Probleme hier wie dort
Die Wut ist nachvollziehbar: Durch die niedrigen Erzeugerpreise besonders für Milch und Fleisch geraten viele Landwirte in wirtschaftliche Not. Laut Landwirtschaftsminister Le Foll sollen sich 10 Prozent der französischen Tierhalter am Rande der Insolvenz befinden. Aber auch vielen deutschen Landwirten machen die niedrigen Preise schwer zu schaffen. Hier wie dort haben die Bauern unter den Auswirkungen insbesondere des RusslandÂembargos, der schwächelnden Konjunktur in asiatischen Märkten und einem stark konzentrierten Lebensmittelhandel zu leiden. Deshalb gibt es hierzulande auch Verständnis und SoÂlidarität mit den französischen Berufskollegen.
Gleichwohl muss man die Mittel des Protests und die Reaktionen der Beteiligten in Frankreich hinterfragen. Der Vorwurf des Lohndumpings, der besonders in Richtung deutsche Lebensmittelindustrie geht, passt nicht (mehr): Deutschland hat ebenso wie Frankreich einen Mindestlohn. Doch links des Rheins gönnt man sich mit 9,53 Euro 62 Prozent des durchschnittlichen Arbeitnehmergehaltes, in Deutschland sind es bei 8,50 Euro „nur“ 51 Prozent. Außerdem sind beispielsweise die Möglichkeiten der kurzfristigen Beschäftigung in Frankreich eingeschränkter. Die Verantwortung für die Wettbe- werbsfähigkeit liegt also auch in Frankreich selbst. Und der freie Handel in der EU, den die Franzosen jetzt behindern, hat ihnen keine Nachteile gebracht. Deutschland ist der größte Abnehmer französischer Agrarprodukte. Laut Milchindustrieverband wurden vergangenes Jahr Milch und Milcherzeugnisse im Wert von 959 Mio. Euro aus dem Nachbarland eingeführt, der Ausfuhrwert hatte dagegen eine Höhe von 677 Mio. Euro. Die deutsche Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie als Grund des Übels anzusehen, ist deshalb nicht gerechtfertigt.
Cornelius Mohr – LW 31/2015