Doppelter Produktionswert, aber Wertschöpfung fast unverändert
Forum „Landwirtschaft Schwalm-Eder 2017“ in Fritzlar
In der vergangenen Woche fand in Fritzlar das Forum Landwirtschaft Schwalm-Eder zum Thema „Landwirtschaft am Scheideweg: wie lassen sich wirtschaftliche Zwänge und gesellschaftliche AnforderunÂgen in Einklang bringen?“ statt. Das Forum wird gemeinsam vom Agrartechnikerverband, dem Regionalbauernverband Kurhessen, Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen, den Verbänden für landwirtschaftliche Fortbildung (VLF) im Schwalm-Eder-Kreis, den Bezirkslandfrauenvereinen Fritzlar-Homberg und Melsungen, dem Maschinenring Schwalm-Eder und vom Runden Bauerntisch durchgeführt.
Foto: Dr. Hildebrandt
Zahl der Arbeitskräfte in vierzig Jahren halbiert
Bei Zuordnung dieses Wertes auf die in der Landwirtschaft tätigen Arbeitskräfte sei die Nettowertschöpfung seit 1975 von 9 739 EuÂro auf 21 551 Euro im Jahr 2015 gestiegen. Die Steigerung sei also nur deshalb erfolgt, weil im gleichen Zeitraum über die Hälfte aller landwirtschaftlichen Arbeitskräfte durch den Strukturwandel ausgeschieden sind. Die Steigerung der Wertschöpfung sei auch darauf zurückzuführen, dass die NaturalÂerträge deutlich gestiegen sind. Bei Zuckerrüben und Kartoffeln beispielsweise haben sich die Erträge in Niedersachsen seit dem Jahr 1954 mehr als verdoppelt.
Die Produktionssteigerungen seien in der Tierhaltung durch Zuchterfolge, bessere Ernährung und Haltungsbedingungen erreicht worden. Beispielsweise könne ein Masthähnchen heute in 56 Tagen bei gleichem Futtereinsatz das vierfache Schlachtgewicht erreichen wie 1957. Untersuchungen über die täglichen Zunahmen in der Schweinemast zeigen für die letzten 25 Jahre eine Steigerung von 662 auf 822 g/Tag und die durchschnittliche Milchleistung stieg pro Kuh 4 500 auf 9 100 kg/Kuh und Jahr. Neben den kontinuierlichen Verbesserungsprozessen seien auch immer wieder Entwicklungsschübe durch technische Innovationen und neue ProÂduktionsverfahren festzustellen wie zum Beispiel strohlose Haltungsverfahren, die Etablierung von Laufställen und neuer Melktechnik, die Entwicklung von Mähdreschern und Vollerntern, die Züchtung, die Spezialisierung und Arbeitsteilung wie auch die Entwicklung synthetisch-chemischer Pflanzenschutzmittel und Antibiotika. Motor jeder betrieblichen Entwicklung sei damit der technische Fortschritt, insbesondere der Arbeit sparende technische Fortschritt. Und dieser habe zu einer sehr dynamischen Entwicklung der Arbeitsproduktivität beigetragen.
Foto: Dr. Hildebrandt
Die Bedürfnisse wachsen, denn je mehr wir haben, desto mehr haben wir zu wenig.“ Die Grundmotive menschlichen Handelns seien nun mal Begehren, Verlangen, Ungenügsamkeit, Unersättlichkeit, Gier und Neugier. Dennoch müsse die Frage nach dem Wachsen oder Weichen nicht alternativlos zum Einen oder andern tendieren. Krämer beschrieb die landwirtschaftlichen Unternehmen als selbstgebastelte Abenteuerspielplätze, bei denen es darauf ankomme, die richtigen Dinge zu tun (Unternehmensentwicklung) und die Dinge richtig zu tun (Unternehmensführung). Entscheidend für den Fortbestand des eigenen Betriebes sei die richtige Einschätzung und die richtige Folgerung oder Reaktion auf Fragen wie: Wie entwickelt sich meinen Betrieb fort? Wie effizient ist der Betrieb? Was sind die persönlichen Motive, Voraussetzungen oder Faktoren? Welche Strategien lassen sich daraus ableiten? Fragen, die sich in den Managementaufgaben jedes Betriebsleiters wiederspiegeln und einem System von Organisation sowie Kontrolle und Bestandsaufnahme zusammenwirken. Voraussetzung für ein erfolgreiches Management sieht Krämer in der Orientierung und Ausrichtung auf Ergebnisse und Resultate Zielstrebigkeit), der Konzentration auf Weniges (Spezialisierung), der Nutzung eigener Stärken, dem Aufbau von Beziehungen und Vertrauen, dem positiven Denken und einer positiven Grundeinstellung und der Fähigkeit zur Eigenmotivation.
Wachstum ist Naturgesetz und gilt auch für den Betrieb
Im Rückblick auf die Frage „Wachsen oder Weichen – gibt es auch einen Weg dazwischen?“ kam Krämer zu dem Fazit, dass Wachstum ein Naturgesetz ist, alles was lebt wächst. Dabei müsse ein Unternehmen nicht unbedingt groß, sondern stark sein. Größe sichere keine Zukunft. Es gehe um die richtige Größe, wie durch die Verbesserung der Marktstellung oder Produktivität. Wachstum ohne Produktivitätsverbesserung sei dagegen nicht vorstellbar. Wenn man in stagnierenden oder gar schrupfenden Märkten tätig sei, müsse allerdings eine Strategie des Wachstums gefunden werden. Insofern heiße Wachstum zuerst und vor allem Lernen. Somit gebe es (theoretisch) keine Grenzen des Wachstums, weil es auch keine Grenzen des Lernens gebe.
Bleibt die Familie auf der Strecke?
Hildegard Schuster, Präsidentin des Landfrauenverbandes Hessen, sprach über das Thema „Bleibt die Familie auf der Strecke?“ den Umgang mit Leistungsdruck, Existenzängsten und gesellschaftlichen Anfeindungen unter die Lupe. Sie verwies auf die dramatischen Entwicklungen in der Landwirtschaft. Die Statistik weise einen Rückgang aller Betriebe unter einer Größe von 50 ha aus.

Foto: Dr. Hildebrandt
Passen Landwirtschaft und Gesellschaft zusammen?
Christian Dürnberger Philosoph am Messerli Forschungsinstitut Wien und am Institut für Technik-Teologie-Naturwissenschaften München griff abschließend das Thema „Landwirtschaft und Gesellschaft – was passt da nicht mehr zusammen?“ auf. Gerade die Medien würden in ihrer Berichterstattung gern landwirtschaftliche Themen aufnehmen, wobei positive Darstellung aber eher selten zu finden sind. Doch dies gelte für alle Branchen. Schwarze Schafe finde man überall und gerade die wecken das Interesse der Gesellschaft. Dennoch, im Ranking der Berufe genieße der Landwirt nach Ärzten und Lehrern eine besondere Wertschätzung. In Verbraucherumfragen werde von der heutigen Landwirtschaft aber mehr als pure Nahrungsmittelproduktion erwartet. Umwelt-, Klima- und Tierwohlthemen würden deutlich zunehmen. „Wir erleben einen Wertewandel“, sagte Dürnberger. Jedoch hätten die Verbraucherantworten und das Verbrauchererwarten wenig mit dem Verbraucherverhalten zu tun. Hier sei das eigene Portemonaie näher als die frommen Zielvorstellungen. „30 Prozent der Menschen ist alles Wurst. Außer der Preis“, so der Philosoph.
Die gesellschaftlichen Erwartungen würden im Hinblick auf Landwirtschaft oft durch Bilderwelten und Projektionen beeinflusst. Das bäuerliche Leben steÂhe für das einfache, ursprüngliche Leben in und mit der Natur. Die Romantisierung und Idealisierung der Landwirtschaft sei bereits in früheren Jahrhunderten durch Bilder und Poesie erfolgt und keine Erfindung der Moderne. Diese Aspekte mache sich die moderne Werbung heute zunutze. Romantik und Ursprünglichkeit verfange bei der Produktwerbung bei den Verbrauchern besser als beispielsweise eine Käsewerbung mit dem Slogan: Wir haben die modernste Melkanlage der Welt. Bilderwelten und Projektionen dürften dabei allerdings nicht zu Stolpersteinen für eine Kommunikation zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft werden. Dies verlange, dass das Wissen über landwirtschaftliche Praxis in der Gesellschaft gesteigert werden müsse. Dürnberger fordert den Bürgern und Bürgerinnen passende Angebote zu machen aus der Erkenntnis, dass es viele Verbraucher gibt, die auch in Zukunft nicht auf tierische Produkte verzichten wollen, zugleich aber Tierwohl als bedeutsamen Wert anerkennen und daher die Realisierung von Tierwohl in den landwirtschaftlichen Betrieben als gesamtgesellschaftliche Aufgabe begreifen.
Landwirtschaft würde so nicht nur als Ort für die Produktion von Nahrungsmitteln begriffen, sondern auch als Ort, wo wir als Gesellschaft gemeinsam bedeutsame Werte realisieren könnten. Landwirtschaft stehe damit im Mittelpunkt der modernen Gesellschaft und sei eine verantwortungsvolle Aufgabe, besonders eine Aufgabe für Experten. Ein Thema, um das es sich zu streiten lohne.
Ernst Gömpel bedankte sich als Vorsitzender der VLF im Schwalm-Eder-Kreis in seinem Schlusswort für die informellen und aufschlussreichen Vorträge der Referenten und die interessanten Diskussionsbeiträge der Besucher.