewirkt als thermisch stabilisierendes Bettungsmaterial eine etwa 15 bis 20 Grad Celcius niedrigere Erderwärmung als zum Beispiel bei einer Sandbettung.

Die Kabelverlegung bedeutet einen erheblichen Eingriff in den Boden. Um negative Auswirkungen auf die Bodenstruktur zu mindern, wurde eine bodenkund­lichen Baubegleitung installiert und Sachverständige beauftragt, ein Konzept zur bodenschonenden Bauweise zu erstellen und umzusetzen. Dies beinhaltet eine de­taillierte Zustandsbeschreibung des Bodens vor Baubeginn, die laufende Überwachung und Dokumentation der Bauarbeiten bis hin zur Rekultivierung sowie die Begutachtung der Böden nach Beendigung der Baumaßnahme.

Als Fazit könne man ziehen, dass Erdverkabelungen dieser Größenordnungen sehr stark von der Witterung abhängig und nur mit entsprechend großem technischem Aufwand möglich sei, so Jungnitz. Dadurch entstünden etwa 6–fach höhere Kosten im Vergleich zur Freileitung. Erdkabel seien daher nur für lokale Abschnitte geeignet. Positiv zu werten sei, dass das Landschaftsbild entlastet wird.

Grundstücksverhandlungen mit vielen Besonderheiten

Daniel Nillies, Firma Amprion GmbH, ergänzte die Ausführungen des Vorredners und ging auf die Grundstücksverhandlungen und Entschädigungszahlungen sowie auf die Rekultivierung der Flächen ein. Die Grundstücksver­handlungen betrafen neben dem Kabelabschnitt von 3,4 km Länge zwei Kabelübergabestationen von jeweils 0,4 ha, temporäre Arbeits- und Lagerflächen von 6,6 ha sowie Kabelgrabenfläche nebst Baustraßen von 7,7 ha. Der Eingriff betraf 28 Eigentümer und fünf Bewirtschafter. Er stellte die Rahmenregelung zwischen der Firma Amprion GmbH und dem Westfälisch-Lippischen Bauernverband (WLV) vor. Auf der Basis von 7,50 Euro/qm Verkehrswert wurden 60 Prozent Dienstbarkeitsentschädigung, mithin 4,50 Eu­ro/qm, auf dem Schutzstreifen zuzüglich 10 Prozent Entschädigung für den Arbeitsstreifen vereinbart. Eine einmalige Aufwandpauschale wurde mit 1 500 Euro angesetzt.

Ludger Jungnitz, Amprion GmbH aus Dortmund.

Foto: Corinna Grebing

Nach dem Bau des Erdkabelabschnittes in 2014 erfolgte die Rekultivierung im Sommer 2015. Mit der Freigabe der Flächen und Wiederaufnahme der Bewirtschaftung durch die Landwirte sei frühestens im Frühjahr 2016 zu rechnen, da ein Jahr Bodenruhe vereinbart wurde, erläuterte Nillies. Bereits mit Ende der Rekultivierung wurde ein Flächenmonitoring eingerichtet. In Feldversuchen wurden verschiedene Anbaufrüchte auf und außerhalb der Trasse angesät. Diese Bereiche wurden mit Hilfe von Temperatur- und Feuchtigkeitssensoren in verschiedenen Tiefen ausgestattet. Zukünftig könnten nach entsprechender Auswertung der Da­ten die Ergebnisse für derartige Bauprojekte genutzt werden.

Konzept zum Bodenschutz vorgestellt

Der für die 380 kV-Leitungstrasse beauftragte bodenkundliche Baubegleiter Andreas Grabe, Firma Geonovo, stellte ein Konzept zum Bodenschutz vor. Zunächst wurde der Ist-Zustand der von der Trasse betroffenen Flächen aufgenommen. In dieser Beweissicherung wurden Aussagen zum Boden, zu Drainagen, zu Gewässern und Wasserhaltung sowie betroffenen Schutzgebieten getroffen. Grabe stellte heraus, dass die Schulung des Personals auf der Baustelle vor Beginn der Maßnahme hinsichtlich Arbeitsschutz, Ordnung, Maschinenpflege, sowie Vorgaben zum bodenschonenden Verhalten sehr wichtig sei. Auch im Hinblick auf die Wasserhaltung in Gewässerbereichen und nach hohen Niederschlägen, Wintersicherung der Baustelle sowie die ordnungsgemäße Rückverfüllungs- und Rekultivierungsabläufe seien weitere Erläuterungen und verbindliche Vorgaben unerlässlich, um Spätschäden vorzubeugen.

Bei Nichtbefolgen dieser Vorgaben könne der Sachverständige dann ermahnen sowie Anordnungen aussprechen, so Grabe. Ein Baubegleiter hat auftragsgemäß die Arbeiten zur Baustraßeneinrichtung und Nutzung des Arbeitsstreifens zu kontrollieren. Er müsse beurteilen, ob der Grabenaushub, die Rohreinbettung mit Flüssigboden und die Rückverfüllung des Erdmaterials ordnungsgemäß erfolgen.

Dazu gehört auch das Mana­ge­ment der anfallenden Erdüber­schussmassen. Eine gewisse Erd­überhöhung im Grabenbereich könne dabei toleriert werden, so der Sachverständige. Über die Ergebnisse hat er seinem Auftraggeber – der Bezirksregierung Münster – laufend Bericht zu erstatten, mindestens wöchentlich. In seinem Abschlussbericht sind all die Flächen aufzunehmen, die Problemstellen (wie Verdichtungen, Vernässungen) aufweisen. Dazu seien weitere Maßnahmen zur Schadensminderung und Termine zu Abschlusskontrollen festzulegen, stellte Grabe heraus.

Andreas Grabe von der Firma Geo­novo OHG aus Leer.

Foto: Corinna Grebing

Aus Sicht eines betroffenen Landwirtes berichtete Bernd Nienhaus über das Projekt 380 kV-Erdverkabelung Raesfeld. Im Vorhinein herrschte viel Skepsis vor diesem massiven Eingriff in den Boden. Es erfolgten zwar Vorinformationen, wie Aufklärung über die geplanten Arbeitsabläufe, Teilnahme an Baubesprechungen, Vorstellung des Bodenschutzkonzeptes. Trotzdem konnten bestehende Vorbehalte nicht ausgeräumt werden.

Ein wichtiger Ansprechpartner für alle anstehenden Probleme sei bereits in dieser Phase der bodenkundliche Baubegleiter gewesen. Trockene Witterungsverhältnisse zu Baubeginn begünstigten die Umstände.

Im weiteren Verlauf fielen innerhalb von Mai bis November 2014 500 mm Niederschlag, so dass die Bauarbeiten im Sinne des Bo­den­schutzes anzupassen sowie zeitweise einzustellen waren. Im Zuge der Rekultivierung wurde der Kabelgraben in seiner ursprünglichen Schichtenfolge verfüllt und Bodenverdichtungen durch Tiefenlockerung aufgelöst. Eine große Hilfe sieht der Landwirt in der bodenkundlichen Baubegleitung, die beratend, vermittelnd und mit fachli­chem Know-how allen Be­­­teiligten zur Verfügung stand. Erstmalig wurde eine einjährige Bodenruhe „verordnet“, das heißt die rekultivierten Flächen wurden mit Tiefwurzlern oder Luzerne angesät und sollten sich natürlich setzen. „Die Landwirte werden so vor sich selbst geschützt“, schmunzelte Nienhaus, so würde ein zu frühes Befahren vermieden.

Drohnen für die Überfliegen von Flächen vorgestellt

Dr. Wolfram und Michael Bischoff stellten unbemannte Luftfahrtsysteme – sogenannte Octocopter oder Drohnen – für die Ãœberfliegung von Flächen vor. Damit können zum Beispiel Schadbilder auf landwirtschaftlichen Flächen und Ertragseinbußen schnell und mittels Kamera digital dokumentiert werden. Bei dem Einsatz für eine kommerzielle Nutzung ist eine allgemeine Aufstiegserlaubnis erforderlich. Die in der Regel auf zwei Jahre befristete Erlaubnis enthält zahlreiche Bestimmungen, die einzuhalten sind, so ist zum Beispiel der Betrieb einer Drohne nur in Sichtweite des Steuerers erlaubt, und es ist ein Flugbuch mit detaillierten Angaben über Einsatzort, -zeit und -dauer zu führen. Veranschaulicht wurde der Einsatz anhand einer spannenden Präsentation von umfangreichen Flug- und Schadbildern „indoor“, da das Wetter einen Außeneinsatz leider nicht zuließ. Dr. Wolfram und Bischoff kamen zu dem Fazit: Der Einsatz von Drohnen ist für Orientierungsfahrten sehr gut geeignet. Ertragseinbußen ab 15 Prozent sind deutlich sichtbar, zwischen 10 bis 15 Prozent nur mit geübtem Auge, Schäden unter 10 Prozent sind visuell nur schwer erkennbar. Daher ist eine exakte Schadensermittlung nur bedingt möglich. Besonders großflächige Flur- und Folgeschäden oder auch Wildschäden ließen sich mit solchen Geräten hervorragend analysieren, so Bischoff.

Eigenschaften hinsichtlich Bodenerwärmung analysiert

Dr. Steffen Trinks, tätig im Fachgebiet Standortkunde und Bodenschutz der TU Berlin referierte über den Einfluss erdverlegter Energiekabel auf den Wasser- und Wärmehaushalt des Bodens. Im Rahmen eines Forschungsprojektes wurde das sogenannte Cable-Earth-Verfahren entwickelt. Hierbei werden Versuchstrassen festgelegt und die thermischen Eigenschaften hinsichtlich Kabel- und Bodenerwärmung gemessen unter folgenden Aspekten: die Erwärmung eines Stromkabels muss durch Isolation begrenzt werden, der Wärmetransport ist abhängig von Wassergehalt, Porenraum- und -größen sowie der Bodentemperatur, die Wärmeleitfähigkeit ist abhängig von Bodenart und Wassergehalt.

Nach Durchführung verschiedener Messungen ergab sich beim Monitoring einer 110 kV-Kabeltrasse, dass die Verlustwärme der Kabel in Höhe von 10 bis 18 Watt pro Me­ter vom Boden so schnell abgepuffert wurden, dass im Oberboden keine Temperaturerhöhung festzustellen war. Im Belastungstest auf 80 cm Tiefe wurden 14 Tage 400 Ampere mit etwa 28 Grad Leitertemperatur sowie 26 Tage 650 Ampere Strombelastung mit etwa 70 Grad Leitertemperatur erzeugt. Im Ergebnis aller Untersuchungen wurde eine durchschnittliche Erhöhung der Bodentemperatur in 30 cm Abstand zum Kabel um 10 Grad Celsius festgestellt. Fazit Dr. Trinks: Der Einfluss einer Kabeltrasse kann mit bodenkundlichen Methoden quantifiziert und abgebildet werden. Die Wärmeemission von Erdkabeln kann zu einer deutlichen Temperaturerhöhung im Oberboden führen und ist stark abhängig von Bodenart, Verlegetiefe und Isolation der Kabel.

Dipl.-Ing. agr. Corinna Grebing, Regierungspräsidium Kassel  – LW 21/2015