„Landwirte nicht mit Pufferstreifen traktieren“

PSM-Abtrag schlagspezifisch vermindern

„Pflanzenschutzmittel landen nicht immer nur da, wo sie hingehören“, sagt Klaus Gehring vom Institut für Pflanzenschutz der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL). Für den Praktiker ist es eine Frage Guter Landwirtschaftlicher Praxis, diesen Anteil zu minimieren und die Umwelt bei der Abwehr von Schaderregern in den Kulturen möglichst zu schonen. Rückstände von chemischen Pflanzenschutzmitteln in Gewässern waren das Thema einer Tagung des Landesarbeitskreises Pflanzenschutz (LAP) Hessen vorletzte Woche in Wettenberg.

Bachlauf im Taunus bei hängigem Gelände.

Foto: Schlag

„Doch es geht nicht nur um die richtige Technik, denn Pflanzenschutz ist auch ein Spiegel der gesellschaftlichen Intention, sagte Gehring. Und für diese sei die Produktionstechnik zweitrangig, aber „das haben die wenigsten Landwirte im Fokus, wenn sie im Pflanzenschutz unterwegs sind.“ Und so fühlen sich Landwirte mit Vorschriften zum Gewässerschutz bedrängt, die sie fachlich nicht einsehen und die auch in den Augen der Experten nicht unbedingt zum Ziel führen. Auf der Tagung des LAP stellte Klaus Gehring eine Methode vor, mit der sich die Diskussion möglicherweise auf wissenschaftlich fundierter Basis beruhigen ließe. Allerdings zeigt diese auch, wie komplex das Thema ist.

TOPPS Prowadis gegen PSM-Einträge

Die Methode heißt TOPPS Prowadis. Das Kürzel TOPPS steht für „Train Operators to promote best Practices and Sustainability“ (frei übersetzt: Anwender für beste Verfahren und Nachhaltigkeit). TOPPS kombiniert pflanzenbauliche Maßnahmen zur Reduktion von Run-off (Oberflächenablauf) und Erosion im Ackerbau. Und zwar nicht durch allgemeine Vorschriften, sondern durch ein Risikomanagement für jeden einzelnen Schlag. Warum es besser ist, so spezifisch heranzugehen? Es gibt Dutzende Einflussfaktoren, warum und auf welchen Wegen sich Pflanzenschutzmittel nach der Anwendung vom eigentlichen Ziel weg verlagern, dazu gehören Abbaugeschwindigkeit, Flüchtigkeit und Wasserlöslichkeit des einzelnen Wirkstoffs. Wesentlicher für die Risiko-Beurteilung sind aber Witterung, Bodentyp, Topografie und die Anbauverfahren, unter denen der Wirkstoff zum Einsatz kommt. TOPPS summiert alles zu einer Bewertungsmethode, die schlagspezifisch die richtige Applikation vorgibt, um PSM-Verlagerungen zu vermeiden. Vieles davon liegt direkt in der Hand des Anwenders und was für den einen Standort grundfalsch ist, kann für den anderen Standort genau richtig sein. „Es gibt hier kein schwarz-weiß, kein gut oder schlecht“, sagt Gehring.

Unterschiedliche Pufferfunktion der Standorte beachten

Einige Beispiele: Die Bodendeckschicht kann Pflanzenschutzmittel für längere Zeit binden und hat damit eine Schutzfunktion vor Verlagerung. Beträgt die Pufferfunktion über 25 Jahre, gilt sie als sehr hoch, liegt sie unter einem Jahr, fällt sie in die Kategorie „sehr gering“. Das bedeutet: Das gleiche Mittel in der gleichen Anwendung hat in verschiedenen Regionen völlig andere Umweltwirkungen. Hält der Boden es am einen Ort zwanzig Jahre fest, hat es an einem anderen bereits nach zwanzig Wochen Kontakt zum Grundwasser. Zudem zeigen die Wirkstoffe extrem unterschiedliches Verhalten, das zeigt der Vergleich des Versickerungspotenzials von Herbiziden im Maisanbau: „Wir haben eine breite Spreizung der Wirkstoffe“, sagt Klaus Gehring. Der Wirkstoff Picloram etwa sei hoch versickerungsgefährdet, „das ist uralte Chemie“, auch Terbothylazine lägen mit ihrem Versickerungspotenzial gleichauf mit Atrazin.

Moderne Mittel werden viel geringer dosiert

Ist das nun ein greifbarer Wert für die Beurteilung? Ist es nicht, denn ein hoher Wert für die Versickerung wird bei modernen Wirkstoffen kompensiert durch eine viel geringere Behandlungsdosis. Das belegt der Vergleich des zugelassenen Wirkstoffaufwands für Herbizide im Getreidebau. Den höchsten Wert hat Prosulfocarb mit 4000 Gramm pro Hektar, auch Chlorotoluron ist mit 2000 Gramm zugelassen. Die benötigten Mengen von etwa Triasulfuron oder Florasulam sind demgegenüber verschwindend ‑ und demnächst stehe ein neues Auxin mit nur noch sechs Gramm pro Hektar vor der Zulassung. „Das trägt wesentlich zur Umweltverträglichkeit bei,“ sagt Gehring. Die Spreizung der Wirkstoff-Eigenschaften setzt sich fort bei ihrer Adsorptionsfähigkeit, ihrer Bindung an Bestandteile des Bodens, gezeigt am Bodenbindungspotenzial von Herbiziden im Rübenanbau. „Den mit Abstand höchsten Wert hat Glyphosat mit einer extrem hohen Adsorptionsleistung“, sagt Gehring; deshalb sei es nicht mehr wirksam, sobald es im Boden ist. Demgegenüber haben Wirkstoffe wie Cycloxydim oder Clopyralid Adsorptionswerte von einem Bruchteil dessen.

Hohe Humusgehalte fixieren viele Wirkstoffe

Hohe Adsorptionswerte schützen vor dem Transfer ins Grundwasser, allerdings können sie das Problem auch lange wach halten. Bis heute werde immer wieder das seit über 20 Jahren verbotene Atrazin im Trinkwasser gefunden und von Umweltschützern höre man dann empört: „Wird Atrazin weiter angewendet? Schaut Ihr nicht genau hin?“, erzählt Klaus Gehring. Doch mitnichten werde Atrazin weiter angewendet, so der Berater der bayerischen LfL, sondern „die Oberböden bluten lange an diesem Wirkstoff aus“. Wichtigste Größe, wie gut ein Boden Pflanzenschutzmittel vor dem Eintritt in das Grundwasser bewahrt, sei der Humusgehalt: „Huminkörper sind die größten Adsorptionsflächen“, sagt Gehring, ein höherer Humusgehalt bedeute mithin: „Höhere Sicherheit bei der Verlagerung von Pflanzenschutzmitteln.“ Und spätestens jetzt ist man von einem allgemein angenommenen Gefährdungspotenzial angekommen bei der Produktionstechnik, denn „das ist eine Stellschraube für die Praxis.“

Maßnahmen auf der Fläche können Pufferstreifen ersetzen

Stripp-Till von Gerste nach Weizen in der Wetterau.

Die Prozesse sind extrem komplex, kaum ein Standort und kaum ein Mittel ist nach demselben Maßstab zu beurteilen, und Umweltvorschriften gehen nicht unbedingt nach dem Fachwissen, sondern werden erlassen, wie Gehring noch einmal betont, „im Spiegel der gesellschaftlichen Erwartungen“.

Ein Beispiel: nicht bewirtschaftete Pufferstreifen an Fließgewässern zum Schutz vor PSM-Einträgen. „In Dänemark wurden Pufferstreifen vor zehn Jahren eingeführt“, sagt Gehring, und die Auswertung von zahlreichen Studien zum Thema konnte nachweisen, dass sowohl die Sedimentfracht als auch der Austrag von Pflanzenschutzmitteln um bis zu drei Viertel zurückging, also: Pufferstreifen können extrem wirken. Doch lassen sich gleichwertige Effekte auch mit anderen Methoden erzielen und mit geringerem Eingriff in die landwirtschaftliche Produktion? Mulchsaat gilt als die Methode der Wahl mit der gängigen Einschätzung: 50 Prozent Bodenbedeckung. Hört sich machbar an, jedoch seien 50 Prozent ganz schwer zu schaffen, so Gehring. „Sobald Sie Gülle einarbeiten müssen, ist es mit 50 Prozent Bodenabdeckung schon vorbei. In Bayern gilt heute die Mulchsaat mit 30 Prozent Bodenabdeckung als erfüllt, denn wir wollen die Bauern nicht mit Extremforderungen abschrecken“.

Und auch damit sind die Ergebnisse vorzeigbar: Schon bei 30 Prozent Abdeckung geht die Bodenerosion um über 60 Prozent zurück und bei 50Prozent Mulchabdeckung sinkt die Bodenerosion sogar um 80 Prozent (mit entsprechend geringerer Verlagerung von PSM). Was diese Erkenntnis für die Gestaltung von Umweltvorschriften so bedeutsam macht: Maßnahmen auf der bewirtschafteten Fläche (Mulchsaat, Direktsaat, Zwischenreihenbegrünung) können genauso wirksam sein wie bewachsene Pufferstreifen am Feldrand. Für Klaus Gehring sind die Maßnahmen auf dem Feld ‑ also innerhalb der landwirtschaftlichen Produktion ‑ sogar die intelligenteste Vorgehensweise, weil es damit gelinge, den Bewegungsprozess erst gar nicht entstehen lassen.

Schlagspezifisches Risikomanagement

An diesem Punkt setzt TOPPS als schlagspezifisches Risikomanagement zur Verringerung von Run-off und Erosion ein. In jedem einzelnen Fall wird gefragt: Welches Risikopotenzial besitzt eine Fläche für die Gewässerbelastung? Und welche Minderungsmaßnahmen sind für diese Fläche praktikabel und wirksam? Zum Schluss gehe es immer um die eine Frage: Wie bewegt sich das Wasser in einer bestimmten Fläche? Um das zu klären, arbeite TOPPS Prowadis mit einer Bewertungsmatrix. „Im Grunde ist es das, was jeder in der Ausbildung gelernt hat: die Bodenansprache,“ so Gehring. Beim Run-off aufgrund begrenzter Infiltration gehe man in drei Schritten vor: erstens die Lage des Feldes zum Gewässer, zweitens die Durchlässigkeit des Oberbodens, drittens die Hangneigung. In jeder Kategorie wird die Fläche einer Gefährdungsklasse zugeordnet, am Ende steht die Risikobewertung.

Maismulchsaat nach Phacelia.

Ein Beispiel: Ein Feld ist mit einem Gewässer verbunden, der Oberboden hat mittlere Permeabilität, die Hangneigung ist steil, das Szenario landet bei einem hohen Wert für die Infiltration von I 5. Anderes Beispiel: Feld mit Gewässer verbunden, Permeabilität des Oberbodens hoch, aber Hangneigung flach. Dieser Schlag landet mit I 1 in der niedrigsten Risikoklasse für Infiltration ‑ trotz hoher Bodendurchlässigkeit. Ist das Problem nicht die begrenzte Infiltration, sondern begrenzte Wasseraufnahmekapazität, dann gibt es dafür eine andere Matrix mit den Kategorien Lage zum Gewässer, Drainage, Topgrafie, Permeabilität, Feldkapazität und am Ende steht auch hier die schlagspezifische Risikobewertung. Auch Schläge, die nicht direkt mit Gewässern verbunden sind, fallen nicht gleich raus, sondern hier wird gefragt: Erreicht der Run-off das Gewässer? Dafür wird jeder Fläche ein Transfer-Wert zugeordnet. Stimmen die Berechnungen mit den Erfahrungswerten der Landwirte überein? „Ja, es stimmt“, sagt Gehring, „zu 99Prozent bestätigen Landwirte die Risikoeinstufung“, also: „Es ist fachlich fundiert und in der Praxis akzeptiert“.

Der Werkzeugkasten ist vorhanden

Am Ende entsteht eine Kartierung der Run-off-Situation, wie sie Gehring auf der LAP-Tagung am Beispiel einer Gemarkung in Bayern zeigte: ein buntes Bild von Einstufungen zwischen hoch und sehr niedrig innerhalb weniger Kilometer einer Feldflur. „Es kommt ein Flickenteppich an Risikoflächen heraus,“ sagt Gehring, aber man müsste keinen Landwirt traktieren mit Pufferstreifen, sondern man könne sich auf die tatsächlichen Gefährdungsflächen konzentrieren. Und dafür gebe es ja schon einen umfangreichen „Werkzeugkasten“ wie reduzierte Bodenbearbeitung, Anbaupraxis mit Zwischenfrüchten, mehrjährige Bodenbedeckung, vegetative Puffer, angepasster Pflanzenschutz. „Es gibt ein breites Spektrum von Möglichkeiten, Run-off zu reduzieren, darunter als wichtigste Maßnahme die konservierende Bodenbearbeitung, das ist die große Schraube“.

Michael Schlag – LW 50/2015