Das Leben auf dem Land früher und heute

Nachgefragt bei Buchautorin Uta Ruge

Auf einem Bauernhof in einem kleinen Dorf im Moor zwischen Elb- und Wesermündung aufgewachsen, hat Uta Ruge (70) zwei bemerkenswerte Bücher über das Leben und Arbeiten auf dem Land geschrieben – wie sie es in ihrer Kindheit erlebt hat und wie sich Landleben und Landwirtschaft verändert haben. Ihr Buch „Bauern, Land“ stand im November 2020 auf Platz 1 der Bestenliste der ZEIT und war 2021 in der Sparte Sachbuch/Essayistik für den Buchpreis der Leipziger Buchmesse nominiert. Gerade ist ihr zweites Buch erschienen: „Die Kühe, mein Neffe und ich“. Das LW hat bei der Buchautorin nachgefragt, was den Anstoß für ihre Bücher gab und wie sie das Leben und Arbeiten auf dem Land im Vergleich zu früher empfindet.

Früher wurde der Acker mit dem Pferdegespann gepflügt. Die kleinen Kinder gingen ihren Eltern zur Hand.

Foto: imago/H. Tschanz-Hofmann

LW: Was war Ihr Beweggrund, über das Leben auf dem Land und die Landwirtschaft zu schreiben? Was gab den Anstoß zu Ihrem 2020 erschienenen Buch „Bauern, Land“?

Uta Ruge: Als das Leben meines Vaters, der auf dem Hof als Altenteiler lebte, langsam zu Ende ging, bin ich häufig dort gewesen, um ab und zu meine Schwägerin zu entlasten. Da kriegte ich mit, wie schwer die Situation besonders der Milchbauern bei der Abschaffung der Milchquote war, wie gravierend sich in den Familien die ständige Arbeitsüberlastung und der finanzielle Druck auswirkten.
In meinem jahrzehntelangen Großstadtleben war ich inzwischen eine Grüne geworden und habe nicht mehr hinterfragt, was grüne Politik genau für die Landwirtschaft heißt. Also habe ich mich immer mal wieder kräftig mit meinem Bruder gezofft, der den Hof inzwischen mit seiner Frau führte. Er hat mir vor Augen geführt, was die konkreten Auswirkungen der Politik waren – und wie oft sie nicht einmal das erreicht, was sie eigentlich erreichen wollte. Stichwort Maisanbau für Biogasanlagen. Als in
Als Kind waren die Kühe für Uta Ruge die interessantesten Tiere auf dem elterlichen Hof.

Foto: imago/Zoonar

Niedersachsen dann sowohl die Zahl der Wolfsrisse anwuchs als auch die Planungen für die Wiedervernässung der Moore immer konkreter wurde, dachte ich, dass mal jemand über diesen Druck von allen Seiten schreiben sollte. Ich fing an, am Beispiel meines Dorfes über die Entwässerung der Moore im 18. Jahrhundert zu schreiben, daraus entwickelte sich eine Geschichte der Landwirtschaft überhaupt, die ja im 18. und 19. Jahrhundert vor allem ein Kampf gegen Hungersnöte war.
Mich interessierte auch die Geschichte des Bildes vom Bauern, die ich als Gespräch zwischen zwei alt gewordenen Städtern, die mal Bauernkinder waren, angelegt habe. Gleichzeitig wollte ich auch die konkrete, greifbare Gegenwart der Bauern im Auge behalten und mit meiner Kindheitserfahrung von Landwirtschaft verknüpfen. So kam „Bauern, Land“ zustande.

LW: In Ihrem zweiten, gerade erschienenen Buch „Die Kühe, mein Neffe und ich“ beschreiben Sie, wie Sie selbst als Kind das Für und Wider des Landalltags auf einem Bauernhof erlebt haben. Schon als Kind haben Sie die Enten „besorgt“, ein kindliches Einüben ins verantwortungsvolle Halten von Tieren, wie Sie dies erklären. Was möchten Sie den Lesern mit Ihren Geschichten mit auf den Weg geben?

Ruge: Ich habe in diesem Buch sowohl die Menschheitsgeschichte als auch meine eigene kleine Biografie im Zusammenhang mit der Vieh- besonders der Rinderhaltung erkundet und mich gefragt: Was lernen Menschen im Zusammenleben mit Tieren? Was würde wegfallen – eigentlich muss man sagen: Was fällt für die vielen Generationen Nicht-Bauern schon lange weg –, wenn man kein Wissen mehr über sich und die Tiere von Anfang an erwirbt, keine Verantwortung für sie übernimmt, sich selbst nicht im Spiegel der Tiere wahrnimmt?
Buchautorin Uta Ruge wurde auf Rügen geboren, wuchs nach der Flucht der Familie als Bauerntochter in einem norddeutschen Dorf auf, studierte Germanistik und Politik in Marburg und Berlin, arbeitete in einem Verlag und bei einer Berliner Zeitung. Von 1985 bis 1998 lebte sie als freie Rundfunkautorin und Mitarbeiterin einer internationalen Zeitschrift in London. Danach ging sie nach Berlin zurück.

Foto: Holger Groß

Mir scheint, dass die Vorstellung, über einen veganen Ernährungsstil die Welt zu retten, unter anderem das Resultat einer fast absoluten Getrenntheit von den Tieren ist. So kommt dann auch eine „Tierliebe“ zustande, die in der Einsamkeit des Einzelnen in den Städten das Tier als Menschenersatz nimmt.

LW: Wie sehen Sie die Landwirtschaft und das Leben auf dem Land im Vergleich früher zu heute?

Ruge: Eigentlich kann ich das nicht beurteilen, denn ich lebe ja nicht auf dem Land, geschweige in der Landwirtschaft. Was ich aus meiner Erfahrung und Anschauung sagen kann, ist das Offensichtliche, dass nämlich durch verbesserte Straßen und das Internet das Land als Wohnort ein Raum ist, der wesentlich weniger vom Städtischen abgegrenzt und ausgeschlossen ist als früher.
In der Landwirtschaft sind das Leben und Arbeiten auf dieselbe Art und Weise stressiger geworden wie in der gesamten Arbeitswelt. Körperlich schwere Arbeit ist zu einem großen Teil durch Maschinen und sogar Robotik ersetzt worden. Aber die dadurch frei gewordene Zeit wird sofort aufgefressen durch die größeren Mengen, die ver- und besorgt werden müssen – größere Mengen an Vieh, Acker, Erntegut, Milch, Eiern usw. Die Arbeitszeit ist enger getaktet als früher.
Es kommt mir außerdem so vor, als würden die Arbeitsvorgänge selbst, weil sie so komplex geworden sind, die Alten und die Kinder auf den Höfen mehr ausschließen. Es gibt die Tendenz, sie aus den Arbeitsabläufen genauso rauszuhalten und wegzuorganisieren wie in der Stadt. Nur da, wo das nicht perfektioniert ist, gibt es noch einen Freiraum, der als wirklich bäuerliche Ländlichkeit überlebt.
Die Fragen stellte Stephanie Lehmkühler – LW 35/2023