„Wir haben schnell und kraftvoll gehandelt“
Landwirtschaftsministerin Silke Lautenschläger ein Jahr im Amt
Die hessische Landwirtschaftsministerin Silke Lautenschläger (CDU) ist seit fast einem Jahr im Amt. Am 5. Februar 2009 hat die langjährige Sozialministerin das Agrarressort übernommen. Das LW fragte die auf einem Bauernhof im Odenwald aufgewachsene Juristin nach einer Zwischenbilanz und nach den Perspektiven der hessischen Landwirtschaft.
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Foto: Zörb
Silke Lautenschläger: Die Wirtschaftskrise und in deren Folge die gravierenden Probleme auf den Agrarmärkten haben dieses erste Jahr natürlich geprägt. Die erste Frage lautete für mich, was wir als Land tun können, um im Rahmen unserer Möglichkeiten wirksam zu helfen. Wir haben schnell und kraftvoll gehandelt. Mit über 26 Mio. Euro haben wir die höchste Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete der vergangenen Jahre gezahlt, um gerade die Betriebe abseits der Gunststandorte in der Krise zu unterstützen.
LW: Dafür haben Sie nicht ausgeschöpften Mittel aus anderen Förderbereichen hineingesteckt.
Lautenschläger: Ja. Wir haben getan, was wir konnten. Und das hat gerade den gebeutelten Milchbauern geholfen. Denn 70 Prozent der hessischen Milchviehbetriebe wirtschaften in benachteiligten Gebieten. Durch das Liquiditätshilfeprogramm, das der Bund aufgelegt hat und an dem sich Hessen mit einer Million Euro beteiligt hat, konnten wir einen weiteren Beitrag leisten. Außerdem haben wir uns auch sehr stark für das Grünlandmilchprogramm des Bundes eingesetzt. Ich will aber nicht unerwähnt lassen: In der Krise hat sich auch die Stärke der hessischen Landwirtschaft gezeigt: Nämlich die robuste Kombination von leistungsfähigen Vollerwerbsbetrieben und vielen Nebenerwerbsbetrieben, die gerade in Zeiten wie diesen stabil sind.
LW: Sie haben sich in Sachen Milch bei den Länderagrarministern mehrfach insbesondere um mengenbegrenzende Maßnahmen, wie der Aussetzung der Saldierung eingesetzt. Ist das jetzt vom Tisch?
Lautenschläger: Wir haben unsere Position und unsere Forderungen, meist im Schulterschluss mit Bayern, sehr deutlich in Brüssel, in Berlin und auf der Agrarministerkonferenz vorgetragen. In Demokratien entscheiden Mehrheiten, und diese sind weder auf nationaler noch Ebene noch auf europäischer Ebene vorhanden.
LW: Sie hatten auch angekündigt, sich für einen noch stärkeren Absatz von Schulmilch einzusetzen. Gibt es da schon Ergebnisse?
Lautenschläger: Wir sind in Gesprächen mit der Landesvereinigung Milch insbesondere darüber, wie und wo Milchautomaten in Schulen aufgestellt werden können. Bei der Schulmilch läuft es in Hessen nicht so, wie ich es mir vorstelle.
LW: Was heißt das?
Lautenschläger: Über die Jahre ist der Schulmilchkonsum immer weiter zurückgegangen. Das hat unterschiedliche Gründe – ist aber ein bedauerliches Signal. Wir arbeiten an Verbesserungen. Ich möchte beim Thema Milch aber auch darauf hinweisen, dass wir uns sehr stark gegen Schummel-Käse eingesetzt und deutlich gemacht haben, dass es uns um die Verwendung von Milch geht. Wir haben in Hessen bundesweit die meisten Kontrollen durchgeführt. Unsere Lebensmittelkontrolleure sind vor Ort strikt vorgegangen, wie übrigens auch gegen Mogel-Schinken – dort haben wir sogar ein Drittel aller Kontrollen in Deutschland durchgeführt. Und dieser Kontrolldruck und die Ankündigung, Wiederholungs-Schummler und –mogler zu veröffentlichen, haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Denn die Zahl der Beanstandungen geht zurück.
LW: Welche Chancen sehen sie für die Milchviehhaltung in den Mittelgebirgslagen?
Lautenschläger: Wir haben großes Interesse daran, dass dort die Landwirtschaft auch im Hinblick auf den Erhalt der Kulturlandschaft weiter betrieben wird. Deshalb sehen wir in der Ausgleichszulage ein wichtiges Element unserer Politik. Anderseits gibt es große Marktchancen für die heimische Landwirtschaft. Es gibt in Süd- und Mittelhessen die Nähe zu den Verbrauchern im Rhein-Main-Gebiet. Die Leute wollen heute wissen, was auf den Teller kommt. Und der Landwirt aus der Region ist Lieferant gesunder Qualitätslebensmittel. Ich bin ständig im Land unterwegs und werbe dafür, dass Verbraucher regionale Produkte einkaufen – natürlich auch direkt vom Bauernhof. Landwirtschaft und Verbraucher müssen künftig noch stärker in den Dialog treten.
LW: Sie hatten das Liquiditätshilfeprogramm angesprochen. Der Bund hat eine Fortführung im Rahmen seines Grünlandmilchprogramms anÂgekündigt. Wird sich das Land auch wieder beteiligen?
Lautenschläger: Der Bund stellt in den nächsten beiden Jahren insgesamt 50 Mio. Euro für zinsverbilligte Kredite zur Verfügung. Damit sind ausreichende Mittel vorhanden. Das Land muss deshalb diesmal keine zusätzlichen Mittel zur Zinsverbilligung bereitstellen. Trotzdem leisten wir einen Beitrag. Denn alleine die verwaltungsmäßige Umsetzung der Programme kann bis zu 700 000 Euro kosten, die das Land tragen muss. Auf der anderen Seite müssen wir uns überlegen, wie ab 2015 weitergeht, nach dem Auslaufen der Milchquote. In dieser Frage arbeiten wir bei den Expertengesprächen des Hessischen Bauernverbandes mit. Es geht – kurz gesagt – darum, gerechte Liefer- und Abnahmebedingungen zu finden.
LW: Ein großes Thema im ersten Jahr Ihrer Amtszeit war die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Der Bewirtschaftungsplan und der Maßnahmenkatalog wurden kürzlich veröffentlicht. Es geht unter anderem um die Reduzierung von Nährstoffen, beispielsweise Nitrat im Grundwasser. Was kommt auf die Landwirte zu?
Lautenschläger: In einigen Regionen spielt die Nitratbelastung des Grundwassers eine Rolle, wie im Hessischen Ried oder im Rheingau. Das hängt zum Teil auch einfach mit der Bodenbeschaffenheit zusammen. In ganz großen Teilen Hessens ist die Nitratbelastung dagegen kein Problem. Dort wo es möglicherweise Bedarf gibt, werden wir über die Beratung mit der Landwirtschaft an eine Lösung gehen. Die Ämter werden ebenso eingebunden wie die Kreislandwirte und der Bauernverband. Bei der Umsetzung ist für uns Freiwilligkeit sehr wichtig.
LW: Wie sieht es mit der Finanzierung der Maßnahmen aus? Sie sollen bis zum Jahr 2027, der verlängerten Umsetzungsfrist, rund 2 Mrd. Euro kosten. Wie ist das darstellbar?
Lautenschläger: Die Beratung werden wir abdecken mit dem Mitteln, die meinem Haus beziehungsweise dem Landesbetrieb Landwirtschaft zu Verfügung stehen. Andere Maßnahmen werden über die Kommunen abzudecken sein, die das Land im Rahmen der Möglichkeiten unterstützt. Auch betroffene Unternehmen, beispielsweise der Düngemittelproduzent K+S, werden eine ganze Menge Geld selber mit einbringen müssen.
LW: Sie haben den Flächenverbrauch durch Renaturierungsmaßnahmen angesprochen. Diese kommt zu den normalen naturschutzrechtlichen Ausgleichsmaßnahmen hinzu. Wie kann man beide Maßnahmen im Sinne der Flächenschonung koordinieren?
Lautenschläger: Unser Ziel ist es, dass sich die Kommunen wesentlich früher und besser abstimmen. Als ganz wichtige Argumentationshilfen dienen die landwirtschaftlichen Fachpläne, die wir jetzt flächendeckend haben. Hier wird zum Beispiel ausgewiesen, was Ackerfläche bleiben sollte. Wichtig ist auch, dass die Regierungspräsidien dies in ihren Planungen von vorneherein berücksichtigen.
LW: Wie verbindlich sind die landwirtschaftlichen Fachpläne?
Lautenschläger: Die Regierungspräsidien als große Planungsbehörden haben ja an der Erstellung der Fachpläne mitgewirkt. Die werden die Fachpläne in ihren Überlegungen einbeziehen. Wichtig ist, dass die wertvollen Flächen identifiziert sind und dass jede Behörde, wenn es um eine Maßnahmen geht, den Fachplan zur Hand hat. Es wird allerdings immer einen Zielkonflikt geben, weil für Infrastrukturmaßnahmen Ausgleich erbracht werden muss. Aber wir müssen schauen, dass Ausgleichsmaßnahmen vernünftig koordiniert werden. Unser Ziel ist es, Flächen zu erhalten.
LW: Vom Berufsstand wird ein Landwirtschaftsgesetz gefordert, um dem Flächenschutz noch mehr Gewicht zu verleihen. Wie stehen Sie dazu?
Lautenschläger: Ich denke, wir sollten erst einmal mit den Fachplänen arbeiten, damit wir zeigen können, dass die Erstellung der Pläne auch einen Sinn hat.
LW: Die Landesregierung hat es sich zum Ziel gesetzt, dass bis 2020 in Hessen 20 Prozent des Endenergieverbrauchs aus erneuerbaren Energien erzeugt wird.
Lautenschläger: Das ist eine große Chance für die Landwirtschaft. Biogasanlagen spielen eine immer wichtigere Rolle. Es gibt zwar eine Konkurrenz zwischen der Produktion von Nahrungs- oder Futtermitteln und der Gewinnung von erneuerbaren Energien. Letzlich ist das aber eine Entscheidung des Landwirts als Unternehmer. Neben den Biogasanlagen zur Stromerzeugung spielt auch die Nutzung von Holz eine wichtige Rolle. Das ist für die Landwirtschaft schon deshalb interessant, weil das Thema Kurzumtriebsplantagen auf die Tagesordnung kommen wird.
LW: Gibt es einen Schwerpunkt im Bereich erneuerbarer Energien?
Lautenschläger: Biomasse hat in Hessen derzeit einen Anteil von drei Viertel an den erneuerbaren Energien. Hier gibt es noch ein beachtliches Potenzial, weil der technische Fortschritt im Energiebereich mit Sieben-Meilen-Stifeln voranschreitet.
LW: Wie stehen sie zu Photovoltaikanlagen auf landwirtschaftlichen Flächen?
Lautenschläger: Wir haben grundsätzlich das Interesse, gute Böden für die Landwirtschaft zu erhalten. Man muss aber auch die jeweilige Interessenlage vor Ort sehen.
LW: Sehen Sie beim Klimaschutz die Landwirtschaft eher als Verursacher oder als Opfer?
Lautenschläger: Weder noch. Und man sollte dieses Thema im Bezug auf die Landwirtschaft auch nicht überhöhen. Klimaschutz ist eine globale Aufgabe. Wenn wir die Abholzung von Regenwäldern verhindern könnten, dann hätten wir auf einem Schlag richtig große Kohlendioxideinsparungen. So einen großen Beitrag kann die Landwirtschaft in Deutschland niemals erbringen. Wenn man allerdings klimaschädliche EmisÂsionen reduzieren kann und es Produktionsverfahren gibt, die besser sind, dann sollten wir darüber nachdenken und miteinander reden.
Dazu müssten uns die landwirtschaftlichen Forschungsinstitute zunächst sagen, was das Vernünftigste ist. Ich sehe da noch keine eindeutige Meinung in der Wissenschaft.
Ich halte im Übrigen nichts davon, dass wir unter dem Aspekt Klimaschutz das eine Essen verbieten, und das andere nicht. Mit der akademischen Debatte über den Konsum von Milch und Fleisch wird das Klimaziel nicht erreicht.
LW: Die Agrarförderung auf europäischer Ebene steht in der Diskussion im Hinblick auf die neue Finanzperiode nach 2013. Die neuen osteuropäischen EU-Mitgliedsländer fordern eine Angleichung der Direktzahlungen. Was ist Ihr Standpunkt?
Lautenschläger: Wir wollen nach 2013 die Beibehaltung der Gesamthöhe der Agrarzahlungen erreichen, weil wir eine verlässliche Grundlage für die Agrarförderung brauchen. Wir wollen nicht, dass es eine jährliche Umschichtung von Direktzahlungen zur zweiten Säule gibt. Wir halten nach wie vor die Direktzahlungen für sehr wichtig. Darin sind sich die Agrarminister in Deutschland einig.
Die Länder werden sich beim Agrarministertreffen im Frühjahr in Kiel abstimmen und Eckpunkte festlegen, wie sich Deutschland aufstellen soll. Damit wollen wir auch Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner Rückendeckung für deren Verhandlungen auf europäischer Ebene geben.
Wir werden Brüssel gegenüber sehr deutlich machen, dass in Deutschland ein anderes Preisniveau und andere Umweltvoraussetzungen herrschen als in manchen osteuropäischen Ländern. Das muss natürlich auch mit berücksichtigt werden. Sonst kann man solch hohe Standards, wie wir sie in Deutschland haben, nicht mehr halten.
LW: Wie sieht die Förderung in Hessen kurzfristig aus?
Lautenschläger: Bis Ende 2013 haben wir finanzielle Planungssicherheit. Die zweite Säule ist abgesichert. Bei den Agrarumweltmaßnahmen setzen wir uns zurzeit in den Regionen vor Ort zusammen, und schauen, wie hoch beispielsweise die Förderung für Schonstreifen sein kann.
LW: Sie betonen, eine leistungsfähige und flächendeckende Landwirtschaft in Hessen erhalten zu wollen. Wie wollen Sie das erreichen?
Lautenschläger: Alle Elemente, die ich erwähnt habe, gehören dazu. Vom Thema Energie bis hin zur Frage wie wir mit Mittelgebirgsregionen beziehungsweise benachteiligten Gebieten umgehen. Die Agrarforschung spielt ebenso eine Rolle wie die Direktvermarktung, das Marketing und die Beratung. Außerdem wollen wir weiterhin Unternehmen unterstützen, die investieren wollen. Damit der Betriebsleiter selbst entscheiden kann, in was er investiert, haben wir die Priorisierung aus der Investitionsförderung herausgenommen. In Bezug auf die landwirtschaftliche Beratung, die wir in Hessen durch den Landesbetrieb Landwirtschaft und das Kuratorium leisten, wird die Einzelfallberatung künftig eine noch größere Rolle spielen. Wir müssen jeden Betrieb in der Beratung anschauen. Was sind seine Stärken was sind seine Perspektiven.
LW: Wird sich an dem hessischen Beratungsmodell etwas ändern?
Lautenschläger: Nein. Denn das Modell hat sich ja ausgezeichnet bewährt. Es gibt keinen Grund davon abzurücken. CM