Bauern und Bürger gegen Flächenverluste
Logistikhallen vernichten Ackerland bei Büdingen
„Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Äcker klaut“, schallte es letzten Donnerstag im interkommunalen Gewerbegebiet Limes in Hammersbach-Langenbergheim bei Büdingen. Der Regionalbauernverband Wetterau-Frankfurt demonstrierte zusammen mit der Bürgerinitiative „Schatzboden“ gegen die Ausweitung des Gewerbegebietes für den Bau weiterer Logistikhallen. Der Hessische Rundfunk war mit Moderatorin Marion Kuchenny live vor Ort.

Foto: Becker
Der Hessische und der Regionalbauernverband (RBV) Wetterau-Frankfurt weisen schon seit langem auf die immensen Flächenverluste gerade auch in der Rhein-Main-Region hin. Täglich gingen den Bauern über 30 000 m2 an Acker- und Grünland verloren. „Daher fordern wir hessischen Bäuerinnen und Bauern ein Schutzprogramm für Äcker, Wiesen und Wälder“, so die Vorsitzende des Regionalbauernverbandes, Andrea Rahn-Farr.
Diskussion live im hr-Radio
Den Hauptteil der Veranstaltung bildete eine Gesprächsrunde mit live-Schaltungen in das Programm des Hessischen Rundfunks, die von der bekannten Radio-Moderatorin Marion Kuchenny geleitet wurde. Unter der „Überschrift Beton statt Acker“ beschäftigte sich der Sender zwischen 13 und 14 Uhr im neu geschaffenen Format „hr1 - wir reden drüber“ mit der Problematik, dass entlang der Autobahnen in Hessen immer mehr Logistik-Zentren beste Ackerböden vernichten. Neben Andrea Rahn-Farr stellten sich der Pressesprecher der Bürgerinitiative, Kim Sen-Gupta, der Hammersbacher Bürgermeister Michael Göllner (SPD) und der Hauptgeschäftsführer der Industrie-und Handelskammer, Dr. Gunter Quidde, der Diskussion.
Kuchenny umriss einleitend das Problem sowie die Größenordnung des Projektes und stellte angesichts der Verluste an Ackerflächen, Lebensräumen und Landschaftsbild die Frage nach der Notwendigkeit eines solchen Eingriffs. Sen-Gupta warf an die Adresse der Befürworter die Frage auf, ob dieses Konzept die richtige Entwicklung am richtigen Platz beinhalte. Quidde betonte darauf, dass die Autobahnnähe und die Lage am Rande eines Ballungsraumes Hammersbach zu einem idealen Standort für die stark wachsende Logistikbranche mache.
Lebensgrundlage Boden wird zerstört
Rahn-Farr kritisierte, dass hier lebender Boden zur Nahrungsmittelerzeugung auf hunderte von Jahren vernichtet werde. „Als Landwirtin blutet mir das Herz, wenn ich sehe, wie unsere Lebensgrundlagen für solche relativ kurzfristigen Gewinne zerstört werden“, so die Bauernverbands-Vorsitzende. Und weiter: Hinsichtlich der Versorgung mit Lebensmitteln zähle heute sowohl national als auch weltweit jeder Hektar.
Bürgermeister Göllner war sich sicher: „Wir leben hier in keiner Idylle und der Ballungsraum Rhein-Main braucht solche Flächen an seinen Rändern.“ Als interkommunales Vorhaben dreier Gemeinden müsse man hier von einem Vorzeige-Projekt sprechen, das Steuereinnahmen für die Kommunen und Arbeitsplätze in die Region brächte. Wie Sen-Gupta im Vorgespräch diesbezüglich erwähnte, herrscht in der Region quasi Vollbeschäftigung. Ein Blick auf die aktuellen Arbeitsmarkt-Daten der Arbeitsagentur im Wetteraukreis bestätigt das.
Göllner berichtete weiter, dass der französische Kontraktlogistiker „ID Logistics“ derzeit Hauptmieter der den Gewerbepark entwickelnden Dietz AG aktuell Personal für den Standort in Hammersbach suche. Die gut vorbereitete Moderatorin setzte ihn dagegen in Kenntnis, dass auf Nachfrage ID Logistics dies so nicht habe bestätigen können. Außerdem merkte sie an, dass REWE in seinem unweit entstehenden Logistikzentrum stark auf Automatisierung setze und somit gerade in diesen Geschäftsfeldern künftig nicht mit hohen Mitarbeiterzahlen zu rechnen sei. Göllner fand diese Informationen „interessant“ und man einigte sich auf einen „Faktencheck“.
Politiker versteigen sich in Landwirte-Diffamierungen
Auf das Thema angesprochen, dass die Bauern ja wohl das Land nicht hätten verkaufen müssen, stellte Rahn-Farr klar: „Die meisten Bewirtschafter sind nicht die Eigentümer dieser Äcker, sondern nur Pächter. Wir als Bauernverband setzen uns aber für die aktiven Landewirte ein.“ Die Betriebsleiterin aus Büdingen-Rinderbügen warf der Politik vor, die beschlossenen Ziele beim Flächenverbrauch nicht einzuhalten – auch deshalb gingen Bauern und Bürger nun gemeinsam auf die Straße. Außerdem würden wichtige Funktionen dieser Flächen wie Grundwasserneubildung, Biodiversität, CO2-Festlegung und Landschaftsbild bei solchen Entscheidungen nicht ausreichend gewürdigt, so Rahn-Farr.
Darum geht´s
Im interkommunalen Gewerbegebiet „Limes“, direkt an der A45, steht die geplante Verdoppelung von aktuell 24 auf knapp 50 Hektar an. Die beteiligten Gemeinden Li-meshain, Hammersbach und Büdingen haben zur Realisierung einen Zweckverband gegründet, der diesen Ausbau konkret vorantreibt.
Eine knapp 40 000 Quadratmeter große Halle der Firma „ID Logistics“ ist in dem Gebiet bereits realisiert und wird bald in Betrieb gehen. Eine zweite Halle in gleicher Größenordnung befindet sich aktuell im Bau.
Auch die zusätzlichen Flächen sollen von der Bensheimer Dietz AG, einen Projektentwickler, bebaut und an Logistik-Unternehmen, aber auch kleinere Gewerbe-Betriebe vermarktet werden. Dazu ist die Umwandlung eines Vorranggebiets für die Landwirtschaft und eines Vorbehaltsgebietes für besondere Klimafunktionen des Regionalplans Südhessen 2010 notwendig.
Karsten BeckerDas rief den Büdinger Bürgermeister Erich Spamer (FWG) auf den Plan, der das Mikrofon übernahm und der Landwirtschaft vorwarf, Mais-Monokulturen für Biogas anzubauen, mit Natur nur wenig am Hut zu haben, und überhaupt gebe es auf den zur Diskussion stehen Flächen aufgrund der intensiven Bewirtschaftung ohnehin kein Niederwild mehr. Zusätzlich merkte der Hammersbacher Rathauschef an, er mache sich um die Biodiversität seiner Gemeinde keine Sorgen wegen Gewerbeflächen, sondern wegen der auf dem Großteil der Flächen wirtschaftenden Ackerbauern. Auch hier zeigte sich die Moderatorin gut vorbereitet und hielt dieser Pauschalkritik entgegen: „Ich habe mich vor der Sendung hier umgesehen und etliche Singvögel, einen Rotmilan und einen Feldhasen gesehen.“ So schlecht könne es also um die Natur vor Ort nicht bestellt sein.
„Man fühlt sich als Bürger nicht ernst genommen“
Den Vorwurf mangelnder Transparenz bei der Planung wollte Göllner nicht gelten lassen. Man habe alles fristgerecht veröffentlicht, und wer sich dafür interessiert habe, hätte das Verfahren über Jahre nachvollziehen können. An die Protestierenden richtete er die Frage, warum man erste jetzt reagiere. Sen-Gupta sagte hierzu: „Wir haben zu lange vertraut und uns nicht vorstellen können, dass unsere gewählten Gemeindevertretungen solche Pläne verfolgen würden.“ Jetzt gehe es noch darum, eine Erweiterung zu verhindern, damit sich diese Fehlentwicklung nicht weiter fortsetze.
Rahn-Farr bemerkte zur Transparenz, dass man seitens des Bauernverbandes alle Beteiligungsmöglichkeiten wahrgenommen habe und betonte: „Hier ist im Flächennutzungsplan und Regionalplan Landwirtschaft vorgesehen. Das Vorhaben beinhaltet eine erhebliche Zielabweichung zugunsten des Gewerbes ohne dem entgegenstehende Belange ausreichend zu berücksichtigen. Man fühlt sich als Bürger einfach nicht ernstgenommen.“ Auf Kuchennys abschließende Frage, ob denn ein Kompromiss denkbar wäre, antwortete Göllner: „Das müssen jetzt die Parlamente und die Regionalversammlung entscheiden.“
Karsten Becker – LW 16/2019