„Starkes Herdenwachstum, hohe Investitionen“

Hessischer Milchsektor in Bewegung / Tagung in Wächtersbach

„Wir hessischen Bauern und Milcherzeuger sind Unternehmer am Markt“, daran gebe es für ihn überhaupt keinen Zweifel, sagte Friedhelm Schneider, Präsident des Hessischen Bauernverbandes und Vorsitzender der Landesvereinigung Milch, auf der Tagung „Milchproduktion in Hessen – ein ganzer Sektor in Bewegung“ in Wächtersbach.

Friedhelm Schneider, HBV-Präsident und Vorsitzender der Landesvereinigung Milch, eröffnete das Milch-Forum.

Dieser Markt werde aber zurzeit „gleich von mehreren Seiten kräftig durchgeschüttelt.“ Schneider nannte die „kontraproduktive“ Erhöhung der Milch­quote durch die EU-Kommission, obwohl die bestehende Quote gar nicht ausgenutzt werde. Zudem treffe die Finanzkrise den Milchmarkt, und „die Discounter nutzen die Gunst der Stunde“ mit bereits dreimaliger Senkung der Verbraucherpreise in diesem Jahr. Und schließlich sehe er „eine unheimliche und merkwürdige Konzentration“ von Einzelhandelsgeschäften im Wettlauf um das billigste Angebot - auf Kosten von Bauern und Mittelstand. Für die Milchwirtschaft bedeutet das, so Schneider: „Wir haben nur eine Chance in einer konsequenten Marktorientierung.“

Wo geht die Entwicklung der Betriebe hin?

„Wohin wird die Reise gehen?“, fragte Johannes Holzner, Landwirt aus Langenbach in Ba­yern und Dozent an der Fachhochschule Weihenstephan. Hätte man im Jahr 1990 (damals gab es in Deutschland 280 000 Milchbauern) gefragt, wie viele Betriebe 2008 davon noch bestehen würden - wer hätte schon glauben wollen, dass es nur 100 000 sein werden. Man dürfe auch jetzt nicht die Augen vor der kommenden Entwicklung verschließen, denn wenn man diese Abbauraten weiterführt, dann werde sich die Zahl bis 2015 noch einmal fast halbieren. In Bayern etwa gebe es noch 45 000 Milchviehbetriebe: „Da bräuchte man viele Investitionsprogramme, um sie alle am Leben zu halten.“

Wo ist das Wachstum des weltweiten Milchmarktes? „Nicht in Europa“, so Holzner, sondern in China, Indien, Brasilien, auch Argentinien und die Ukraine würden in der Milchproduktion immer stärker. Auch mit Russland, zurzeit noch größter Importeur von Milchprodukten, werde man in Zukunft als Produzent rechnen müssen: „Die bauen Anlagen auf, da sind Sie beeindruckt, das sieht aus wie in den USA.“

Position der deutschen Bauern im Vergleich zum Weltmarkt

Die Position Deutschlands im Weltmarkt unterscheidet sich aber von anderen Produzenten. Während global Butter und Milchpulver die Haupthandelsprodukte sind, gelte für Deutschland: „Käse ist der Wachstumsmotor.“ Dessen Handel würde zwar teilweise durch Zollkontingente eingeschränkt, Holzner glaubt aber, dass solche Begrenzungen angesichts stark wachsender Nachfrage in Schwellenländern höchstens noch drei bis vier Jahre Bestand haben könnten.

Das Auslaufen der Milchquote 2015 wird die Landwirte auch in neue Verhandlungspositionen gegenüber den Molkereien bringen. „Dann werden wir uns überlegen müssen, welche Verträge wird machen“, so Holzner. Diese Ãœberlegungen dürften nicht beim Milchpreis stehen bleiben, sondern man müsse auch fragen: „In welchem Sektor arbeitet die Molkerei, arbeitet sie in Frischmilch oder arbeitet sie in Käse?“ Wie langfristig bindet man sich an den Abnehmer, welche Mengen werden festgelegt? Gerade lasse er in Weihenstephan zwei Diplomarbeiten anfertigen zu den Themen: „Wie könnte ein Kontrakt tatsächlich aussehen, was haben die Molkereien in der Schublade?“ Im August werde er mehr dazu sagen können.

Jetzt müssen die Weichen für die Zeit nach 2015 gestellt werden

Holzner, der bei Freising einen Ackerbau- und Milchviehbetrieb mit 80 Kühen bewirtschaftet, ließ keinen Zweifel daran: Er werde auch 2015 noch dabei sein, die Weichen aber müssten jetzt gestellt werden, was im Grunde auf die eine Frage hinauslaufe: „Baue ich einen Stall oder baue ich keinen?“ Holzner ging beispielhaft eine Kalkulation durch und rechnete für den Ausbau eines Betriebes von 75 auf 100 Kühe mit Grenzkosten von 37 bis 45 Cent pro Kg Milch, dem gegenüber stehen Leistungen von nur 35 Cent. Also: „Wenn Sie die Zahlen sehen, machen Sie es nicht,“ sprach aber sofort weiter: „Ich habe es trotzdem gemacht.“ Holzner verwies auf gerade jetzt gute Investitionsbedingungen. Die Banken böten bessere Konditionen als noch vor zwei oder drei Jahren, und Stallbaufirmen, die früher abgewunken hätten, seien auf einmal sehr interessiert. Fazit für Holzner: „Wenn ich mich auskenne, dann mache ich es jetzt.“ Und im Ãœbrigen: „Wenn ich Milchproduzent bin, dann fange ich doch nicht auf einmal Schweine an.“

Betriebliche Situation in Hessen unter der Lupe genommen

Wie sieht die Situation in Hessen aus? Anne Mawick vom LLH präsentierte dazu aktuelle Zahlen und Berechnungen. Heute gibt es 154.000 Kühe in Hessen auf 4500 Milchviehbetrieben. Seit Bestehen der „Westbörse“ (2. Juli 2007) ging die Milchquote in Hessen um 35 Mio. Kg zurück, das ist ein Minus von 3,5 Prozent und der höchste Milchquotenverlust aller Bundesländer. Abgeflossen ist die Milch regional sehr unterschiedlich, am stärksten in den Landkreisen Wetterau und Kassel. Anne Mawick schließt daraus: „Es findet eine immer stärkere Spezialisierung statt und wo es eine andere Schwerpunktbildung gibt, gehen die Milchkühe raus.“ Vier Prozent der Milchviehbetriebe in Hessen halten mehr als 100 Kühe, die Wachstumsschwelle wird bei der Hälfte davon gesehen: „Betriebe, die heute weniger als 50 Kühe halten, werden ausscheiden,“ so Mawick.

Große Spannweite zwischen den Betrieben

Anne Mawick vom Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen erläuterte Betriebsanalysen zur Landwirtschaft in Hessen.

In den vier Prozent der Betriebe mit mehr als 100 Tieren stehen insgesamt 16 Prozent aller Milchkühe in Hessen, deren Produktionsanteil ist aber noch höher anzunehmen, denn die Betriebe über 100 haben eine höhere Herdenleistung als der Durchschnitt. Auch beim Gewinn „haben wir eine enor­me Spannbreite“, sagt Mawick, sie liegt (in den Milchviehbetrieben über 50 Kühe) zwischen 18 000 und 110 000 Euro, was bedeutet: „Die erfolgreichen und die weniger erfolgreichen wachsen immer mehr auseinander“. Schreibt man die bundesweite Entwicklung der Bestände auch für Hessen fort, dann dürfte die Zahl von 4500 Milchviehbetrieben bis zum Jahr 2015 auf nur noch 2500 sinken. „In diese Richtung wird es gehen“, sagt Mawick.

Markus Lutter vom Johann Heinrich von Thünen-Institut, vTI, (vormals FAL) präsentierte anschließend die Ergebnisse des „agri-benchmark-snapshot“, eine Auswertung von Betriebsanalysen der European Dairy Farmers. Der agri-benchmark vergleicht ausgesuchte Milchregionen in Europa, in Deutschland gehörten drei „Cluster“ dazu: Schleswig-Holstein, Allgäu und Hessen. Zur Interpretation sagte Lutter: „Die Zahlen des Benchmark sind nicht reprä­sentativ“, aber sie zeigen Potenziale auf im Vergleich mit anderen europäischen Regionen. Und dies sind die Ergebnisse für Hessen: Bis zum Jahr 2013 wollen die befragten Betriebe ihre Herdengröße von aktuell 178 Kühen um weitere 101 Kühe aufstocken, das entspricht einer Steigerung von 57 Prozent. Diese Wachstumsdynamik gehört zu den stärksten in ganz Europa, weit vor anderen Clustern der Untersuchung wie der Bretagne, der Po-Ebene oder Südengland, und fast gleichauf mit den europäischen Spitzenreitern Süd-Schweden und Schleswig-Holstein.

Verwendung des Gewinns in „guten Jahren“

Bei der Untersuchungsgröße „Verwendung des Gewinns in guten Jahren“ zeigt sich: Hessische Betriebe in einer Größe über 50 Kühen „investieren lieber in den Betrieb als das Geld anzusparen“, sie sähen die eigene Milchproduktion sozusagen als „die bessere Bank“ an. Der Aufbau neuer Betriebszweige dagegen ist für diese Betriebe „keine Option“. Und so fasst der Benchmark der European Dairy Farmers die Hauptstrategie der Milchwirtschaft in Hessen bis 2013 zusammen: „Starkes Herdenwachstum, hohe Investitionen“.

„Kein Zuwachs an Kühen, ohne Zuwachs an Land“

Als Investitionshemmnis gilt in Hessen – neben einem fallenden Milchpreis – vor allem die befürchtete Steigerung der Pachtpreise. „Kein Zuwachs an Kühen ohne Zuwachs an Land“, sagt Werner Lüpping von der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein. Doch der Pachtpreis ist nicht die einzige Größe, mindestens ebenso wichtig ist das Management der Futterflächen: „Entscheidend ist das produktionstechnische Know-how auf Ihrem Betrieb“. Lüpping rechnet vor: Bei einem niedrigen Ertrag von 80 Dezitonnen Trockenmasse pro Hektar im Jahr müsse man für jede zusätzliche Kuh 0,56 Hektar einplanen. Bei einem Ertrag von 140 dt sinkt dieser Bedarf auf 0,3 Hektar pro Kuh.

Futterwirtschaft erfolgreich managen

Werner Lüpping von der Landwirtschafts­kammer Schleswig-Holstein.

Eine optimale Futterwirtschaft kann demnach den Flächenbedarf (und die Pachtkosten) fast halbieren und „für viele Milchviehbetriebe lohnt es sich auch, wenn die Pachtpreise steigen“. 100 Euro Pacht, die man für einen Hektar zahlt, erhöhen die Futterkosten um 0,6 bis 1,2 Cent pro Kilogramm Trockensubstanz - eine weite Spannbreite. Wie viel es tatsächlich ist, hängt am einzelnen Betrieb, an seiner Organisation und Produktionstechnik und an der gewonnenen Futterqualität. Es sei deshalb unmöglich, einen allgemeingültigen Wert anzugeben, wie viel ein Hektar Futterfläche beim Ausbau der Milchwirtschaft höchstens kosten darf. Doch eine optimale Futterwirtschaft löst das Problem nicht alleine, denn: „Sie brauchen die Flächen nicht nur für die Ver- sondern auch für die Entsorgung.“ Die Düngeverordnung zieht eine Grenze von 170 Kilogramm Stickstoff pro Hektar. Diese Grenze entspricht 1,7 Kühen, und sie „greift stärker als die Futterbaugrenze,“ sagt Lüpping. Wie gut man den Rahmen ausnutzt, hängt wiederum an der Leistung des einzelnen Betriebes. Nicht die Zahl der Kühe ist entscheidend, sondern die Milch pro Hektar. Kühe mit hoher Leistung nutzen die Grenzen der Düngeverordnung mithin besser aus. Insgesamt meint Lüpping: „Sie brauchen fünf bis sechs Hektar weniger, wenn Sie Ihre Produktionstechnik im Griff haben.“

„Bauland rückt den Betrieben auf die Pelle“

Das Problem, dass Land zum begrenzenden Faktor wird, ist damit nicht aus der Welt, denn die Landwirtschaft könne nie mit Bauland konkurrieren, und Lüpping warnte: „Das rückt Ihnen auf die Pelle.“ Wachstumswillige Betriebe dürften die Frage des Landes deshalb keinesfalls abwartend auf sich zukommen lassen, sondern müssten es weit vorausschauend angehen. „Sichern Sie sich strategisch Flächen in Ihrer Umgebung“, rät der Experte der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein. Auch kurzfristige Angebote solle man wahrnehmen, selbst wenn das Land erst für den geplanten Betriebsausbau in drei oder vier Jahren gebraucht werde. Die Aufgaben des Hessischen Bauernverban­des in diesem „Milchsektor in Bewegung“ sieht Verbandspräsident Friedhelm Schneider so: „Wir wollen den wachstumswilligen Betrieb schützen und bei seinem Wachstum begleiten - ohne die anderen Betriebe zu vernachlässigen.“ Schlag