Ackerbauliche Maßnahmen treten wieder in den Mittelpunkt

FVL-Vortrag über Zukunft des Pflanzenschutzes

Zunehmende Resistenzen und gleichzeitig absehbar weniger zugelassene Pflanzenschutzmittel werden ein Umdenken beim Ackerbau erfordern, meint Dr. Dominik Dicke, Regierungspräsidium Gießen, Pflanzenschutzdienst Hessen, der beim Frankfurter Landwirtschaftlichen Verein (FLV) über die Zukunft des Pflanzenschutzes und wohin er sich entwickeln wird referierte.

Dr. Dominik Dicke, Pflanzenschutzdienst Hessen, sprach über den künftigen Pflanzenschutz.

Foto: Rü

Der chemische Pflanzenschutz habe wesentlich zu einer Spezialisierung der Betriebe mit wenigen Kulturen und zu einer effektiven Produktion beigetragen. 460 genehmigte Wirkstoffe gäbe es derzeit auf EU-Ebene un rund 280 zugelassene Wirkstoffe in deutschen Pflanzenschutzmitteln, bilanzierte Dr. Dicke. Es sei jedoch sehr wahrscheinlich, dass die Verfügbarkeit von Pflanzenschutzmitteln in Zukunft eher abnehmen und es für manche pflanzenbaulichen Probleme keine chemische Lösung mehr geben wird. Daher müssten ackerbauliche Maßnahmen wieder mehr in den Mittelpunkt treten.

Den rechtlichen Rahmen für die Zulassung erläutert

Der rechtliche Rahmen für die Zulassung neuer Wirkstoffe und Mittel sei sehr eng gesteckt. Bei dem zweistufigen Verfahren werde zunächst in mehreren Schritten die Zulassung eines neuen Wirkstoffes vorgenommen. Die Zulassung eines neuen Mittels erfolgt nur für eine der drei klimatisch unterschiedlichen Zonen der EU. Deutschland gehört zur Zone Mitte. Ebenso kompliziert ist die Zulassung eines neuen Mittels in Deutschland selbst, wobei einige Behörden ins Benehmen gesetzt werden, während das Umweltbundesamt zwingend Einvernehmen erklären muss.

Biodiversität ist neues Schutzziel

Bei der Zulassung von Wirkstoffen und Mitteln stehe generell die Risikominimierung für Mensch und Naturhaushalt im Vordergrund. So fordert die Rahmenrichtlinie 2009/128 EG als Hauptziel die Reduzierung der mit der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln verbundenen Risiken und Auswirkungen für die menschliche Gesundheit und die Umwelt. Als neues Schutzziel kommt die biologische Vielfalt – die Biodiversität – hinzu. Dazu sollen die Lebensgemeinschaften in der Agrarlandschaft besser geschützt und erhalten werden, wozu unter an­derem Rückzugsräume ohne eine Pflanzenschutz-Anwendung und Abstandsauflagen zu Gewässern und Saumbiotopen gefordert werden.

Getreidefungizide sind besonders betroffen

Eine weitere Hürde für die Zulassung von Pflanzenschutzmittel hat die Europäische Kommission 2016 geschaffen: Sie hat eine Liste von 77 zu ersetzenden Wirkstoffen, sogenannten Substitutionskandidaten, erstellt, die bei schon zugelassenen Mitteln durch risikoärmere Wirkstoffe zu ersetzen sind. Europäische Behörden arbeiten derzeit an den Kriterien für endokrine Disruptoren, hormonschädliche Stoffe, die ab 2017 im Rahmen der Zulassungsverfahren angewendet werden sollen. Dadurch könnten auch zahlreiche Pflanzenschutzmittel möglicherweise nicht wieder zugelassen werden. Dabei werde ein Stoff nach seinen innewohnenden Eigenschaften beurteilt und nicht nach dem tatsächlichen Risiko bei sachgemäßer Anwendung als Pflanzenschutzmittel. Dadurch wären neun der zehn wichtigsten Getreidefungizide betroffen, vor allem aus der Gruppe der Azole.

Als ein weiteres Problemfeld stellte der Referent die Situation des chemischen Pflanzenschutzes in der öffentlichen Wahrnehmung und Medienberichterstattung dar. Vor allem die Themen Glyphosat, Neonicotine und Bienengefährdung, Trinkwassergefährdung sowie Beeinträchtigung von Nachbarflächen und Wohnbebauung würden immer wieder in einem für den Pflanzenschutz negativ verzerrten Sinne behandelt und wiederholt. Dies erschwere die Anwendung vorhandener sowie die Zulassung neuer Wirkstoffe und Mittel.

Neue Studie zur Bienengefährdung läuft

Da der Zusammenhang zwischen der Anwendung von Neonicotinoiden und dem Rück­gang von Bienenpopulationen immer noch lediglich von Vermutungen geprägt ist, hat die EU-Kommission die europäische Verbraucherschutzbehörde EFSA beauftragt, eine neue entsprechende Bienenstudie zu erstellen.

Die Zunahme von Resistenzen und mutmaßliche Auswirkungen des Klimawandels stellte der Referent als weitere aktuelle Probleme dar, für die nach Lösungen gesucht werde. Erschwert werde ein wirksames Resistenzmanagement durch die Resistenzunterschiede, die es zu beachten gäbe. Bei qualitativer Resistenz, auch target site-Resistenz genannt, führt eine durch ein Gen gesteuerte Veränderung im Pilzstoffwechsel dazu, dass der Wirkstoff nicht mehr an der bisherigen Bindungsstelle (target site, Zielstelle) angreifen kann. Davon betroffen sind Strobilurine und Carboxamide. Quantitative Resistenz (shifting) ist die durch Veränderungen an mehreren Genen gesteuerte Fähigkeit des Pilzes, den Kontakt mit dem Wirkstoff zu überleben. Davon sind Azole betroffen, was daran nachweisbar ist, dass zum Erreichen eines gleichen Wirkungsgrades im Laufe der Jahre eine höhere Aufwandmenge erforderlich ist.

Der Klimawandel ist an den Schadorganismen erkennbar

Die Auswirkungen des Klimawandels sind an der Zunahme wärmeliebender Schadorganismen zu erkennen, beispielsweise Maiszünsler, Rostkrankheiten, Gänsefuß oder Melden, sowie an der Zunahme von Schaderregern, die normalerweise während kälterer Wintermonate dezimiert werden, beispielsweise Feldmäuse und Blattläuse. Als weitere Auswirkungen seien Veränderungen von Feuchtigkeit und Tockenheit auf die Verbreitung von Pilzkrankheiten und bestimmten Schadpflanzen belegbar. Vor allem Gemüsebau und Obstbau seien betroffen.

Vorteile und Nutzen sollten stärker vermittelt werden

Da die Verfügbarkeit wirksamer Pflanzenschutzmittel bei gleichzeitiger Zunahme gesellschaftlicher Anforderungen vermutlich abnehmen wird, müssten ackerbauliche Maßnahmen zwangsläufig mehr in den Fokus treten, so Dr. Dicke zusammenfassend. Dazu gehörten die Aufnahme zusätzlicher Kulturen in die Fruchtfolge ebenso wie die Ausrichtung der Saatzeiten auf die Vermeidung von Schädlingen, Unkräutern und Ungräsern sowie Maßnahmen der Bodenbearbeitung. Der gezielte chemische Pflanzenschutz muss unter Beachtung von Vorgaben des integrierten Pflanzenschutzes erfolgen. Bevölkerung und Politik sei zu vermitteln, dass auch mit noch so ausgefeilten ackerbaulichen Maßnahmen nicht alle Probleme zu lösen sind, der chemische Pflanzenschutz einen hohen Nutzen bringt und die damit verbundenen Risiken beherrscht werden können.

Jörg Rühlemann – LW 8/2017