Die Maikäfer starten wieder im Hessischen Ried
So sieht die Waldschutzsituation 2009/10 in Hessen aus
Das viel zu warme Frühjahr 2009 ließ für den Bereich Waldschutz zunächst nichts Gutes vermuten. Durch Borkenkäfer traten jedoch rückblickend geringere Schäden ein als erwartet, bei den Schmetterlingen zeigte sich insgesamt ein differenzierteres Bild, wobei vor allem der Anstieg des Schwammspinners zu betonen ist. Nach dem lang anhaltenden gerade zurückliegenden Winter haben sich die Mäuse lokal in Erinnerung gerufen. Das aktuell gemäßigt warme Frühjahr lässt den Forstbetrieben momentan mehr Zeit bei der Umsetzung erforderlicher Maßnahmen zur Vorbeugung und Schadensbegrenzung.
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Foto: Habermann
Aufgrund der sehr frühen und heißen Frühjahrswitterung wurde allgemein mit vermehrter bis starker Besiedlung durch holzbrütende Käferarten gerechnet. Aufgrund eigener Beobachtungen und fehlender Meldungen von Waldbesitzern kann davon ausgegangen werden, dass 2009 keine nennenswerten Schäden aufgetreten sind.
Maikäfer: Seit etwa Mitte der 1980er Jahre läuft im hessischen Ried eine Massenvermehrung des Waldmaikäfers. Derzeit sind etwa 12 000 ha befallen, lokal mit bereits sehr hohen Dichten. Der nächste Käferflug steht aktuell unmittelbar bevor.
Seit September 2008 hatte die NW-FVA daher den Auftrag, für das gesamte Hessische Ried, rund 30 000 ha Waldfläche, Vorbereitungen zu treffen, um eine Bekämpfung des Maikäfers im Frühjahr 2010 zu ermöglichen. Dazu wurden zunächst Maßnahmen ergriffen, um die aktuelle Ausbreitung und Dichte der Maikäferpopulation festzustellen. Diese Erhebungen fanden systematisch über das gesamte Hessische Ried statt. Die Grabungsdaten dienten als wesentliche Entscheidungsgrundlage bei der Flächenauswahl für die Bekämpfungsvorbereitung zum Hauptflugjahr 2010. Ab September 2009 wurden die für einen Fraß im Hauptflugjahr 2010 in Frage kommenden Bestände auf ihre Eignung für eine Bekämpfung mit Pflanzenschutzmitteln kartiert. Bis Mitte November wurden Vorschläge für potenzielle Bekämpfungsflächen erarbeitet und dem Landesbetrieb Hessen-Forst zur Verfügung gestellt. Ende Dezember 2009 wurde die Bekämpfung des Waldmaikäfers im Frühjahr 2010 vom zuständigen Ministerium für die Waldflächen des Landes Hessen abgesagt.
Waldbesitzer entscheidet über Bekämpfung
Im Frühjahr 2010 beschloss der Magistrat der Stadt Pfungstadt die in ihrem Stadtwald festgestellten sehr hohen Dichten des Maikäfers nicht mehr zu tolerieren und geeignete Bekämpfungsmaßnahmen für den bevorstehenden Käferflug auf rund 350 ha Waldfläche durchzuführen. Die Vorbereitungen zur Umsetzung der Bekämpfung laufen derzeit planmäßig und unter enger Beteiligung der NW-FVA.
Eichenfraßgesellschaft: Der Fraß durch Eichenwickler (Tortrix viridana), Großen (Erannis defoliaria) und Kleinen Frostspanner (Operophthera brumata) ist in Hessen allgemein rückläufig. Der Eichen-Prozessionsspinner (Thaumetopoea processionea) ist in Südhessen auf rund 1 000 ha mit starkem Fraß aufgetreten. Der Fraß erfuhr gegenüber den Vorjahren eine Zunahme, besonders rund um Darmstadt. Im Stadtwald Frankfurt wurden 2009 auf 280 ha Wald mit Bacillus thuringiensis unter Hubschraubereinsatz behandelt. Die Bekämpfung war insgesamt erfolgreich. Im Frühjahr 2009 hat der Schwammspinner (Lymantria dispar) auf einer Fläche in Südhessen auf knapp 30 ha einen ersten Kahlfraß verursacht, von einer weiteren Fläche in Südhessen wurde auffälliger Fraß gemeldet. Die laufende Überwachung des Falterfluges mit Pheromonfallen ergab an fast allen Fallenstandorten in Hessen für 2009 eine steigende Tendenz. Auch aus den Nachbarländern wird ein Anstieg der Dichte beim Schwammspinner berichtet.
Forstschädliche Mäuse: Nach den aktuellen Prognosefängen zeigen die Populationen der oberirdisch fressenden Wühlmäuse Erd-, Rötel- und Feldmaus (Microtus agrestis, M. arvalis, Clethrionomys glareolus) vielerorts einen deutlichen Anstieg der Dichten. Bereits im Herbst 2009 sind auffällige Schäden aufgetreten, die Bekämpfungsaktionen auslösten. Nach Abschmelzen der verbreitet noch vorhandenen Schneedecke war damit zu rechnen, dass weitere Schäden am Jungwuchs sichtbar werden, lokal wurde Mäusefraß auch an Douglasien festgestellt. Die Populationsdichten der Schermaus (Arvicola terrestris) halten die Vorjahreshöhe und steigen in einigen Bereichen an.
Eichenkomplexerkrankung: Im Rahmen der Beobachtungen zur Eichenvitalität wurden Anfang Juni 2009 Fraßbonituren der Eichenfraßgesellschaft durchgeführt (in HE: 8 Flächen, zusätzlich im Reinhardswald 11 Flächen). Fraß fand auf diesen Flächen im Frühjahr 2009, mit wenigen örtlichen Ausnahmen, nur in sehr geringem Umfang statt (Blattverluste meist 0 bis 5 Prozent). Auf Flächen im Reinhardswald wurden nur im Einzelfall Eichen mit mehr als 20 Prozent Blattverlust durch Fraß vorgefunden.
Bemerkenswerte Ergebnisse brachte eine Untersuchung zu Schleimfluss und Prachtkäferbefall an Alteichen im Ostharz. Die Eichen in vier Beobachtungsbeständen wiesen im Spätsommer 2007 sehr zahlreiche frische Schleimflussflecken auf (durchschnittlich 7 Flecke pro Eiche, maximal 70 Flecke pro Baum). Bei näherer Untersuchung der Schleimflussflecke im Winter 2007 / 2008 waren unter 65 bis 70 Prozent der geöffneten Flecke frische, noch sehr feine, meist in Stammrichtung verlaufende Prachtkäferlarvengänge zu finden. Der Prachtkäferbefall wurde auf das Jahr 2007 datiert. Im Winter 2007 / 2008 erfolgten dann auf drei von vier Flächen unterschiedlich stark geführte Sanitärhiebe. Die vierte Fläche blieb als Kontrollfläche unbehandelt, das heißt ohne Eingriff. Im Sommer 2009 war festzustellen, dass die zunächst sehr stark mit Schleimfluss zeichnenden (und ehemals mit Prachtkäfern befallenen) Eichen der Kontrollfläche keinesfalls abgestorben oder absterbend waren oder deutlich schlechtere Vitalität zeigten. Vielmehr waren die Schleimflussflecken, wie auch auf den anderen Flächen, inzwischen überwiegend eingetrocknet. Demzufolge muss nicht jedes stärkere Auftreten von Schleimfluss, selbst mit akutem Befall durch Prachtkäferlarven, zum Absterben der Bäume führen. Je nach Baumvitalität – und wahrscheinlich auch Witterungsverlauf – kann eine erfolgreiche Abwehr des Prachtkäfer-Befalls erfolgen, was hier offenbar eingetreten ist. Die im Winter 2007 / 2008 auf den Versuchsflächen unterschiedlich stark durchgeführten Sanitärhiebe gegen Prachtkäfer haben folglich in den Jahren 2008 und 2009 auch nicht zu unterschiedlichen, etwa vom Prachtkäfer beeinflussten, Bestandesentwicklungen geführt. Die weitere Entwicklung in den Beständen wird beobachtet.
Bei geschädigten Eichen ist weniger mehr
Grundsätzlich ist anzumerken, dass stärkere waldbauliche Eingriffe, die Stresssituationen in geschädigten Beständen verstärken – auch durch erhöhte Wärmeeinstrahlung. Vermehrter Prachtkäfer- und Hallimaschbefall können eine Folge sein. Geschädigte ältere Eichenbestände sollten deshalb mit geringen Eingriffsstärken durchforstet werden, um die Möglichkeit einer natürlichen Stabilisierung zumindest offen zu halten.
Eschentriebsterben: Das Eschentriebsterben entwickelt sich im Betreuungsgebiet der NW-FVA zu einer ernsthaften Gefährdung dieser Baumart. Nach neuesten Erkenntnissen wird dieÂse Erkrankung nicht durch die in natürlichen Eschenbeständen heimische Schlauchpilzart Hymenoscyphus albidus (Weißes Stengelbecherchen) mit der Nebenfruchtform Chalara fraxinea hervorgerufen, sondern durch eine neue, bisher unbekannte Art: Hymenoscyphus pseudoalbidus. Die im Sommer gebildeten Ascosporen können über den Wind verbreitet werden und Eschen infizieren. Die Nebenfruchtform ist sehr widerstandsfähig gegenüber Austrocknung und tiefen Temperaturen.
Nach Meldungen und eigenen Beobachtungen kommt das Eschentriebsterben in Schleswig-Holstein nahezu flächendeckend in allen Altersklassen der Esche in Aufforstungen, Stangenhölzern, Altbeständen und Naturverjüngungen sowie in Hausgärten und an Straßenbäumen vor. 2009 wurde hier ein starker Befall mit einsetzenden Absterbeerscheinungen in Altbeständen verzeichnet. Auch in Niedersachsen ist die Erkrankung sehr weit verbreitet, sowohl in Aufforstungen, Stangenhölzern und Altbeständen als auch in Naturverjüngungen. Stärkste Ausfälle sind in neuen Aufforstungen zu beobachten, die mit infizierter Baumschulware begründet wurden. In Sachsen-Anhalt ist das Eschentriebsterben teilweise stark verbreitet in Aufforstungen, Altbeständen und in Naturverjüngungen. In Hessen sind nachgewiesene Erkrankungen bisher nur auf vereinzelte Erstaufforstungen mit infizierter Baumschulware beschränkt. Ein Übergreifen in Eschenaltbestände wurde noch nicht festgestellt. Nähere Informationen zum Krankheitsverlauf und vorläufige Handlungsempfehlungen sind in unseren Waldschutz-Informationen zum Eschentriebsterben I-III enthalten (Waldschutz-Info Nr. 9 / 2008, Nr. 3 / 2009 sowie zu vorläufigen Handlungsempfehlungen: Nr. 7 / 2009).
Diplodia-Triebsterben der Kiefer: Seit einigen Jahren tritt die Erkrankung verstärkt in Kiefernbeständen in Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Hessen auf. Diplodia-Triebsterben wurde auch an Douglasie und anderen Nadelbäumen festgestellt. 2009 wurde Sphaeropsis sapinea im Gebiet der NW-FVA erneut in zahlreichen Kiefernbaumhölzern sowie bei Schädigungen an frischen Austrieben von Kiefernkultur- und Naturverjüngungspflanzen nachgewiesen. Aktuelle Studien zur Luftkeimbelastung durch pilzliche Schaderreger zeigten auch ein Vorkommen von S. sapinea-Sporenflug in bislang nicht krankhaft befallenen Kiefernbeständen des Nordwestdeutschen Tieflandes. Rindenverletzungen, wie durch Hagelschlag oder Insektenfraß, stellen Eintrittspforten für die Besiedelung von Zweigen und Ästen durch S. sapinea dar. Wahrscheinlich tragen aber auch Witterungsstress und milde Wintertemperaturen zur Krankheitsentstehung bei. Stärker geschädigte Bäume sollten genutzt werden, zumal eine Wertminderung des Holzes durch Bläue und eine sekundäre Besiedelung mit rinden- und holzbrütenden Insekten und Weißfäulepilzen nicht auszuschließen sind. Es wird auf die Waldschutz-Info Nr. 10 / 2008 (12.12.2008) verwiesen.
Erlen-Phytophthora: Auch 2009 wird örtlich eine zunehmende Verbreitung des Phytophthora-Befalls an Erlen festgestellt, in Hessen findet sich die Erkrankung oft entlang von Bach- und Flussläufen. Bei Kulturmaßnahmen, aber auch bei der Pflanzung von Bach begleitenden Gehölzen (Roterlen) sollte die Befallsfreiheit von Baumschulware (Befallsfreiheit der Anzuchtbeete) von den Lieferanten bescheinigt werden, um neue Befallsherde durch Auspflanzung zu verhindern.
Auf einer Beobachtungsfläche zur Erlen-Phytophthora in Niedersachsen (Erlenanpflanzung aus dem Jahr 1998, mit 1 450 Beobachtungsbäumen) ließ sich in den vergangenen fünf Jahren eine kontinuierliche Zunahme des Befalls feststellen. Bis 2004 war kein Befall beobachtet worden. 2004 erfolgte dann eine starke Beeinflussung der Fläche durch hoch anstehendes Grundwasser und Wasserrückstau im nahe vorbei fließenden Bach. Zu diesem Zeitpunkt (2004) hat offenbar die Infektion der Erlen in den am niedrigsten gelegenen Flächenteilen stattgefunden. Die Befallsrate lag im Jahr 2005 bei 14 und stieg bis zum Jahr 2009 auf 67 Prozent an. Die Absterberate der Bäume hat sich in demselben Zeitraum von acht auf 21 Prozent erhöht.
Buche verlor 2009 früh ihre Blätter
Frühzeitige Laubverfärbung und Blattfall an Buche: Vorzeitige Laubverfärbungen und frühzeitig einsetzender Laubfall an Buchen wurden verstärkt ab Anfang August 2009 in vielen Gebieten beobachtet und gemeldet. Besonders betroffen waren Randbuchen und solche, die frei standen, vorherrschend waren und mit der Oberkrone aus dem Kronendach herausragten. In der Regel trugen diese Bäume im Jahr 2009 einen starken Fruchtanhang. In manchen Gegenden hat die vorzeitige Blattverfärbung zunehmend auch ganze Bestände erfasst.
Untersuchungen von Probezweigen an der NW-FVA im August haben ergeben, dass die Zweige beim Anschnitt bis zur Triebspitze hin zwar grün, aber verhältnismäßig trocken waren. An Zweigen, Blättern und Blattstielen wurden keine relevanten biotischen Ursachen (Pilze, Insekten) festgestellt, die die vorzeitige Blattverfärbung und den Blattabwurf ausgelöst haben könnten. Die herbstlichen Blattverfärbungen und der Blattfall liefen nicht nur verfrüht sondern auch sehr schnell ab. Auffallend war ferner die rasche Verfärbung der Blätter von grün nach dunkelbraun, ohne die sonst zu beobachÂtenden, zahlreichen Farbvariationen, die bei normaler Herbstverfärbung erkennbar sind. Braune Blätter fielen bei Berührung oder Wind sofort herunter.
Die wenigen noch anhaftenden grünen Blätter waren lederig und oft auch relativ trocken. Nach derzeitiger Einschätzung hängt dieses Phänomen des Spätsommers 2009 mit der Witterung und der Physiologie der Buche zusammen. Das Frühjahr 2009 war das dritte zu trockene Frühjahr in Folge mit teilweise hochsommerlichen Temperaturen im April und Mai. In Kombination mit der sehr starken Fruktifikation, die auch eine physiologische Belastung für den Baum bedeutet, und lokalen Strahlungs- und Temperaturspitzen im Hochsommer (Oberkronen und Ränder besonders betroffen) sind Feuchtigkeitsdefizite sehr wahrscheinlich, die ähnlich wie nach trockenen Sommern zu verfrühtem Blattfall führen. Dr. Michael Habermann, NW-FVA Göttingen