„Kuh des kleinen Mannes“ ist neugierig, clever und rentabel

Praxisnaher Hessischer Ziegentag 2016 in Lichtenfels

Gut 90 Züchter kamen am vergangenen Samstag zum achten Hessischen Ziegentag nach Neukirchen. Hermann Fehrentz, Vorsitzender des Hessischen Ziegenzuchtverbandes, führte durch das Programm. Über die Vorstellung der Ziege bei Zuchtschauen und die Darstellung des Betriebes in der Öffentlichkeit gab es aufschlussreiche Vorträge und ein mutiger Nebenerwerbslandwirt stellte sich allen Fragen zu seinem neu gestarteten Bio-Ziegenmilch-Betrieb und führte die Tagungsteilnehmer durch seine Anlage.

Nachmittags fand die Besichtigung des Betriebes Wirwahn in Neukirchen statt. Dieser hält Bunte und Weiße Deutsche Edelziegen. Die Ziegenmilch wird an die niederländische Organic Goat Milk Cooperative (OGC) geliefert.

Foto: Ute Germann Gysen

Ziegen werden seit 10 000 Jahren gehalten und zählen neben Schafen zu den ersten Nutztieren des Menschen. In Deutschland werden rund 150 000 Ziegen gehalten, in Hessen sind es etwa 20 000 Tiere. Meist sind es Milchziegen, die in kleine Herden mit bis zu 50 Tieren gehalten werden. Die durchschnittliche Jahresleistung einer Milchziege liegt etwa zwischen 700 und 800 Litern. Gerade die Bio-Ziegenmilch erfreut sich einer guten Nachfrage, die das Angebot übersteigt. Für Bio-Ziegenmilch erhält der Erzeuger derzeit circa 85 Cent pro Kilogramm. Einige Rassen sind für die Fleischproduktion gezüchtet und in der Landschaftspflege machen Ziegen sich nützlich.

Die Rückkehr von Luchs und Wolf sehen die Ziegenhalter mit gemischten Gefühlen. Sie sorgen sich um die Weidehaltung ihrer Herden. Der Schutz der Freilandherden stellt viele Halter zu­künftig vor einer besonderen Herausforderung, wie eingangs Hermann Fehrentz, Vorsitzender des Hessischen Ziegenzuchtverbandes mitteilte.

Referenten beim 8. Ziegentag bei: (von links) Günther Dierichs, Zeitschrift „Schafzucht, Ute Ermentraudt, LLH, Hermann Fehrentz, Vorsitzender des Hessischen Ziegenzuchtverbands und Milchziegenhalter Horst Wirwahn.

Foto: Ute Germann Gysen

Günther Dierichs von der Zeitschrift „Schafzucht“ sprach zum Thema der öffentlichen Darstellung tierhaltender Betriebe. „Tue Gutes und rede darüber“ lautete die Kernaussage, denn wer nicht öffentlichkeitswirksam handele, der werde „be-“handelt, sagte Dierichs. Gelegenheiten, den eigenen Betrieb darzustellen und auch kritische Fragen zu beantworten, sollten von den Züchtern genutzt werden, denn professionelle PR-Arbeit koste viel Geld. Jeder Züchter und Halter sollte selbst zu einem guten Image seiner Branche beitragen, war seine Aussage. Dabei helfe auch ein repräsentativer Hofeingang. Einladungen zu Hoffesten zur Lammzeit sei eine hervorragende Möglichkeit, sich gut öffentlich zu präsentieren.

Hinweisschilder an der Weide, vielleicht mit der Telefonnummer für Rückrufe versehen, würden manchen Hundehalter davon abhalten, diesen zwischen einer Herde laufen zu lassen.

Preisrichter beachten das Tier und auch den Führer

Worauf die Preisrichter bei einer Ziegen-Zuchtschau insbesondere achten, darüber sprach Ute Ermentraudt von der Beratungsstelle des Landesbetriebes Landwirtschaft Hessen in Korbach. Der erste Eindruck sei wesentlich und entstehe durch das Bild, welches vom Tier und auch vom Führer abgegeben wird. Sie sehe am liebsten schwarze Hosen, weiße Hemden und auf keinen Fall die Hände in den Taschen. Das signalisiere eher Desinteresse. Stattdessen sollte man Stolz über sein Tier und Achtung vor dem Preisgericht ausstrahlen. Dazu gehöre nach der Auswahl des Zuchtexemplars mit rassetypischem Körperbau die Übung der Führigkeit, damit im Ring alles klappt.

Das „Team Wirwahn“ stellte den neuen Milchziegenbetrieb vor: (von links) Heinrich Wirwahn, Horst Wirwahn, Franziska Dienst, Sascha Wirwahn, Susanne Schutt, Reinhard Opperman, Leonie Wirwahn und Daniel Beyer.

Foto: Ute Germann Gysen

Klauenpflege etwa drei Wochen vor der Vorführung

Eine Klauenpflege sollte etwa drei Wochen vor der Vorführung durchgeführt sein, sonst könnte eine Überempfindlichkeit der Ballen zu untypischen Laufbewegungen führen. Um Hektik am Vorführtag zu vermeiden, sollte man rechtzeitig alle Unterlagen für die Schau, die Fahrzeugpapiere, Futter und Wasser für den Transport und einen Eimer mit Bürste und Tuch für die letzte Reinigung bereitlegen.

Ein grober oder unsachgemäßer Umgang mit dem Tier, wie zum Beispiel Ziehen an den Hörnern, würden sowohl vom Publikum als auch vom Preisrichter negativ vermerkt. Außerdem gab Preisrichterin Ermentraudt Hinweise zum optimalen Aufstellen der Ziege während der Bewertung, damit das Tier in der vorteilhaftesten Position steht.

Betrieb von Schafhaltung auf Milchziegen umgestellt

Am Nachmittag waren die Tagungsteilnehmer zur Besichtigung des Ziegenzuchtbetriebes von Horst Wirwahn eingeladen. Die Familie hatte zuvor Schafe gehalten mit zuletzt 150 Muttertieren. Vater Heinrich übergab den Betrieb vor gut zwanzig Jahre an seinen Sohn Horst. Dieser investierte und baute einen neuen Stall außerhalb des Ortes. Doch gestiegene Betriebskosten und schlechte Bedingungen für die Selbstvermarktung stellten ihn vor die Wahl, entweder den Betrieb aufzugeben oder nach Alternativen zu suchen.

Ziegenkäse ist ein Nischenprodukt, das aber sehr gefragt ist. Somit fand die Umstellung des Betriebes auf die Ziegenhaltung statt und der Züchter nahm Kontakt mit der niederlän­di­schen Bio-Ziegenmilch-Kooperation OGC Organic Goat Milk Cooperative auf. Die Vermarktungs-Gesellschaft besteht derzeit aus 42 Betrieben in den Niederlanden, Deutschland und Belgien. Alle Mitgliederbetriebe arbeiten nach EU-Bio Richtlinien. Die komplette Milchmenge des Ziegenmilchbetriebes Wirwahn wird über die OGC vermarktet.

Im Betrieb Wirwahn werden die 120 Milchziegen innerhalb einer Stunde im neuen 24er-Melkkarussell gemolken.

Foto: Ute Germann Gysen

Modernes Arbeiten mit dem Melkkarussell

Wegen der sicheren Abnahme und mit Unterstützung der ganzen Familie werden nun Bunte und Weiße Deutsche Edelziegen in den Stallungen gehalten. Allein 200 Ziegen stammen von einem aufgegebe­nen Betrieb im Schwarzwald. Insgesamt 400 Tiere stehen heute in den Abteilungen. Der erste Tag mit dem neuen Melkkarussell im September vergangenen Jahres weckte die schlimmsten Befürchtungen bei Wirwahns: Jede Ziege musste einzeln in die 24 Tiere fassende Anlage gestellt werden. Bis die letzte Ziege gemolken war, musste fast schon wieder begonnen werden.

Zweimal wöchentlich wird die Ziegenmilch abgeholt

Aber die Tiere sind gelehrig, sozial und pflegen freundliche Kontakte. So gehen heute die 120 Milchziegen innerhalb einer knappen Stunde brav mit ihren Ohrchips durch die Melkanlage und anschließend teilt der Computer die Milchmenge mit. Zweimal wöchentlich wird die Ziegenmilch abgeholt. „Nach Anlaufschwierigkeiten läuft es jetzt gut und es macht uns allen Riesenspaß“, sagte Betriebsleiter Horst Wirwahn. Auch so sehen das Partnerin Susanne Schutt, Tochter Leonie, Neffe Sascha und Opa Heinrich Wirwahn (88). Reinhard Oppermann und Daniel Beyer kümmern sich um die Technik und die Jungtieraufzucht und gehören mit zu dem Team, ohne das die erfolgreiche Arbeit nicht möglich wäre, betont Wirwahn. Horst Wirwahn führt seinen Milchziegenbetrieb im Nebenerwerb. Weitere Pläne für die Zukunft hat er aber, wie beispielsweise den Bau eines Wohnhauses neben der Stallanlage. Vorrangig will er aber zunächst die weiteren technischen Arbeitsabläufe für die Erzeugung optimieren.

Germann-Gysen – LW 7/2016