„Wir sind regional – wir sind Odenwald – wir sind Heimat“

Hüttenthaler Molkerei in der Region stark verankert

Es liest sich wie eine Erfolgsgeschichte: Von den 188 Molkereien hessenweit nach dem Krieg sind heute noch fünf vorhanden, da- runter das von Britta und Kurt Kohlhage geführte Familienunternehmen Molkerei Hüttenthal im Odenwald. Es ist gekennzeichnet von stabilen Beziehungen sowohl zu seinen Milchlieferanten in der Nachbarschaft als auch zu den Kunden im Odenwald und den Metropolregionen Rhein-Neckar und Rhein-Main. Dabei ist dem Unternehmer-Ehepaar nichts in den Schoß gefallen. Gemeinsam mit den heute 25 Mitarbeitern haben sie sich diese Position Schritt für Schritt durch die Jahrzehnte hindurch hart erarbeitet. Die Vorbereitung des Übergangs auf die nächste Generation ist bereits weit gediehen.

Die Familie Kohlhage (v.l.: Annalena, Britta und Kurt) auf der sogenannten Seebühne. Die Seebühne gehört neben der Ziegenweide, dem Teich für die Gänse, der Spielwiese mit großem Trampolin sowie den Picknicktischen zum Milchgarten im Außenbereich der Molkerei Hüttenthal, der zum Rasten und Verweilen und zum Vespern der regionalen Milcherzeugnisse aus dem Molkereilädchen einlädt.

Foto: Werkfotos (3), Dietz (1)

Die Zahl der Milchlieferanten der vor 120 Jahren gegründeten Molkerei, seit 1912 in Familienbesitz, hat sich dem Strukturwandel folgend seit den 1950er Jahren von 320 auf heute 15, davon zwei Ziegenhalter, verringert. Diese liefern täglich 14 000 Kilogramm Kuhmilch und 1 000 Kilogramm Ziegenmilch.

Kleinstruktur bei den Milcherzeugerbetrieben

Die Betriebe der Lieferanten sind eher klein strukturiert. Die Zahl der Kühe je Betrieb reicht von 13 bis hin zu 80. Im Schnitt liefert jeder Erzeuger lediglich 384 000 Kilogramm im Jahr.

Einkommen hat mehrere Standbeine

Die Tatsache, dass Bauernfamilien mit solch kleinen Kuhbeständen vom Einkommen her dennoch über die Runden kommen, liegt zum einen daran, dass die Molkerei Hüttenthal mit ihrer Produktpalette in der regionalen Nische einen hinreichenden Ertrag erwirtschaften kann, an dem sie ihre Lieferanten in Form von Zuschlägen für Weidegang, GVO-freie Fütterung und Verzicht auf Glyphosat teilhaben lässt. Zum anderen hatten die Odenwälder Milcherzeuger schon immer mehrere Standbeine der Einkommenserzielung, wie zum Beispiel die Erträge aus der Bewirtschaftung der für den Odenwald typischen Kleinprivatwäldern oder Urlaub auf dem Bauernhof.

Als erste Molkerei Weidepfennig installiert

Die Verbundenheit mit ihren Lieferanten findet sich auch auf der Homepage der Molkerei Hüttenthal, auf der diese mit Familienfotos präsentiert werden.

Die Molkerei Hüttenthal war bundesweit die erste, die bereits 1998 mit einem „Weidepfennig“ als Zuschlag gezielt die Weidehaltung der Kühe beförderte.

Zur Übernahme der Molkerei brachte das Ehepaar Kohlhage beste Voraussetzungen mit. Kurt absolvierte sein Grundstudium der Agrarwissenschaften von 1978 bis 1979 in Gießen, bevor er zum Hauptstudium der Milchwirtschaft mit dem Abschluss Diplomagraringenieur nach Weihenstephan wechselte. Seine Frau studierte als eine der ersten im Dualen Studium der Betriebswirtschaft in Mannheim.

Schritt für Schritt als Unternehmens-Philosophie

Das Ehepaar verfolgte über die letzten Jahrzehnte eine Politik der kleinen Schritte. Die regionalen Milch- und Käsespezialitäten werden handwerklich und mit hohem Personalaufwand gefertigt. Durch die regionale Herkunft des Rohstoffes und die traditionelle Herstellung konnte sich die Molkerei in der Nische gut behaupten.

Tante-Emma-Laden wurde attraktive Verkaufsstelle

Investitionen wurden kontinuierlich getätigt. Die erste größere Investition war der Neubau der Käserei 1992. Es folgten ein neues Kesselhaus, eine Eiswasseranlage, die Modernisierung der Reiferaumklimatisierung sowie die Anschaffung eines neuen Frischdienst-LKW und -Transporters.

Das Unternehmen Schritt für Schritt weiterzuentwickeln, ist zu einem Kennzeichen der Unternehmensphilosophie geworden. Im Vordergrund stand nicht die Mengenausweitung, sondern die Erhöhung der Wertschöpfung aus dem Rohstoff Milch. Hatte Kurts Mutter Ella noch nach dem Prinzip der Tante-Emma-Läden die Kunden im Blick, die sie mit Erzeugnissen aus einem Kühlschrank heraus bediente, baute Schwiegertochter Britta das Hoflädchen konsequent zu einer attraktiven Verkaufsstelle aus. Das Hoflädchen erzielt mittlerweile zwölf Prozent des Gesamtumsatzes.

Die direkte Kundenansprache ist dem Ehepaar wichtig. So präsentiert sich die Molkerei seit langem auf regionalen Veranstaltungen wie dem Frankfurter Erntedankfest, dem Odenwälder Bauernmarkt, Hessentagen in Südhessen sowie der Messe Land & Genuss in Frankfurt.

Noch heute ist Britta Kohlhage vielen Landfrauenvereinen dankbar, dass sie die Besichtigung der Molkerei in das Programm ihrer Tagesausflüge aufgenommen haben. Durch das persönliche Erleben der handwerklichen Arbeit in der überschaubaren Produktionsstätte sei die Botschaft der zu 100 Prozent in der Region verankerten Molkerei weit ins Land hinausgetragen worden.

Dichtes Verkaufsnetz mit Partnern aufgebaut

Heute gehören Hofläden, Direktvermarkter mit mobilen Verkaufsständen sowie Obstläden und Metzgereien zum Verkaufsnetz. Der Lebensmitteleinzelhandel wurde umgangen. Auf der Homepage der Molkerei Hüttenthal können sich Interessenten durch Eingabe der Postleitzahl ihres Wohnortes über die Standorte dieser Partner in ihrer Nähe informieren.

„Wir sind regional, wir sind Odenwald. Wir arbeiten nach handwerklicher Tradition für unverwechselbare Qualität, die man schmeckt!“, diese Aussage durchwirkt das Selbstverständnis der Molkereiinhaber voll und ganz. Dass sie damit bereits vor 30 Jahren den Megatrend der Regionalität, von der sich sehr viele Verbraucher heute angesprochen fühlen, vorweggenommen haben, konnten sie nicht ahnen, fühlen sich aber bestätigt.

Unverwechselbar und als einer von fünf in Deutschland wurde der Odenwälder Frühstückskäse, im Volksmund als Odenwälder Handkäse bis in die Pfalz bekannt, 1997 mit der EU-Bezeichnung g.U. (geschützte Ursprungsbezeichung) ausgezeichnet.

Hüttenthaler Rollenbutter umsatzstärkstes Produkt

Das umsatzstärkste Prämien-Produkt im Laden ist ebenfalls unverwechselbar: Die Hüttenthaler Rollenbutter. Dabei habe irgendwann ein Unternehmensberater empfohlen, die Butter aus dem Programm zu nehmen. Das Festhalten an altmodischen Produkten aus ökonomischen Zwängen heraus gereichte den Kohlhages zum Vorteil. Die Milcherfassung wurde im Oktober 2018 an einen Lohnunternehmer ausgelagert.

Auf Wunsch können sich die Kunden frische Milch und Joghurt in Flaschen zapfen lassen.

Foto: Werkfotos (3), Dietz (1)

Weichen für die Nachfolge bereits gestellt

Der Übergang in die nächste Generation gestaltet sich fließend. Tochter Annalena hat seit Oktober 2018 Prokura und arbeitet bereits in der Geschäftsleitung mit in dem Betrieb, der ihr von Kindesbeinen an vertraut ist. Sie hat ein Studium der BWL absolviert und nutzte sowohl die Bachelor- als auch die Masterarbeit dazu, gezielt Fragestellungen zur künftigen Weiterentwicklung des elterlichen Betriebes wissenschaftlich zu erörtern. Die Weiterentwicklung des Firmenlogos durch eine sanfte Abstrahierung und Bewahrung des erfolgreichen Erscheinungsbildes hat sie bereits umgesetzt. Es erscheint nach und nach auf den Verpackungen der einzelnen Erzeugnisse.

Die Corona-Krise traf auch die Kohlhages völlig unvermittelt. Der Besuch im Lädchen ging zurück, der Quark staute sich im Kühlraum. Tochter Annalena warb über Instagram und Facebook für 5-kg-Gebinde, die man auch einfrieren könne. Zudem stellte sie Rezepte und Bilder von selbstgebackenen Käsekuchen ins Internet. Und schon stauten sich die Kunden vorm Hoflädchen; für die Kohlhages ein Beweis dafür, dass ihre Molkerei in der Region und bei den Menschen fest verwurzelt ist. Ein junger Kunde habe jüngst für sie überraschend formuliert, die Molkerei sei für ihn Odenwald und Heimat.

Hauseigenen Lieferdienst auf die Beine gestellt

Zudem zauberten sie aus dem Nichts die „Hüttenthaler Landliesel“, einen hauseigenen Lieferdienst, der im Umkreis von 20 km Haushalte auf telefonische Bestellung hin mit dem Sortiment direkt versorgt, und damit an frühere Zeiten anknüpft. Im Aufbau befindet sich in Erbach ein Startup namens Odenwald-Box, das beginnend Anfang Juli Erzeugnisse mittels einer Kühlbox den Kunden an die Haustür liefern will.

Schon länger fest im Auge haben die Mitglieder der Geschäftsleitung einen Neubau des Hoflädchens, das aus allen Nähten platzt. Und sie arbeiten zielstrebig darauf hin. Aufgrund der guten Nachfrage würden sie sich freuen, wenn noch einige Ziegenmilchlieferanten aus der Region hinzukämen.

DZ – LW 23/2020