Erfolgreiche Schafzucht und Schafhaltung mitten in Hessen
100 Jahre Schäferverein Marburg-Kirchhain-Biedenkopf
Dieses Jahr wird der Kreisschäferverein Marburg-Kirchhain Biedenkopf 100 Jahre alt. Das Jubiläum wird am Samstag, dem 26. August, im Zuge des Landesleistungshüten in Kichhain-Stausebach gefeiert. Norbert Fett vom Fachbereich Ländlicher Raum beim Landkreis Marburg-Biedenkopf und Geschäftsführer des Kreisschäfervereins, hat dem LW die zentralen Entwicklungen des Vereins erläutert.

Foto: Carmen Damm
Landwirtschaftskammer förderte die Schafhaltung
Schäfervereine unterstützen Schafhalter bei Fragen rund um Schafzucht und Schafhaltung. Große Veranstaltungen, wie die Leistungshüten, geben Einblicke in die Arbeit des Schäfers. Obwohl die Schafhaltung in Hessen zahlenmäßig einen breiten Raum einnahm, waren die Schafhalter vor rund 100 Jahren noch nicht organisiert. 1917 schrieb die damalige Landwirtschaftskammer des Regierungsbezirks Kassel an alle Landräte des Kammerbezirkes über neue Maßnahmen zur Förderung der Schafhaltung. Die Anregungen der Landwirtschaftskammer auf Gründung von Schafzuchtvereinen, Anschaffung guter Zuchtböcke und Neueinrichtung von Schäfereien in großem Umfang wurde entsprochen. So wurden auch im früheren Kreis Marburg und Kirchhain Schafzuchtvereine auf Kreisebene und örtliche Schäfe-reien gebildet. Die wichtigsten Maßnahmen des Kreises Marburg zur Förderung der Schafzucht waren die Gründung eines Kreisschafzuchtvereins mit nachfolgender Bildung von Ortsgruppen und Gewährung von zwei Beihilfen zu den Einrichtungskosten des genannten Vereins in Höhe von insgesamt 250 Mark. Der Kreisschafzuchtverein ist im Sommer 1917 unter Mitwirkung des Kreises auf Anregung des Landwirtschaftslehrers Müller in Marburg gegründet worden. Zur damaligen Zeit waren dem Kreisschafzuchtverein 25 Schäfereien als Ortsgruppen angeschlossen.
Zuchtrichtung an regionale Verhältnisse orientiert
Schwierig war es, im Kreisgebiet mit seinen verschiedenen Bodenverhältnissen die geeignete Zuchtrichtung zu finden, zumal in Hessen und sowie in den angrenzenden Regionen eine größere Anzahl von Rassen bereits gehalten wurde, wie Frankenschafe, Württemberger Bastardschafe, englische Down (Hampshire und andere) sowie die Kreuzungen zwischen englischen und deutschen Landschafen. Alle hatten sowohl Vorzüge, als auch Mängeln für die Verhältnisse im Marburger Raum.
Die in besseren Verhältnissen gehaltenen englischen Schafrassen hatten infolge ihrer ausgegli-cheÂnen Körperform und eines ansehnlichen Gewichtes, welches sie auf besseren Weiden zweifellos erreichten, Vorteile auch für die Schafhalter, denen nur magere Weiden zur Verfügung standen und nur eine karge Winterfütterung möglich war.
Lassen sich solche Schafhalter von interessierten oder unberufenen Leuten zur Anschaffung von englischen Böcken oder Kreuzungsböcken mit zweifelhafter Vererbungstreue verleiten, so vergrößern sie das Rassenspektrum und vernichten alle auf Einheitlichkeit der Zuchtrichtung hinzielenden Bestrebungen. Wenn man in der Geschichte der Schafhaltung zurückblättert, so findet man, dass auch von der Schafhaltung die Vorfahren der „Gnädigsten Herrschaft“ Abgaben entrichten mussten. In den im Staatsarchiv Marburg niedergelegten Akten des Kreises Marburg liest man, dass in jeder Gemeinde mindestens zwei bis drei Schafherden Bestand haben sollen mit je 150 bis 200 Schafen. Die Landwirte brauchten unbedingt den Pferch als Düngung.
Rohstoff für Wollwebereien in Oberhessen
Die Wolle spielte bis in die jüngste Zeit eine große Rolle. Noch in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges war Wolle ein gutes Tauschobjekt. Im 18. Jahrhundert war Oberhessen das „Wolland“, und im 18. Jahrhundert in der Zeit des „Goldenen Vlieses“, als in Hessen viele WollÂwebereien entstanden, war die Wollerzeugung eine wichtige landwirtschaftliche Einnahmequelle. Der Tuchhandel hatte für den nordhessischen Raum in Homberg seinen wichtigsten Platz. Am heutigen Rathaus ist die „Homberger Elle“ zu sehen, an der jeder Käufer seine Ware nachmessen konnte. In Kurhessen wurden in der Mitte des 19. Jahrhunderts etwa 1,5 Mio. und 1934 nur noch 62 000 Tiere.
Die beginnende Bestandsvermehrung führte 1950 zur Zählung von 122 000 Tieren. Mit der industriellen Entwicklung nach dem Krieg schwand der kurhessische Bestand auf rund 50 000 Tiere im Jahr 1965. Seitdem nahmen die Bestände wieder zu. 1979 gab es in Hessen 122 000 Schafe. Die Entwicklung ist auch für den Raum Marburg-Kirchhain bezeichnend. Zur Zeit der Gründung der beiden Schäfervereine in den damaligen Kreisen Marburg und Kirchhain im Jahr 1917 kam noch mehr als die Hälfte des Erlöses aus der Schafproduktion von der Wolle.
In der Vermarktung von Lammfleisch innovativ
Mit Gründung des Kurhessischen Schafzuchtverbandes 1923 begann die Selektion auf ausgeglichene, dichte und weiße Wollen. Gleichzeitig setzte auch mit der Verwendung von Fleischschafböcken die Zuchtauslese auf Fleischleistung ein. Die Leistungen der Schwarzkopfherden im Raum Marburg sind auf Fruchtbarkeitsleistungen von 120 bis 150 Prozent angehoben werden. Das Körpergewicht konnte um etwa 10 kg bei ausgeÂwachsenen Mutterschafen auf 70 kg erhöht und auch die Wollqualität, speziell die Farbe und Ausgeglichenheit, konnten wesentlich verbessert werden. Die Marburger Schäfer sind auch in der Vermarktung von Lammfleisch innovativ. Bereits im Jahr 1951 wurde in Cölbe die „Hammelverwertungsgenossenschaft“ auf Initiative des Zuchtleiters Dr. Karl Linnenkohl, die zur besseren Vermarktung der Mastlämmer helfen sollte, gegründet.
Die Entwicklung wurde von beiden „Jubilaren“ bestimmt: den früheren Kreisvereinigungen für Kirchhain und für Marburg. In beiden Vereinen waren die ersten Vorsitzenden die jeweiligen Landräte. Später wurde der Vorsitz an Schafhalter oder Schäfermeister übertragen.
LW – LW 32/2017