Genuss mit gesundem Menschenverstand

Nach der langen Fastenzeit konnte an Ostern mal wieder so richtig geschlemmt werden. Für viele Familien ist es selbstverständlich, dass an dem Fest traditionelle Gerichte mit Spargel, Lammfleisch oder – insbesondere in Hessen – Grüner Soße (eigentlich eine Fastenspeise) auf den Tisch kommen. Dass die Grü­ne Soße viele Anhänger hat, belegt ihr gerade erreichter Platz 1 unter den von den hr-Fern­sehzuschauern gewählten 30 beliebtesten Gerichten der Hessen.

Warum das hr-Fernsehen parallel dazu kurz vor Ostern den Zeitpunkt ausgesucht hat, auf einen giftigen Pflanzenstoff in Borretsch (eins der sieben klassischen Kräuter der „Grie Soß“) hinzuweisen und sogar vom Verzehr abgeraten hat, ist Effekthascherei. Zumindest hat der Beitrag viele Zuschauer derart verunsichert, dass sie die Grüne Soße von ihrem Osterspeiseplan gestrichen haben. Damit hat der Fernsehbeitrag nicht nur den Verbrauchern, sondern auch den Verkäufern und natürlich auch den Bauern geschadet, für die der Anbau der Kräuter für die Grüne Soße ein wichtiges Einkommens­standbein ist.

Fakt ist, dass in dem gurkenähnlich schmeckenden Bor­retsch Pyrrolizidin-Alkaloide (PA) enthalten sind, die bei einem höheren Verzehr die Leber schädigen können. Dies ist dem Bundesinstitut für Risikobewertung schon lange bekannt. Das Institut spricht überdies davon, dass noch konkretere Forschungen in Bezug auf das Dosis-Wirkungs-Verhältnis der PA notwendig sind, um gegebenenfalls einen Grenzwert für die Giftigkeit der PA einzuführen.

Generationen von Grüne-Soße-Essern hat Borretsch nicht geschadet. Ihn jetzt in der Hochsaison schlecht zu machen, hinterlässt einen faden Beigeschmack. Ein Hinweis darauf, dass die Dosis immer das Gift macht, hätte zunächst ausgereicht, um auf mögliche Schädigungen durch PA hinzuweisen. Ob irgendwann ein Grenzwert bestimmt, dass die traditionelle Frankfurter Grüne Soße nur noch aus sechs Kräutern besteht oder Borretsch gegen ein anderes Kraut ausgetauscht wird, bleibt abzuwarten. Bis dahin sollte jeder seine Lebensmittel mit gesundem Menschenverstand genießen.

Stephanie Lehmkühler – LW 17/2014