Die Sorgen, aber auch die schönen Dinge erklären

BWV-Präsident Eberhard Hartelt im LW-Gespräch

Die Landwirtschaft steht aufgrund der Preismisere unter enormem Druck. Hinzu kommen die Vorwürfe in Bezug auf Tierhaltung, Pflanzenschutzmittel und Umweltschutz. Die Agrarreform mit dem Greening und der Mindestlohn sind im ersten Jahr der Umsetzung. Der Landbote für Rheinhessen und die Pfalz hat darüber mit dem Präsidenten des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd, Eberhard Hartelt, gesprochen.

BWV-Präsident Eberhardt Hartelt.

Foto: Mohr

LW: Herr Hartelt, Sie sind seit einem Jahr Präsident des Bauern- und Winzerverbandes. Über was haben Sie sich gefreut, worüber haben Sie sich geärgert?

Eberhard Hartelt: Ich habe zu Beginn meiner Amtszeit mehrere Rundreisen unternommen und dabei viele Betriebe, Unternehmen und Organisationen in der Pfalz und in Rheinhessen besucht und Gespräche geführt. Ich bin dabei herzlich und offen empfangen worden. Darüber habe ich mich gefreut, und das bestärkt mich in meiner Arbeit. Worüber ich mich ärgere, das sind die einseitigen und unsachlichen Vorwürfe an die Landwirtschaft in Bezug auf Tierhaltung, Pflanzenschutz und Umwelt, die zum Teil den Berufsstand und die einzelnen Bauernfamilien verunglimpfen. Und ich ärgere mich über die Bürokratie und das nicht immer sachgerechte EU-Recht.

Dazu ein Beispiel: Wir haben mit der Wasserwirtschaft ein Konzept entwickelt, bei dem die Landwirte freiwillig Gewässerrandstreifen anlegen. Das scheitert allerdings daran, dass diese Flächen unter Umständen nach fünf Jahren aufgrund des EuGH-Urteils zu Dauergrünland werden. Diese Gefahr sorgt dafür, dass freiwillige Maßnahmen nicht zustande kommen, und darüber hinaus, dass man in manchen Fällen praktisch gezwungen wird, die Flächen ohne Not wieder zu umbrechen, um den Ackerstatus zu erhalten. Wir sind immer mehr in diesem bürokratischen System eingeschnürt. Davon müssen wir uns befreien.

LW: Wenn wir schon bei Randstreifen und Bürokratie sind: Wie bewerten Sie das Greening im ersten Jahr der Einführung?

Hartelt: Es gibt zu viele Vorschriften, die Regelungen sind zu kompliziert. Sie müssten deutlich entschlackt werden, zum Beispiel bräuchten wir eine Vereinheitlichung der Vorschriften bei den Rand- und Pufferstreifen und praxisgerechte Bestimmungen für den Anbau von Zwischenfrüchten auf ökologischen Vorrangflächen. Es gibt eine große Angst und Unsicherheit, etwas verkehrt zu machen, nicht nur bei den Landwirten, auch in der Agrarverwaltung. Im Sommer war beispielsweise vielen nicht klar, dass aufgrund der Bestimmungen der Anbaudiversifizierung die witterungsbedingt frühe Ernte der Wintergerste hätte gemeldet werden müssen.

LW: Was die Bauern am meisten bewegt, ist die Preismisere bei den landwirtschaftlichen Erzeugnissen.

Hartelt: Das macht mir sehr große Sorgen. Die Milchbauern geben ihre Milch schon seit vielen Monaten unter Gestehungskosten ab. Bei den Schweinebauern dauert das Preistief sogar noch länger an. Aber auch die Weinpreise gehen nach unten, und die Obst- und Gemüsebauern brauchen Sie auch nicht nach ihrer Erlössituation zu fragen.

LW: Was fordern Sie?

Hartelt: Aktuell muss die Liquidität der Betriebe gesichert werden. Ich verlange, dass mindestens die Mittel aus der Superabgabe von rund 800 Mio. Euro, die die europäischen Milcherzeuger bezahlt haben, komplett wieder in die Landwirtschaft zurückfließen. Von daher ist das von der EU aufgelegte Liquiditätshilfeprogramm nicht ausreichend. Umgerechnet sind das 16 Euro pro Kuh. Dieser Tage sollen die Modalitäten für die Beantragung der Darlehen mit Zinsverbilligung und Zuschüssen kommen. Als Bauernverband setzten wir uns dafür ein, dass das Verfahren möglichst einfach ist. Wir fordern weiter auch Liquiditätsbürgschaften, die vor allem für Betriebe mit schlechterem Rating erforderlich sind. Die Erhöhung der Bundeszuschüsse für die Unfallversicherung beziehungsweise eine Beitragssenkung wären auch gut, wenngleich dies natürlich vom Betrag her nur eine kleine Hilfe sein kann.

Besonders weh tut die Preismisere denjenigen Betrieben, die jetzt noch Steuern aus den vorangegangenen guten Wirtschaftsjahren nachzahlen müssen. Das können durchaus Beträge von 20 000 Euro und mehr sein. Zugleich werden dann auch noch die Steuervorauszahlungen erhöht. Das schlägt bei einigen Betrieben richtig ins Kontor. Deshalb bleibt die Forderung an eine Risikoausgleichszulage.

LW: Die war ja erst im Juni mit breiter Mehrheit im Bundestag abgelehnt worden.

Hartelt: Trotzdem bleibt die Forderung richtig. Die Regelung, die die Gewinne in den guten Jahren glättet, ist angesichts der extremen Preis- und Erlösschwankungen notwendig. Ich habe den Eindruck, dass einige Politiker angesichts der prekären Lage bereit sind, darüber nachzudenken. Die Länderminister haben die Forderung auf der Agrarministerkonferenz in Fulda aufgenommen.

Dass in diesen Tagen Erleichterungen beim Investitionsabzugsbetrag beschlossen wurden, ist vor diesem Hintergrund ein gutes Signal. Ab dem kommenden Jahr entfallen die bisher erforderlichen konkreten Angaben zur Anschaffung, wenn ein Teil der für zukünftige Investitionen geplanten Beträge steuermindernd geltend gemacht wird. Diese Rückkehr zur ursprünglichen Regelung begrüßen wir sehr. Um die Liquidität zu sichern, ist es außerdem wichtig, dass die Betriebsprämie pünktlich ausgezahlt wird, wenn möglich die Auszahlung sogar vorgezogen wird. In der Situation wird im Übrigen deutlich, dass das Instrument der Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete, die AGZ, fehlt. Die AGZ hätte gerade in den von Trockenheit und von der Milchpreissenkung besonders betroffenen Betrieben in den Mittelgebirgslagen eine gute Wirkung gehabt. In unserem Nachbarland Hessen gibt es die AGZ übrigens noch.

LW: Sind nicht auch die Landwirte selbst gefragt?

BWV-Präsident Hartelt im Gespräch mit LW-Chefredakteur Cornelius Mohr.

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Hartelt: Mit Blick auf die hohen Pachtpreise, für die wir ja auch mitverantwortlich sind, sollten wir auch selbst aufpassen. Wir müssen als Betriebsleiter so kalkulieren, dass die Pachten auch in Notzeiten zu bezahlen sind. Und wir müssen uns noch stärker der Liquiditätsplanung und -steuerung widmen.

LW: Die AMK hat mit Ach und Krach beschlossen, ein Gutachten über eine flexible Milch-Angebotssteuerung anfertigen zu lassen. Was halten Sie davon?

Hartelt: Ich halte eine Angebotssteuerung einfach für unrealistisch. Eine Regelung des Angebots würde nur europaweit mit entsprechendem Außenschutz funktionieren. Ansonsten würden wir uns in Deutschland beschränken und die anderen würden weiterproduzieren. Wir haben offene Märkte und wir sind auf den Weltmarkt angewiesen, weil der Binnenmarkt schrumpft. Wenn Ministerin Höfken eine Mengenbeschränkung propagiert und das Produzieren für den Weltmarkt und den Bauernverband kritisiert, muss ich daran erinnern, dass ihre Parteikollegin und ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast die Entkopplung und die regional einheitliche Prämie eingeführt hat und damit die Möglichkeit zu einer spezifischen Förderung einzelner Sektoren entfallen ist.

LW: DBV-Präsident Rukwied hat Gespräche mit dem Handel geführt. Dabei soll der LEH Verständnis für die Lage der Landwirtschaft und die Bedeutung der Produktion in Deutschland gezeigt haben. Aldi und Lidl haben außerdem Preiserhöhungen bei Milch und Butter angekündigt. Sollte der Bauernverband weniger auf den Handel schimpfen und mehr mit ihm reden?

Hartelt: Ich hoffe, dass der Handel wirklich einsieht, dass er mit dem ständigen Preisdruck die heimische Produktion gefährdet. Ich glaube aber auch, dass der LEH auf den Druck reagiert hat, den wir in der Öffentlichkeit erzeugt haben. Es heißt immer, dass der Verbraucher bereit sei, mehr für Lebensmittel zu zahlen. Wenn der Handel Milch- und Fleischprodukte, die ja im Budget eines Haushalts kein großer Posten sind, so billig anbietet, hat der Verbraucher kaum die Chance, mehr dafür auszugeben. Insgesamt glaube ich, dass die Marktkonzentration von fünf oder sechs Handelsunternehmen das Hauptproblem ist und dass weiterhin kartellrechtliche Maßnahmen erforderlich sind, diese Marktmacht zu mindern.

LW: Vor vier Wochen hat der rheinland-pfälzische Landtag das neue Landesnaturschutzgesetz verabschiedet. Wie bewerten Sie es?

Hartelt: Nachdem wir dem ersten Entwurf energisch widersprochen haben, können wir mit dem jetzt verabschiedeten Gesetz einigermaßen leben. Gut ist, dass beispielsweise die Entsiegelung von Flächen im Innenbereich als Kompensationsmaßnahme anerkannt wird. Positiv ist auch der freiwillige Grünlandschutz im Rahmen des Vertragsnaturschutzes, der honoriert wird. Der kooperative Ansatz ist gut. Wogegen wir uns erfolgreich gewehrt haben, ist beispielsweise die ursprüngliche Formulierung des GVO-Freisetzungsverbots. Die hätte man so lesen können, dass auch die Ausbringung von Mist und Gülle verboten wäre, da ja Schweine oder Kühe Soja fressen, der in der Regel zugelassene GVO enthält.

LW: Im März nächsten Jahres stehen Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz an. Was wünschen Sie sich von der nächsten Landesregierung?

Hartelt: Ich wünsche mir, dass sich die Landesregierung vor die Landwirtschaft stellt. Was mich ärgert ist, dass manche Politiker, auch Ministerin Höfken, uns gegenüber oder bei landwirtschaftlichen Veranstaltungen Verständnis für die Produktionsweise der Landwirtschaft zeigen, an anderer Stelle und vor anderem Publikum aber von industrieller Massentierhaltung und Überdüngung sprechen. Am diesjährigen Landeserntedankfest unseres Verbandes hat Ministerin Höfken beispielsweise die Aussage getroffen, dass wir hier in Rheinland-Pfalz die Landwirtschaft haben, die wir alle wollen. Diese Auffassung ist in ihrem politischen Handeln allerdings nicht zu erkennen.

LW: Landwirtschaft wird ein Thema beim Wahlkampf werden. Wie sind Sie gerüstet?

Hartelt: Ganz klar: Wir sind in der Defensive. Unsere Sachaufklärung hat es schwer, gegen Emotionen anzukommen. Wir sind deshalb alle gefordert. Öffentlichkeitsarbeit kann man nicht nur delegieren, das ist sehr teuer, und wer soll das bezahlen? Der Bauernverband kann das nicht allein mit Mitgliedsbeiträgen stemmen. Deshalb müssen wir lernen, unsere Nachbarn und Freunde an der Landwirtschaft teilhaben zu lassen und sie mitzunehmen, nicht nur bei den Sorgen, sondern auch bei den schönen Dingen, wenn zum Beispiel jetzt im Herbst die Saat des Wintergetreides aufgeht.

LW: Als Umweltbeauftragter des Deutschen Bauernverbandes sind Sie mit der Düngeverordnung befasst. Wie ist da der Stand der Dinge?

Hartelt: Die Düngeverordnung liegt immer noch in der Endabstimmung zwischen Bundeslandwirtschafts- und Bundesumweltministerium. Streitpunkt ist nach wie vor der Bestandsschutz von JGS-Anlagen, also Güllebehälter. Die Hoftorbilanz, die einen hohen Aufwand an Aufzeichnungen erfordert und gegen die wir uns immer gewehrt haben, wird nach einer Übergangszeit kommen. Es wird außerdem bei den Regelungen eine Länderöffnungsklausel geben. Einzelne Länder haben schon angekündigt, die Anforderungen in nicht belasteten Gebieten abzusenken. Ich bin trotzdem nach wie vor dagegen, weil die Landesregierungen auch Verschärfungen erlassen können. Ein wichtiger Punkt ist die Möglichkeit der Herbstdüngung. Die Ausnahmen sind noch nicht klar. Ich hoffe, dass neben Winterraps und Wintergerste auch früh gesäter Winterweizen noch im Herbst, wenn der Bedarf da ist, gedüngt werden darf.

LW: Wie hat sich der Mindestlohn nach Ihrer Erfahrung in der ersten Saison der Einführung auf die Betriebe ausgewirkt?

Hartelt: Den Betrieben fällt die Zahlung des Mindestlohns schwer, da dieser nicht durch höhere Erzeugerpreise kompensiert wird. Deshalb besteht nach wie vor die Gefahr, dass der Anbau arbeitsintensiver Sonderkulturen ins Ausland abwandern wird. Änderungen beim Mindestlohn zu erreichen, bleibt aber weiterhin schwierig, weil die Diskussion sehr emotional geführt wird. Wo wir aber Änderungen brauchen, sind die Aufzeichnungspflichten durch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, die deutlich ausgeweitet wurden. Ein weiteres, damit unmittelbar verbundenes Thema ist die Flexibilisierung der Arbeitszeiten, die nun einmal in der Landwirtschaft und im Weinbau notwendig ist. Wenn das Wetter gut ist und die Früchte reif sind, dann muss man auch mal länger arbeiten. Dann jedes Mal einen Ausnahmeantrag zu stellen, das kann es nicht sein. Deshalb wollen wir eine Allgemeinverfügung beim Arbeitszeitgesetz. Eine Lösung wäre auch ein Arbeitszeitkonto. Dagegen sperren sich allerdings die Gewerkschaften.

LW: Im Weinbau ist derzeit das Mindestmostgewicht beim Dornfelder ein Thema. Wie stehen Sie dazu?

Hartelt: Wir sollten ohne Notfallregelung die Möglichkeit haben, das Mindestmostgewicht bei Dornfelder von 68 auf 65 Grad Oechsle abzusenken, um die Trauben vor dem Befall der Kirschessigfliege zu retten. Der Schädling ist in diesem Jahr zwar nicht in größerem Maße aufgetreten. Wenn die Kirschessigfliege allerdings auftritt, sollten die Winzer flexibel reagieren können. Wir können uns hier nicht die Bedingungen der Vermarkter aufzwingen lassen. Wir haben die Zusage der Ministerin, sich in unserem Sinne für eine solche Regelung einzusetzen. Froh bin ich über den Kompromiss bei der Pflanzrechte-Regelung, und dass die Ausdehnung auf jährlich 0,3 Prozent begrenzt wird. Hier haben alle Beteiligten an einem Strang gezogen.

LW: Kritik üben Sie aber an den Sparmaßnahmen in der Agrarverwaltung und in der Beratung.

Hartelt: Wir sind auf fachlich fundierte Beratung angewiesen. Die Dienstleistungszentren Ländlicher Raum sind aber jetzt schon am Limit. Die Anforderungen sind ja immer mehr gestiegen und werden weiter steigen. In den letzten Jahren sind zudem immer mehr Beratungsleistungen in Richtung Naturschutz dazugekommen. Außerdem werden Berater zunehmend in der Kontrolle eingesetzt. Diese Entwicklung muss gestoppt werden. Ich bin froh, dass von der Landesregierung die Absicht besteht, die bisher vorgesehenen Einsparungen in der Agrarverwaltung mit Wirkung bis zum 2022 abschwächen zu wollen. Andererseits hat die Landesregierung bei ihrem kürzlich vorgestellten Haushaltsentwurf weitere Stellenstreichungen auch in der Landwirtschaftsverwaltung angekündigt.

Mit BWV-Präsident Hartelt sprach Cornelius Mohr – LW 43/2015