Die zwei Seiten der Landwirtschaft in Polen
Erzeugerpreise wie bei uns, aber niedrigere Kosten
Polen ist mit 312 687 km2 das neuntgrößte Land in Europa. Zum Vergleich: Deutschland umfasst 370 600 km2. Ein Großteil des Landes ist Flachland und dies sind oft gute Ackerbaustandorte. Auch für die MilchÂerzeugung sind die Voraussetzungen gut und es besteht ein großes Potenzial. Das schreibt Dr. Theo Göbbel von der LandÂwirtÂÂschaftskammer NRW, Bonn, der die Region Posen besucht hat.
Mit dem EU-Beitritt hatten die Bauern zunächst Angst, „die Normen aus Brüssel würden sie strangulieren“. Diese Sorge machte sie erst zu erbitterten EU-Gegnern. Teils schien sich das Bild zu bestätigen, das viele Menschen im Westen von der Landwirtschaft im Osten haben. „Die Vorstellung vom rückständigen Kleinbauern mit zwei Kühen“. Inzwischen aber erweist sich der Beitritt zur EU für viele Betriebe als eine Erfolgsgeschichte und gerade die größeren Betriebe holen den technischen Abstand zu ihren westlichen Wettbewerbern rasch auf.
Große Strukturunterschiede und starke Unterstützung
Wer nach der politischen Wende (insbesondere die Jahre nach 2000) die Chancen erkannte und finanziell konnte, hat sich frühzeitig und sehr günstig (für circa 1 000 Euro/ha) Flächen gesichert. Inzwischen sind auch in Polen die Flächen knapp und werden immer teurer. Die Pachtpreise werden, wie früher auch in Deutschland üblich, in dt Roggen oder Weizen ausgedrückt und liegen bei 1,3 t je ha, was etwa 250 Euro/ha entspricht. Besonders rasant haben sich die Kaufpreise bei Flächen entwickelt. Lagen sie in den Anfangsjahren nach der Wende bei 2 000 bis 3 000 Euro je ha (teilweise gab es sogar keine Interessenten), so sind die Preise auf inÂzwischen 15 000 bis 25 000 EuÂro je ha rasant angestiegen. Die Tendenz ist weiter steigend. Seit 1990 haben die polnische Wirtschaft ebenso wie die Landwirtschaft eine eindrucksvolle Transformation durchlaufen. Trotz mehrfach wechselnden Regierungen wird der Liberalisierungs- und Deregulierungskurs unverändert fortgesetzt. Etwa 13 Prozent der erwerbstätigen Polen arbeiten in der Landwirtschaft (Deutschland etwa 3 Prozent). Die Landwirtschaft genießt in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert. Seit dem Beitritt in die EU zum 1. Mai 2004 konnte die Landwirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit durch Modernisierungen erheblich steigern, so dass viele Bereiche inzwischen wettbewerbsfähig und exportstark sind. Allerdings: Es gibt immer noch strukturelle Schwächen, die einen erheblichen Wettbewerbsdruck verursachen.
Die polnische Landwirtschaft ist historisch bedingt sehr heterogen. Im Jahre 2014 gab es rund 1,4 Mio. landwirtschaftliche Betriebe, von denen circa 1,3 Mio. Direktzahlungen erhielten. Mehr als die Hälfte der Betriebe bewirtschaften weniger als 5 ha. Immer noch produzieren viele BeÂtriebe ausschließlich oder hauptsächlich für den Eigenbedarf. Die durchschnittliche Betriebsgröße lag im Jahr 2014 bei 10,5 ha. Andererseits gibt es etwa 6 700 hoch moderne Großbetriebe. Betriebe über 100 ha bewirtschaften derzeit rund ein Viertel der polnischen Landwirtschaftsfläche. Die Landwirte in Polen genießen großzügige Sozialleistungen und Privilegien des Staates, die insbesondere für die zahlreichen Kleinbauern überlebenswichtig sind. So sind sie äußerst kostengünstig renten- und krankenversichert und zahlen derzeit noch keine Einkommenssteuer – das Einkommen wird pauschal als Grundsteuer mit 200 kg Roggen je ha (etwa 35 Euro) versteuert.
Förderprogramm soll Betriebe modernisieren
Gleichzeitig werden die Landwirte durch die Förderpolitik der EU (Investitionszuschüsse bis zu 50 Prozent sowie Prämien) und nationale Mittel unterstützt. Mit einem neuen Programm für landwirtschaftliche Entwicklung (2014 bis 2020) versucht die Politik, den Strukturwandel voranzutreiben. Mit 15,5 Mrd. Euro, von denen 8,6 Mrd. (55 Prozent) aus EU-Mitteln stammen, fördert Polen das finanzstärkste Entwicklungsprogramm der EU für den ländlichen Raum. Das Programm setzt konsequent auf die Modernisierung „mittelgroßer“ Betriebe. Diese sollen langfristig das Rückgrat der polnischen Landwirtschaft bilden, was jedoch gleichzeitig bedeutet, dass viele Klein- und Kleinstbetriebe aufgeben. Für sie versucht man, Erwerbsmöglichkeiten innerhalb und außerhalb der Landwirtschaft anzubieten.
Ein Problem sind die „Altbesitzer“
Je nach politischer Ausrichtung der Regierung wurden die „staatlichen Flächen“ (ähnlich wie bei der deutschen Treuhand) zunächst den Pächtern und Bewirtschaftern zum Kauf angeboten, aber in den letzten Jahren haben die „Erben“ der Altbesitzer ein starkes Vorkaufsrecht. Zwar können die meisten „neuen“ Altbesitzer den Kaufpreis für diese Flächen nicht schultern, aber sie haben erkannt, dass sie mit dieser „Option auf Landkauf“ ein gutes Geschäft machen können. Diese suchen dann zum Beispiel nach einem Landkäufer, dem sie ihr Recht für umgerechnet etwa 1 000 Euro pro ha verkaufen. Das bringt zugleich die derzeitigen Pächter in die Lage, auf die Preise einsteigen zu müssen – oder aber sie verlieren einen Großteil ihrer bewirtschafteten Flächen. Solange also die Eigentumsverhältnisse ungeklärt sind, stagniert die Entwicklung in vielen Pachtbetrieben. Vor allem dort, wo die Hoffläche und Stallungen betroffen sind, so dass hier keine weiteren Investitionen und Modernisierungen vorgenommen werden und die Bewirtschafter Zeit für die weitere Betriebsentwicklung verlieren.
Das Melken lohnt sich auch bei niedrigen Preisen
Polen verfügt über sehr gute Boden- und Witterungsverhältnisse – speziell für die Milchproduktion, wobei die Erzeugung in den großen Betrieben schon jetzt mit guten deutschen Betrieben konkurrenzfähig ist. Regional gibt es drei Schwerpunkte der Milchproduktion: in Großpolen in der Region Posen, in Nord-Masuren und in Ostpolen an der ukrainischen Grenze. In den westlichen und östlichen Regionen gibt es inzwischen meist große und mo-derne Familienbetriebe, während in den südlichen Regionen meist kleine Betriebe existieren, in denen sich die Milchwirtschaft nur langsam fortentwickelt.
Mit 13,6 Mio. t (2015) Milchproduktion ist Polen der viertgrößte Milcherzeuger der EU (Deutschland: 32 Mio. t). Es ist das einzige Land aus dem ehemaligen Ostblock, das sich in den letzten Jahren nennenswert im Bereich der Milchproduktion weiterentwickelt hat. Wegen den guten natürlichen Voraussetzungen ist das Potenzial speziell in der Milchproduktion groß – bis zu 50 Prozent – was dann etwa dem Niveau der kommunistischen Zeiten entspricht. Schon jetzt ist die Milcherzeugung hinter Fleisch mit 17 Prozent eine der wichtigsten Zweige der landwirtschaftlichen Produktion. Direkt nach der Wende hatte fast jeder landwirtschaftliche Betrieb zur Selbstversorgung einige Milchkühe. Noch bis zum Jahr 2 000 hatten 97 Prozent aller polnischen Betriebe höchstens drei Kühe im Stall stehen.
Seit dem EU-Beitritt 2004 und mit der Einführung der Milchquote ging die Zahl der Milchproduzenten um mehr als 50 Prozent zurück, aber im Wirtschaftsjahr 2004/05 gab es immer noch 387 000 Betriebe mit einer Milchquote. Aber in den darauffolgenden Jahren ging auch diese Zahl sehr schnell weiter zurück. Derzeit gibt es noch 140 000 (meist kleinere) Milchviehbetriebe, so dass in etwa 10 Prozent aller Betriebe Milchkühe gehalten werden – insgesamt 2,4 Mio. Kühe – statistisch durchschnittlich 16 Kühe je Betrieb mit durchschnittlich 68 000 kg Milch je Betrieb. Jedoch sind die Betriebsgrößen sehr verschieden.
Produktionskosten etwa 5 Cent/kg niedriger
Man muss kein „Insider“ sein, um zu erkennen, dass in den nächsten Jahren sehr viele, meist kleinere, Betriebe aus der Milchproduktion aussteigen werden. Allerdings sind diejenigen, die übrig bleiben, voller Optimismus. Denn selbst bei den derzeit niedrigen Milchpreisen, die etwa denen in Deutschland entsprechen, rechnet sich die Milchproduktion in Polen, während in Deutschland draufgelegt wird. Denn die Produktionskosten sind dort um etwa 5 Cent niedriger, so dass es möglich ist, selbst in den arbeitsintensiven, kleineren Betrieben je Liter Milch etwa 5 bis 10 Cent Gewinn zu erwirtschaften (pro Kuh und Jahr also etwa 500 Euro). Die jährliche Milchleistung pro Kuh beträgt offiziellen Angaben zufolge 5 250 kg (2012) und ist in den letzten Jahren rasant gestiegen von 3 358 kg im Jahr 1989 sowie 4 269 kg (2004). In den spezialisierten Betrieben (meist juristische Personen und große Familienbetriebe) werden nun pro Kuh und Jahr häufig bereits über 7 000 und 8 000 kg im Mittel gemolken.
Wesentliches Hemmnis für die schnelle weitere Entwicklung der Milchproduktion war die auch in Polen bis April 2015 geltende Milchquotenregelung. Jetzt sind es vor allem die hohen Bodenpreise und die notwendigen Investitionen, die sich die kleineren Betriebe kaum leisten können und eine Finanzierung über die Banken ist schwierig. Das Ende der Quote wird meistens positiv gesehen. So ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis sich die Milchproduktion in Polen verdoppelt hat – das Potenzial und die Bereitschaft der Leute dafür sind vorhanden. Bei den besuchten 14 Betrieben hörte man kein einziges Wort über einen zu niedrigen Milchpreis oder eine schlechte wirtschaftliche Situation. Im Gegenteil: Man spürte überall eine Aufbruchsstimmung und eine positive Einstellung zur Zukunft. Hinzu kommt das gute Gefühl, zu wissen, dass der Landbesitz immer teurer wird und die investierten Maschinen zur Hälfte mit EU-Mitteln bezahlt wurden. So konnten einige Unternehmer „mit dem richtigen Riecher“ innerhalb weniger Jahre ein Vermögen schaffen, was bei uns erst im Laufe von ein oder zwei Generationen möglich war.
Ein Viertel der Milch für den Export
Bei einem Selbstversorgungsgrad der Milch von derzeit 113 Prozent gehen mehr als 25 Prozent der polnischen Milch in den Export, vor allem nach Deutschland, aber auch in andere EU-Staaten. Seit 2014 dürfen einige polnische Molkereien auch nach China exportieren. Der mit Abstand wichtigste Abnehmer ist jedoch nach wie vor Deutschland, gefolgt von Großbritannien, Frankreich und Tschechien. Derzeit gibt es in Polen etwa 200 Molkereien (in Deutschland rund 250), wobei mehr als die Hälfte der Milch in 20 Betrieben verarbeitet wird. Ähnlich wie bei uns in Deutschland werden etwa 70 Prozent der Milch in genossenschaftlichen Molkereien verarbeitet (am Anfang gab es sage und schreibe 350 000 Molkereien). Mit Hochland und Zott gehören zwei deutsche Firmen zu den zehn größten Molkereien in Polen.
Eine große Schwäche der polnischen Milchproduktion sind die relativ hohen Transportkosten der Molkereien, bedingt durch die kleinteilige Produktion. Die Molkereien konzentrieren sich vorwiegend im Osten und Westen des Landes, so dass teilweise große Transportwege bis zum Landwirt zurückgelegt werden müssen. Die größte Molkerei MLEKPOL verarbeitet mehr als 1 Mrd. kg. In Ostpolen gibt es eine sehr erfolgreiche Molkerei, die auf die Produktion von Hüttenkäse spezialisiert ist und mit die höchsten Milchpreise auszahlt. Bei weiteren tierischen Erzeugnissen konnte Polen seine Exportvorteile nutzen und es kam zu überproportionalen Zuwächsen. Heute ist Polen der siebtgrößte Fleischexporteur der EU. Im Jahr 2014 betrug der Exportüberschuss bei Nahrungsmitteln rund 6 Mrd. Euro. Der höchste Produktionswert innerhalb der Landwirtschaft wird im Bereich Fleisch (33 Prozent) und Milch (17 Prozent) erzielt. Speziell bei Geflügel sind die Zuwächse bei der Produktion und im Export groß. Im Jahr 2014 war Polen sogar der größte Produzent von Geflügelfleisch innerhalb der EU. Hingegen fiel der SchweinebeÂstand 2013 auf nur noch 11 Mio. Tiere (2007 wurÂden in Polen noch 18 Mio. Schweine gehalten). Die durchschnittliche Bestandsgröße liegt bei 39 Schweinen. Damit liegt der SelbsverÂsorgungsgrad unter 100 Prozent (95 Prozent). In Polen wird vergleichsweise wenig Rindfleisch konsumiert. Der Pro-Kopf-Verbrauch liegt bei lediglich 4,2 kg (Vergleich Deutschland: 12 kg). Im Jahr 2013 konnten polnische Rindfleischexporteure aufgrund preisgünstiger Offerten die Vermarktung nach Westeuropa teils deutlich ausbauen. In der Summe blieben die Rindfleischexporte Polens mit insgesamt rund 320 000 t relativ stabil.
Bald eine der größten Landwirtschaft in der EU
Die Regierung schätzt, dass die polnische Agrarwirtschaft ohne Probleme um 40 Prozent gesteigert werden kann. Ihre Experten sehen großes Entwicklungspotenzial, vor allem bei Milch, Rind- und Geflügelfleisch und Obst und Gemüse. Dafür stehen erhebliche Fördermittel zur Verfügung. Auch der Anteil der jungen Landwirte (circa 15 Prozent sind unter 35 Jahre alt) bietet gute Voraussetzungen für die Modernisierung und Vergrößerung der Betriebe. Der Beruf Landwirt gilt in Polen als attraktiv, so dass sich die Branche auch keine Sorgen um Nachwuchs machen muss. Polen könnte bis zum Jahr 2025 zu einem der größten Lebensmittelproduzenten in Europa aufsteigen, schätzen Experten. Damit könnte das Land in der EU zusammen mit Frankreich und Deutschland eine treibende Kraft in der Agrarpolitik werden.
Dr. Theo Göbbel – LW 37/2016