Wie kann der Mensch künftig von 1 500 qm ernährt werden?

Landwirte müssen im Jahr 2050 deutlich mehr erzeugen

Deutschland ist trotz bester Standortvoraussetzungen für die Landwirtschaft, aber wegen permanent schrumpfender Agrarflächen, Nettoimporteur von Agrargütern. So benötigen wir diese für unseren eigenen, hohen Standard im Nahrungsmittelkon­sum und beanspruchen dank unserer Finanzkraft auch Ressour­cen in anderen Erdteilen. Aber nicht nur wir haben einen Mehrbedarf. Auch die Weltbevölkerung wächst rasant und will nicht länger Hunger erleiden.

Dr. Günther Lißmann sprach über die Aufgabe der Landwirte zur Ernährung der Menschheit.

Foto: RP

Das waren Kernaussagen, die Dr. Günther Lißmann, Dezernatsleiter Landwirtschaft im Regierungspräsidium Kassel, bei seinem Vortrag auf der Veranstal­tung des VDL-Berufsverbandes zur Landwirtschaftlichen Woche Nordhessen am vergangenen Mittwoch in Baunatal traf.

Wie können die circa 9,5 Mrd. Menschen im Jahr 2050 ernährt werden? Der Erhalt der Fläche als Basis der Ernährungssicherung liege nicht nur im Interesse der Landwirte, welche die Fläche als Produktionsfaktor zur Erwirtschaftung von Einkommen benötigten. Ein noch größeres Interesse am Schutz der Agrarflächen müsse der Verbraucher haben für eine gesicherte Nahrungsmittelproduktion. „Der Verbrauch der endlichen Ressourcen wächst noch schneller als die Weltbevölkerung“, so Dr. Lißmann. Die Endlichkeit unverzichtbarer Rohstoffe wie Erdöl, verschiedene Metalle und mineralische Dünger sind absehbar.

Für Bodenschätze wie Kupfer, Zinn, Zink, Eisenerz, Phosphor und Erdöl würden Rest­verfüg­barkeiten 40 bis 100 Jahre prognostiziert. Neben dem zwingenden nachhaltigen Umgang mit den endlichen Bodenschätzen insgesamt sowie dem Schutz von Luft und Wasser, gehöre auch der weltweite Erhalt der Agrarböden zu den ebenfalls unverzichtbaren Voraussetzungen für das Überleben einer weiter wachsenden Weltbevölkerung. Die folgenden Ausführungen erörtern die existentielle Bedeutung der landwirtschaftlichen Fläche (LF).

Ackerfläche/Kopf von 0,20 ha auf 0,15 ha binnen 35 Jahre

Die noch verfügbare Ackerfläche der Erde muss heute für eine Weltbevölkerung von 7,2 Mrd. Menschen ausreichen. Für das Jahr 2050 werden nach einer Studie der Vereinten Nationen 9,5 Mrd. Menschen erwartet. Trotz demographischem Wandels mit einem Bevölkerungsrückgang in vielen Staaten Euro­pas, ist das Wachstum der Weltbevölkerung besonders in Asien, Afrika und Latein Amerika ungebrochen. „Die Philosophie von Wohlstand auf Kosten der endlichen Ressourcen und der nachfolgenden Generationen ist nicht zukunftsfähig“, folgerte der Dezernatsleiter. Die dringlichste Aufgabe müsse sein, einen Ãœbergang zu schaffen, aus der jetzigen Dominanz der Ressourcenverschwendung, hin zu einer nachhaltigen und dauerhaft tragbaren Wirtschaftsweise. So leigt die verfügbare Ackerfläche (AF) heute weltweit nur noch bei 0,20 ha pro Person. Bei dem prognostizierten Bevölkerungswachstum bis 2050 werden pro Person nur noch 0,15 ha AF zur Verfügung stehen. Die Europäische Union (EU) mit 28 Mitgliedsstaaten verfügt über einen hohen Ackerflächenanteil und weltweit über die besten Agrarstandorte, aber auch hier entfallen auf jeden Einwohner nur 0,20 ha AF, mit fortgesetzt fallender Tendenz.

Ursache: Klimawandel und rücksichtsloser Wohlstand

„Neben dem Klimawandel frisst auch der Wohlstand das beste Agrarland, durch die massive Ausdehnung der Siedlungs-, Verkehrs- und Freizeitflächen“, so der Referent. Das treffe besonders für die Schwellenländer zu, aber bedauerlicherweise auch für wohlhabende Länder wie Deutschland und die USA.

In den Schwellenländern werde der Agrarflächenverbrauch mit dem Bevölkerungs- und dem benötigten Wirtschafts- sowie Einkommenswachstum begründet. „In Deutschland zieht diese Begründung für den massiven Flächenverbrauch aber nicht“, so Dr. Lißmann. Denn hier habe es in den vergangenen 20 Jahren weder ein Bevölkerungswachstum noch ein nennenswertes reales Einkommenswachstum gegeben. Dennoch seien in dieser Zeitspanne in Deutschland fast eine Mio. ha Fläche verloren­ gegangen und der Trend halte weiter an. Ein ausreichendes Problembewusstsein für die immer knapper werdenden Bodenressourcen sei weder in Deutschland noch weltweit vorhanden, um eine Trendwende einleiten zu können, stellte der Redner fest.

Wettlauf zwischen Pflug und Storch

Der englische Ökonom Thomas Robert Malthus habe bereits vor knapp 200 Jahren (1820) prognostiziert, dass der Wettlauf zwischen Storch und Pflug, wegen dem stetigen Bevölkerungswachstum und der begrenzten Agrarlandressourcen nicht zu gewinnen sei. Mit dem Wissensstand der damaligen Zeit war das eine realistische Annahme, sagte Dr. Lißmann. In der Zeit nach Malthus habe es aber epochale Erfindungen gegeben, wie die Düngelehre von Liebigs (1803 bis 1873) oder technische Entwicklungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts, die den Abbau von Kali und Phosphor sowie die Produktion von Stickstoff aus der Luft (Haber-Bosch-Verfahren) in großem Stil ermöglichten. Als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch die Entwicklung von Pflanzenschutzmitteln gegen Unkraut-, Pilz- und Insektenbefall dazu kamen, sei die „Schreckensversion von Malthus“ endgültig vergessen, denn das Pro­­duktionswachstum konnte mit dem Bevölkerungswachstum mithalten. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten sich Industrielän­der sogar mit Nah­rungsmittel­über­schüssen auseinanderzusetzen.

Um zwei Drittel höhere Erzeugung ist nötig

„Seit etwa zehn Jahren scheint diese Entwicklung zu kippen“, so Dr. Lißmann in Baunatal. Der Wegfall der Flächenstilllegung, Ernten, die in einigen Regionen der Welt den Nahrungsmittelbedarf nicht mehr decken, „Land Grabbing“ und ein steigender Trend bei den Weltmarktpreisen für Agrarprodukte, zeigen eine erneute Entwicklung hin zur Nahrungsmittelknappheit. Unter Berücksichtigung des Flächenbedarfs für den Anbau nachwachsender Rohstoffe, sind die Landreserven für eine der wachsenden Nachfrage entsprechenden Nahrungsmittelproduktion, weitgehend ausgeschöpft. Die Prognosen zum Bevölkerungswachstum und der vermehrten Nachfrage nach höherwertigen Nahrungsmitteln in den Schwellenländern einerseits sowie zum fortgesetzten Verlust landwirtschaftlicher Flächen andererseits, geben wenig Hoffnung auf eine Umkehr der sich abzeichnenden Trends hin zur Nahrungsmittelverknappung. Um das zukünftig weltweite Nachfragewachstum nach Lebensmitteln bedienen zu können, müsste die Lebensmittelproduktion bis zum Jahre 2050 um rund 70 Prozent gesteigert werden. Eine Trendwende der fortschreitenden LF-Verluste sei aber trotz aller „Good-Will“ Bekundungen derzeit nicht erkennbar.

Binnen 50 Jahre, 20 Prozent weniger Fläche in Hessen

Laut Dr. Lißmann hat sich die landwirtschaftliche Fläche in Deutschland in den vergangenen 50 Jahren um 15 Prozent verringert, in Hessen sogar um 20 Prozent. Die größten Agrarflächenverluste resultieren demnach aus Wohnungs-und Gewerbebau sowie den Bau von Infrastruk­tur­einrichtungen, wie Straßen, Flug­plätze und Energie­leitun­gen. Auch aus dem Bau von Wasser- und Freizeitflächen. Hinzu kommen Waldneuanlagen, die im Bedarfsfall für die Landwirtschaftliche aber wieder nutzbar wären, folgerte der Redner. Fazit seines Vortrags in Baunatal ist, dass die Landwirte in Deutschland seit 1950 rund 4 Mio. ha LF verloren haben. Im „kleinen“ Bundesland Hessen waren es laut dem Referenten des Regierungspräsidiums im selben Zeitraum rund 200 000 ha LF.

Die Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Flächen für Naturschutz und Kompensation würden in der Statistik weiter die Kennzeichnung LF behalten, das heißt sie würden als „landwirtschaftlichen Fläche“ erfasst, so Dr. Lißmann. Hinweis: Einen Folgevortrag zu dieser Thematik hält der Referent im Rahmen der Landwirtschaftlichen Woche Südhessen am kommenden Mon­tag, 25. Januar, um 16.45 Uhr in der Stadthalle in Gernsheim. Dabei geht es außerdem um die Ursachen der Zerstörung von Agrarflächen und die Möglichkeiten zur Umkehr des Flächenverbrauches.

LW – LW 3/2016