Niederländische Bauern wütend und verzweifelt

Heftige Protest gegen Stickstoffpolitik der Regierung

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Bei einer Demonstration niederländischer Bauern gegen die Stickstoffpolitik der Regierung in Den Haag hat die Polizei am Dienstagabend (5. Juli) auch von ihren Waffen Gebrauch gemacht. Wie niederländische Medien berichten, versuchten Demonstranten nach Polizeiangaben auf der Autobahnausfahrt A32 bei Heerenveen in Friesland mit einem Schlepper in Polizeibeamte und Dienstfahrzeuge zu fahren. Die Beamten hätten zunächst Warnschüsse abgegeben und dann gezielt geschossen. Verletzt worden sei jedoch niemand. Drei Personen seien verhaftet worden, darunter der Fahrer des beschossenen Treckers. Es soll sich um einen 16 Jahre alten Jungen handeln. Nun ermittle die Kriminalpolizei in dem Fall.

Bilder von dem Vorfall kursieren in den sozialen Medien. In einem der Videos sind Beamte zu sehen, die mit gezogenen Waffen auf der Straße stehen, als ein Traktor an einer Polizeisperre vorbeifährt. Dann sind Schüsse zu hören. In dem Clip ist nicht zu sehen, dass der Traktor auf die Beamte zufährt. Außerdem veröffentlichte die Bauernprotestbewegung Agractie ein Foto von einem Schlepper mit einem Einschussloch an einer Fahrerkabinenstrebe.

Der Vorfall war die jüngste Eskalation der Bauernproteste, die seit zwei Wochen zunehmen. Die Landwirte laufen Sturm gegen den Plan der Regierung, die Stickstoffemissionen bis 2030 zu halbieren. Darauf haben sich die vier Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag geeinigt. Sie reagieren damit auf den Druck eines höchstrichterlichen Urteils von Ende 2019.

Die Bauernverbände haben schon mehrfach gegen das Vorhaben protestiert. Nun aber ist die Wut besonders groß, weil die Regierung ihren Plan konkretisiert hat. Wie Landwirtschaftsminister Henk Staghouwer und seine für Natur und Stickstoff zuständige Kabinettskollegin Christianne van der Wal (LW Nr. 25) in einem Schreiben vom 10. Juni erläuterten, sollen für das ganze Land regional unterschiedliche Stickstoff-Leitziele und Verringerungsvorgaben festgelegt werden, die in Abhängigkeit von den örtlichen Gegebenheiten zwischen 12 und 70 Prozent liegen. Besonders betroffen sind agrarisch geprägte Re¬gionen im Binnenland, insbesondere Natura-2000-Schutzgebiete. In diesen Ge¬bieten wird künftig Viehhaltung kaum mehr möglich sein, in vielen weiteren Bereichen sollen die Emissionen um die Hälfte sinken. Betriebe, die schließen müssen, sollen entschädigt werden; dafür stehen Milliardenbeträge zur Verfügung. Die zwölf Provinzregierungen haben ein Jahr lang Zeit, um der Regierung in Den Haag darzulegen, wie sie die Vorgaben erreichen wollen.

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Der niederländische Bauernverband (LTO) bezeichnete die Vorschläge der Regierung als „Kahlschlag“ und ein „Diktat von oben“. Landwirtschafts-, Natur- und Unternehmerverbände hätten bereits Vorschläge unterbreitet, um die Stickstoffbelastung in gebietsspezifischen Ansätzen durch eine Kombination aus Innovation, Umsiedlung und Verzicht zu verringern.

Die Proteste waren zunächst weitgehend friedlich gestartet, arteten dann aber zuletzt in Gülleattacken und Blockaden aus. Der LTO erklärte, dass solche Aktionen „inakzeptabel“ seien. Gleichwohl stellte der Bauernverband klar, dass der Berufsstand „wütend und verzweifelt“ über die Politik der Regierung sei. „Wir machen darauf in angemessener Weise aufmerksam, durch genehmigte Demonstrationen, durch öffentlichkeitswirksame Aktionen und durch Gespräche mit Bürgern“, so der LTO. Der Berufsstand wolle die Unterstützung der Gesellschaft behalten.

In den vergangenen Tagen legten lokale Aktionsgruppen auch etliche Verteilerzentren von Supermarktketten lahm, indem sie deren Zufahrten mit Traktoren blockierten. Die Bauern wollen so zeigen, was geschieht, wenn die Regierung ihre Pläne verwirkliche: Es gebe dann keine Lebensmittel mehr. Die Supermarktketten beklagen Verluste in Höhe zweistelliger Millionenbeträge. Inzwischen scheinen sich die Protestgruppen vor allem über das Internet zu organisieren. Beim Messengerdienst Telegram gibt es mehrere solcher Gruppen, die größte heißt „Bauern im Aufstand“ und hat 13 000 Mitglieder. Einige von ihnen rufen offen zur Gewalt auf. „Lasst Den Haag brennen“, schrieb ein Nutzer.

LW/age – LW 27/2022